Prozess wegen Zuhälterei:Strauss-Kahn gibt den Ahnungslosen

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Zeichnung von Dominique Strauss-Kahn im Liller Gerichtssaal (Foto: AFP)
  • Beim Prozess gegen Dominique Strauss-Kahn kommen pikante Details über die sexuellen Vorlieben des ehemaligen IWF-Chefs ans Licht - dass seine Partnerinnen beim Sex Schmerzen hatten, will er nicht gemerkt haben.
  • Strauss-Kahn streitet ab, gewusst zu haben, dass er es bei Sexorgien im französischen Lille mit Prostituierten zu tun hatte.
  • Erfahrene Justizbeobachter sagen einen Freispruch für Strauss-Kahn voraus.
  • Von Vorteil für den Angeklagten könnte sein, dass er offenbar bereits vor den offiziellen Ermittlungen abgehört wurde. Manche Erkenntnisse könnten dadurch vor Gericht unbrauchbar sein.

Von Leo Klimm, Lille

Dominique Strauss-Kahn kann nicht anders. Immer hat er diesen Schlafzimmerblick - vor allem, wenn er ernst dreinschaut. Die Lider halb heruntergelassen, die Augen starr, aber wach. So also blickt Strauss-Kahn auch am Dienstag im Gerichtssaal zu Lille, wo er zum ersten Mal im "Carlton-Prozess" aussagen muss. Er sitzt auf einem schlichten Klappstuhl, der aus Platzmangel als Anklagebank dient, und hört sich an, was Mounia dem Gericht von ihrem Sex mit ihm, "DSK", berichtet.

"Ich habe geweint, die ganze Zeit", sagt die Frau, die sich Mounia nennt. "Es tat mir sehr weh. Ich habe ihm klargemacht, dass er aufhören soll, wenn auch nur mit Gesten, nicht mit Worten. Ich habe ihn weitermachen lassen. Aus Angst, dass ich sonst mein Geld nicht bekomme. Aber Monsieur DSK hat nur gelächelt, er hat die ganze Zeit nur gelächelt." Tränen rinnen über ihr Gesicht, die Wimperntusche verläuft.

Die dunkelhaarige, zierliche Frau in den Vierzigern ist eine von zwei Prostituierten, die bereit sind, als Nebenklägerinnen auszusagen. Sie hat Erfahrung in ihrem Metier, aber sie bringt es nicht über sich, die Dinge beim Namen zu nennen. "Es ist widernatürlich", sagt sie nur. Und trotzdem weiß jeder im Saal, dass Strauss-Kahns Vorliebe für Analsex gemeint ist.

Strauss-Kahn kann sich demonstrative Gelassenheit leisten

Drei Meter hinter Mounia sitzt Strauss-Kahn, schaut sie an mit seinem Schlafzimmerblick, schaut wieder weg, seufzt. An jenem Abend im Juli 2010, an dem sich insgesamt vier Frauen und vier Männer in einem Pariser Hotel zum Sex treffen, sei sie "nur für DSK da gewesen", sagt Mounia, und Strauss-Kahn kratzt sich an der Nase.

Der Vorwurf des Sexvergehens, die Anklagebank, die Konfrontation mit einer früheren Sexualpartnerin - all das erinnert unweigerlich an jene Tage im Mai 2011, als der damalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Handschellen ins New Yorker Gefängnis von Rikers Island abgeführt wurde und mit aschfahlem Gesicht vor Gericht stand.

Diesmal jedoch, vor den Richtern im nordfranzösischen Lille, kann DSK sich anders als damals demonstrative Gelassenheit leisten. Er mag dieselbe Person wie 2011 sein. Aber er ist nicht mehr dieselbe politische Persönlichkeit: Seine Macht als IWF-Chef, seine Hoffnungen auf das französische Präsidentenamt und seinen guten Ruf hat er schon in New York verloren. Obgleich der Verdacht der Vergewaltigung später wegen Zweifeln an der Zeugin fallen gelassen wurde.

Justizbeobachter sagen einen Freispruch voraus

In Lille wird es wohl noch schwieriger werden, die Vorwürfe gegen ihn zu beweisen. Den Ermittlern zufolge soll Strauss-Kahn "Dreh- und Angelpunkt" eines Prostitutionsrings gewesen sein, der vom Liller Hotel Carlton aus zum Gefallen von "DSK" operierte. Um ihn der "schweren Zuhälterei" zu überführen, wie es in der Anklage heißt, muss der Prozess aber eines belegen: dass DSK wusste, dass er es bei zwölf Orgien zwischen 2008 und 2011 mit Prostituierten zu tun hatte, die von Liller Freunden bezahlt wurden. Bis zu zehn Jahre Haft und 1,5 Millionen Euro Strafe stünden darauf.

