Süddeutsche Zeitung

Prozess:Weinsteins Lebkuchenhaus

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Die Staatsanwältin will im Eröffnungsplädoyer zeigen, wie der Hollywood-Filmproduzent seine Opfer anlockte - mit Branchen-Kontakten und der Aussicht auf Jobs.

Von Johanna Bruckner, New York

Um kurz nach neun betritt Harvey Weinstein den Gerichtssaal mit der Nummer 99. Es ist der bislang wichtigste Tag im Vergewaltigungsprozess gegen den Filmproduzenten. Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden ihre Eröffnungsplädoyers präsentieren. Mehr als eineinhalb Jahre nach Weinsteins Festnahme Ende Mai 2018 geht der Prozess gegen jenen Mann, dessen Fall eine weltweite Frauenrechtsbewegung auslöste, mit den sogenannten Opening Statements richtig los. Hinter dem Gericht liegen bereits zwei Wochen Befragungen.

Weinsteins Blick scheint am Mittwoch immer wieder am Monitor zur Linken des Richterstuhls festgefroren zu sein. Dort leuchten während der Ausführungen der Staatsanwaltschaft die Gesichter von sechs seiner mutmaßlichen Opfer auf. Dazwischen: die Front einer weiß getünchten Appartementanlage, der Eingang zu einem Hotel, ein Badezimmer mit moderner Glasdusche - Bilder der mutmaßlichen Tatorte. Vor Gericht in Downtown Manhattan wird es um Vergewaltigung und erzwungenen Oralverkehr gehen. Zwei Frauen stehen im Fokus: Miriam "Mimi" Haleyi, eine ehemalige Produktionsassistentin in Weinsteins inzwischen bankrotter Firma, hatte ihre Anschuldigungen gegen den Ex-Filmmogul selbst öffentlich gemacht. Eine zweite Frau, die bislang anonym war, wird nun unfreiwillig zur öffentlichen Person.

Harvey Weinstein, so stellt es die Staatsanwaltschaft dar, hatte ein Radar für Naivität, Verletzlichkeit und Schutzlosigkeit. Jessica Mann, das bislang unbekannte zweite Opfer im Verfahren, sei auf einem Milchhof in einer evangelikalen Gemeinde in Washington State aufgewachsen, erzählt Staatsanwältin Meghan Hast. Eine "harte" Kindheit, geprägt von Misshandlungen. Mit 16 flieht Mann regelrecht von Zuhause, findet sich in L.A. wieder, als eines von vielen hoffnungsvollen Talenten. Sie wohnt mit einer anderen Jungschauspielerin in einer WG, geht zu Dutzenden Vorsprechen, ergattert erste Jobs in Werbespots. Und sie trifft auf einer Filmparty Harvey Weinstein, damals bereits Anfang 60, ein "Tycoon" der Traumfabrik, wie es die Staatsanwältin formuliert.

In den darauffolgenden Wochen und Monaten forciert Weinstein den Kontakt. Er nimmt die junge Schauspielerin mit in eine auf Filmliteratur spezialisierte Buchhandlung. Lädt sie in eine Hotelbar ein, um mit ihr über ihre Schauspielkarriere zu sprechen. Und er unterzieht sie, so drückt es Hast aus, ersten "Tests". Eines Abendshabe Weinstein Jessica Mann eine Massage angeboten - die lehnt ab, erklärt sich aber bereit, ihn zu massieren. "Sie wollte verhindern, dass er sie berührt."

Glaubt man der Staatsanwaltschaft, lockte Weinstein seine mutmaßlichen Opfer nicht mit Geschenken, sondern mit seinen Branchen-Kontakten und der Aussicht auf Jobs. "Er war die alte Frau im Lebkuchenhaus", sagt Hast in Anspielung an Grimms Märchen von "Hänsel und Gretel". Die Taten selbst schildert die Staatsanwältin als brutale Angriffe. Weinstein, 1,80 groß und bis vor Kurzem knapp 140 Kilo schwer, habe seinen Körper als Waffe gegenüber seinen kräftemäßig unterlegenen Opfern eingesetzt. An Jessica Mann soll sich Weinstein bei einer Gelegenheit gleich mehrmals vergangen haben.

Fast zwei Stunden redet Meghan Hast - dann wendet sich die Verteidigung an die Jury. Harvey Weinstein sei in diesem Gerichtssaal als "Raubtier", "Vergewaltiger" und "Manipulator" bezeichnet worden. "Das hört sofort auf!", poltert Verteidiger Damon Cheronis. Der Anwalt aus Chicago, der mit seiner Kanzleipartnerin Donna Rotunna Weinsteins mittlerweile drittes Verteidigerteam anführt, gilt als begabter Rhetoriker. Während die Staatsanwaltschaft das Bild eines Mannes zeichnet, dessen systematische Übergriffe sich über mehr zwei Jahrzehnte erstrecken, attackiert Cheronis vor allem die Frauen, die seinen Mandanten beschuldigen.

Jessica Mann habe Weinstein ihrer Mutter vorstellen wollen, erklärt Cheronis, und sie habe ihm ganz freiwillig ihre neue Handynummer zukommen lassen - nach der mutmaßlichen Vergewaltigung. "Sie werden beurteilen, was Fakt ist und was Fiktion", sagt der Verteidiger in Richtung der zwölf Laienrichter.

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SZ vom 23.01.2020
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