Prozesse:BGH entscheidet: Kein Wegerecht aus Gewohnheit

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Der Bundesgerichtshof beschäftigt sich mit dem Wegerecht und einem Fall aus Aachen. Foto: Fabian Strauch/dpa (Foto: dpa)

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Karlsruhe (dpa) - Nachbarn haben kein Recht, ein angrenzendes fremdes Grundstück zu durchqueren, nur weil das schon immer so gemacht wird.

Sicherheit gibt es nur, wenn das sogenannte Wegerecht im Grundbuch eingetragen steht, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Freitag klarstellte. Auf ein Wegerecht aus Gewohnheit können sich Nachbarn bei solchen Streitigkeiten nicht berufen. (Az. V ZR 155/18)

In dem Fall aus dem Raum Aachen kommen die Eigentümer dreier Häuser nur über benachbarte Grundstücke zu ihren Garagen. Die Häuser stehen ohne Zwischenabstand an der Straße. Die Garagen liegen dahinter. Jahrzehntelang gab es damit keine Probleme. Doch jetzt will der Nachbar ihnen die Zufahrt sperren. 2016 hat er den "Leihvertrag über das Wegerecht" gekündigt und mit dem Bau einer Toranlage begonnen.

Geht das denn? Erst hatte es nicht danach ausgesehen: Das Oberlandesgericht Köln entschied 2018, dass die Zufahrt offenbleiben muss. Das ergebe sich aus Gewohnheitsrecht. Es bestehe "eine langjährige tatsächliche Übung der Eigentümer oder berechtigten Nutzer". Gleichzeitig seien alle Beteiligten davon ausgegangen, "einer rechtlichen Verpflichtung bzw. Berechtigung zu folgen".

Laut BGH liegt dieser Entscheidung aber ein Missverständnis zugrunde. Es könne zwar in speziellen Fällen ein Wegerecht aus Gewohnheit geben, sagte die Vorsitzende Richterin Christina Stresemann, nicht aber im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn untereinander.

Was damit gemeint ist, lässt sich an einem älteren BGH-Urteil veranschaulichen. Damals ging es um ein Gemeindegebiet in Ostfriesland, das von Wasserkanälen durchzogen ist. An den Nebenkanälen, den sogenannten Inwieken, verlaufen Wege. Diese Wege dürfen alle benutzen, auch wenn sie über Privatgrund führen, das ist seit mindestens 150 Jahren so üblich. Zugezogene wollten dabei nicht mehr mitmachen - und scheiterten vor Gericht. Die Praxis werde in der Gegend als verbindliches Recht angesehen, entschied der BGH 2008.

Im gewöhnlichen Nachbarschaftsstreit irgendwo in Deutschland hat aber das Bürgerliche Gesetzbuch Vorrang. Es sieht seit 1900 vor, dass sogenannte Grunddienstbarkeiten - wie zum Beispiel ein dem Nachbarn eingeräumtes Wegerecht - ins Grundbuch gehören. Nur so kann ein Käufer erkennen, auf was er sich einlässt, wie Stresemann erläuterte.

Das sei nicht jedem klar, sagt Inka-Marie Storm, Chefjustiziarin beim Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland. Oft habe man mit dem Nachbarn mal darüber geredet: "Kann ich den Weg benutzen?" - "Na klar." Viele machten sich aber keine Gedanken darüber, dass daraus bei einem Eigentümerwechsel ein Problem entstehen könnte. Es sei deshalb dringend und wichtig, solche Absprachen mit einem Eintrag im Grundbuch abzusichern. "Dann ist man auf der sicheren Seite."

In dem Fall aus Nordrhein-Westfalen steht im Grundbuch nichts eingetragen. Die betroffenen Eigentümer können jetzt nur noch hoffen, dass das Oberlandesgericht Köln ihnen ein sogenanntes Notwegerecht einräumt. Dann müssten sie dem Nachbarn für die Nutzung seiner Grundstücke allerdings Geld zahlen, ähnlich einer monatlichen Miete.

Ein Notwegerecht kommt außerdem nur infrage, wenn die Grundstücke ohne die Zufahrt zu den Garagen nicht "ordnungsmäßig benutzt" werden können. Die Hürden sind relativ hoch. Nach früheren BGH-Urteilen muss es bei Wohngrundstücken zwar möglich bleiben, dass man mit dem Auto unmittelbar heran fahren kann - zum Beispiel um Müll wegzuschaffen oder sperrige Gegenstände aus- und einzuladen. Hier könnten die Bewohner aber wohl auch vor dem Haus an der Straße parken.

Ein zusätzliches Problem dürfte sein, dass für die Garagen eine Baugenehmigung fehlt, wie die BGH-Richter gleich zu bedenken geben. Chancen sehen sie allerdings für einen gewerblichen Mieter, der hinter einem der Häuser ein Lager und seine Werkstatt hat. In seinem Fall könnte es erforderlich sein, ihm ein Notwegerecht einzuräumen.

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