Strauss-Kahn bekennt sich heute zwar zu seinem Faible für hemmungslose Freizügigkeit - gibt aber an, er habe geglaubt, seine Gespielinnen seien, wie er, Anhängerinnen der "Libertinage", die sich aus Lust mit ihm vergnügten. Erfahrene französische Justizbeobachter sagen für DSK einen Freispruch voraus. Angesichts der dünnen Beweislage hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren schon einstellen wollen. Doch die Ermittlungsrichter beharrten auf einer Anklage.

Sieht so ein Zuhälter aus? Wenn Strauss-Kahn an das Pult vor den Richter gerufen wird und Fragen beantworten soll, macht sich eher der Ex-Politiker bemerkbar, der die öffentliche Rede gewohnt ist. Selbstsicher erklärt er, er habe "nie die leiseste Ahnung" gehabt, dass die Frauen aus Lille, die er in Paris, Brüssel oder Washington traf, Prostituierte seien. Die anderen Angeklagten hätten es ihm verschwiegen - und die bestätigen das.

"Verkehr mit einer Prostituierten ist nicht meine Vorstellung von Lust", sagt Strauss-Kahn. "Ich will doch, dass es ein Fest ist!" Ohnehin habe er ja gar keine Probleme damit, Frauen für sich zu gewinnen: "Man unterstellt mir viele Eroberungen. Aber wahrscheinlich immer noch weniger, als der Realität entspricht." Hätte er seinerzeit bemerkt, dass Mounia weinte, hätte er sofort innegehalten, beteuerte Strauss-Kahn: "Das hätte mich abgestoßen." Er erinnere sich aber auch nicht an jedes Detail dieser Begegnung.

Mounia schon. Es habe ein schönes Buffet gegeben damals in Paris, sagt sie. Sie habe Strauss-Kahn erzählt, dass sie Mutter sei und Fremdsprachensekretärin. Dass sie auch Sexarbeiterin ist, habe sie allerdings nicht gesagt. Über Geld sei nicht gesprochen worden. 900 Euro - anstatt der vereinbarten 1500 - habe sie erst später bekommen. Gezahlt habe ein Manager einer Baufirma, der in Paris dabei gewesen war.

"Trotzdem muss jedem klar gewesen sein, dass ich und die anderen Frauen Prostituierte waren", sagt Mounia. Abgesehen vom Sex, sagt sie noch, habe sich der mächtige "Monsieur DSK" sehr höflich gezeigt. Als sie das sagt, stopft sich Strauss-Kahn mit zufriedenem Ausdruck etwas in den Mund, das ein Keks sein könnte.

Tragik und Komik wechseln sich ab

Der Prozess gibt tiefe Einblicke in die Welt der "Libertinage", wobei sich Tragik und Komik vermischen. Angefangen mit dem Zusammenbruch jenes Hotelmanagers, der die Callgirls für die Partys organisierte. Fortgesetzt mit "Dodo la saumure" ("Dodo, die Salzlake"), der im nahen Belgien Bordelle betreibt und dem Hotelmanager "die Mädchen" geschickt haben soll.

Der vorbestrafte Sexunternehmer beweist vor Gericht nicht nur Sinn fürs Geschäft, sondern auch für Selbstironie: Nachdem er 2014 einen "Dodo Sex Klub" ("DSK") gegründet hat, denke er nun an ein Freudenhaus mit Namen "Famous Miss International". FMI steht im Französischen für IWF.

Und dann ist da noch die Verschwörungstheorie, die genährt wurde vom Anwalt eines mitangeklagten Ex-Polizeipräsidenten. Die Frage ist, warum Strauss-Kahns Vertraute schon Monate vor den offiziellen Ermittlungen abgehört wurden - mit Erlaubnis der damals konservativen Regierung Frankreichs, die den Sozialisten Strauss-Kahn als gefährlichsten Gegner bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen fürchten musste.

DSKs Verteidiger haben sich dem Antrag jedenfalls angeschlossen, den Prozess deshalb für nichtig zu erklären. Mit einigem Erfolg: Das Gericht will das Verfahren zwar planmäßig führen, vor dem Urteil aber entscheiden, welche Erkenntnisse wegen des Lauschangriffs womöglich nicht verwertbar sind.

Strauss-Kahn amüsiert sich

Für Strauss-Kahns Liller Freunde könnte es enger werden als für DSK selbst. Nicht zuletzt für den Baumanager und für einen weiteren Unternehmer, die für die Partys bezahlten und sich so wohl beim vermeintlich künftigen Staatspräsidenten einschmeicheln wollten. Sie könnten als Zuhälter gelten.

Aber Strauss-Kahn? Nach seiner Aussage lehnt er sich entspannt zurück auf seinem schwarzen Klappstuhl und streckt die Beine von sich. Und als einer seiner früheren Begleiter vor Gericht seine Nicht-Teilnahme an der denkwürdigen Orgie in Paris mit "Formschwäche" rechtfertigt - da findet der Angeklagte Strauss-Kahn das äußerst amüsant.

© SZ vom 11.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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