Süddeutsche Zeitung

Prozess wegen Vergewaltigung:Missbrauchsopfer setzt sich für Polanski ein

Lesezeit: 3 min

Von Antonie Rietzschel

"Nein." Samantha Geimer wiederholt das Wort mehrmals an diesem Abend des 10. März 1977. Als sie mit dem Regisseur Roman Polanski im Jacuzzi sitzt und er sie auffordert, zu ihm zu kommen. Als er sie fragt, ob es ihr gut gehe. Als er sie küsst. Als er sie fragt, ob er sie von hinten nehmen soll. Sie sagt "Nein" und er tut es trotzdem. Geimer ist 13 Jahre alt, als Roman Polanski sie vergewaltigt. Der Abend hat ihr Leben bestimmt. Sie musste hässliche Anschuldigungen gegen sich und ihre Mutter aushalten. Zur Ruhe kam Geimer nie, auch weil die Staatsanwaltschaft bis heute ermittelt. Nun hat sich Geimer erstmals vor Gericht für die Einstellung des Strafverfahrens ausgesprochen."Ich flehe Sie an, tun Sie es aus Barmherzigkeit mir gegenüber", soll sie der Nachrichtenagentur AP zufolge gesagt haben. Der Richter habe versprochen, ihr Anliegen zu überdenken.

Als Teenager will Geimer Schauspielerin werden, so wie ihre Mutter. Ein Freund ihrer Schwester lernt Polanski auf einer Party kennen. Polanski ist damals schon ein berühmter Regisseur und Frauenschwarm. Er sucht für die französische Zeitschrift Vogue junge Mädchen, um sie zu fotografieren. Man kommt auf Geimer zu sprechen. Polanski besucht die Familie, bringt Fotos der 15-jährigen Nastassja Kinski mit, die er für die Vogue fotografiert hatte.

Polanski will Probeaufnahmen von Geimer machen. Als die Mutter mitkommen will, lehnt der Regisseur ab. Während des Shootings fordert er das junge Mädchen auf, das Oberteil zu wechseln. Sie trägt keinen BH. Die Kamera klickt. Ihrer Mutter erzählt Geimer nichts von Oben-ohne-Aufnahmen.

Geimer wird als Flittchen abgestempelt

Am 10. März 1977 holt Polanski Geimer für ein zweites Shooting ab. Sie fahren zum Haus von Polanskis Freund Jack Nicholson. Der Regisseur gibt ihr Drogen, verabreicht dem Mädchen Alkohol und versucht ihm nahe zu kommen. Mehrmals fleht Geimer ihn an, nach Hause gehen zu dürfen. Ihr sei nach Weinen zumute gewesen. Sie habe Angst gehabt, sagt sie später der Polizei. Als Polanski in sie eindringt, fragt er, ob sie die Pille nehme. Als Samantha verneint, hat er Analsex mit ihr. Gegen ihren Willen ( Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll).

Zuhause berichtet sie ihrem Freund von der Tat. Geimer Mutter hört die Unterhaltung mit und zeigt Roman Polanski an. Durch die Festnahme des Regisseurs gerät der Fall an die Öffentlichkeit. Geimer wird nicht nur als Opfer dargestellt, sondern auch als Flittchen abgestempelt - sie habe sich von Polanski verführen lassen. Ihr wird vorgeworfen, die Karriere des Regisseurs zerstört zu haben. Geimers Mutter wird als erfolglose Schauspielerin dargestellt, bereit alles zu tun, um zu Ruhm zu gelangen. Und sei es, die eigene minderjährige Tochter auszuliefern.

Roman Polanski bekennt sich 1977 schuldig, Sex mit einer Minderjährigen gehabt zu haben. Sein Geständnis ist Teil eines Deals, denn Geimer will keinen langwierigen Prozess. Für 90 Tage soll Polanski im Gefängnis bleiben, unter psychiatrischer Beobachtung. Nach 42 Tagen ist er wieder frei. Ein Gutachter bescheinigt Polanski, weder destruktiv noch unsensibel gegenüber dem Opfer gehandelt zu haben. Der damalige Richter findet die Einschätzung beschönigend. Er will, dass Polanski eine längere Haftstrafe absitzt. Der Deal droht zu platzen. Polanski verlässt die USA, flieht über London nach Frankreich.

Vegebung für Polanski

2009 wird Polanski am Züricher Flughafen festgenommen. Entgegen der Forderung der USA, liefert die Schweiz den Regisseur nicht aus. Mehrere Filmstars, darunter Woody Allen, Martin Scorsese oder David Lynch fordern Polanskis Freilassung. Schließlich wird er gegen Kaution entlassen. Auch Polen verweigert 2015 die Auslieferung Polanskis in die USA. Der 83-Jährige lebt in Frankreich.

Und Samantha Geimer? Sie hat Polanski verziehen. Er hat sich in einem Brief entschuldigt und nach einer Zivilklage zahlte er Geimer offenbar eine halbe Million Dollar Schadenersatz. 2013 veröffentlichte sie das Buch "The Girl. Mein Leben im Schatten von Roman Polanski". Darin bezeichnet sie das Erlebte ganz klar als Vergewaltigung. Gleichzeitig schreibt sie, sie würde lieber noch mal den Abend durchleben, als die Demütigung danach: Die ständigen Verhöre, die Vorwürfe gegen ihre Mutter, die mediale Aufmerksamkeit. Als der Fall 2009 wieder Schlagzeilen macht, belagerte die Presse Geimers Haus in Nevada. Sie will, dass es vorbei ist. Deswegen hat sie sich nun auf die Seite von Polanskis Anwälten gestellt.

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