Prozess um Tod von Jonny K.:Wenn Schöffen die Nerven verlieren

Weil ein Laienrichter einer Berliner Boulevardzeitung ein Interview gegeben haben soll, gilt er als befangen. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Peiniger des am Alexanderplatz totgeprügelten Jonny K. muss deshalb neu aufgerollt werden. Der Vorsitzende Richter beklagt auch die Rolle der Medien.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es tauchen Menschen auf in diesem Prozess, bei denen fragt man sich, ob sie nicht mehr im Kopf haben, als sie zugeben wollen. Es gibt aber auch solche, da scheint es umgekehrt zu sein. Von ihnen könnte man annehmen, dass sie ausreichend mit Vernunft begabt sind. Was sich dann aber leider als Irrtum herausstellt.

Am Landgericht Berlin ist der Schöffenrichter Siegfried K. nun in den Verdacht geraten, zur zweiten Gruppe zu gehören. Siegfried K. ist ein kleiner Herr von 58 Jahren, er trägt Nickelbrille und längere Haare zum Bart. Er soll eine Berliner Jugendeinrichtung leiten, seit ein paar Wochen sitzt er als Schöffenrichter in einem der wichtigsten Strafprozesse der Stadt. Dem hat er am Montag den Garaus gemacht.

Siegfried K. hat der Zeitung BZ ein Interview gegeben, in dem er das laufende Verfahren kommentiert und über die Verteidigung gemotzt hat. So zumindest liest es sich jetzt: "Die wollen halt den Prozess kaputt machen. Das haben die doch mehrmals schon so gemacht", soll der Laienrichter da zu Protokoll gegeben haben. Er selbst will sich so nicht geäußert haben, aber es hilft nichts, der Prozess ist geplatzt. Das Gericht befand ihn für befangen, das Verfahren musss neu aufgerollt werden. Drei Angeklagte wurden am Montag - lange vor Ende des Prozesses - aus der U-Haft entlassen. Bei den Angehörigen gab es Jubel und Tränen und vor allem: Überraschung.

Ein Zeichen ist da gesetzt worden von der Justiz, wenn auch keineswegs das von ihr beabsichtigte. Und auch die Rolle der Medien wird nun zum Thema am Landgericht Berlin, aber dazu später.

Binnen Sekunden eskalierte die Gewalt

Zunächst geht es um Jonny K., einen 20 Jahre alten Berliner, der in den Morgenstunden des 14. Oktober 2012 am Alexanderplatz aus einem Club kam. Jonny K. soll versucht haben, einen betrunkenen Freund auf einen Stuhl zu setzen, als sechs junge Männer von einer Party eines türkischen Musikers kamen. Einer von ihnen, Onur U., soll Streit angefangen und dem Betrunkenen den Stuhl weggezogen haben. Binnen Sekunden eskalierte die Gewalt. Es gab Schläge, Tritte aus der Gruppe gegen Jonny K., der schließlich aufs Pflaster fiel, sein Schädel füllte sich mit Blut, die Ärzte konnten ihn nicht mehr retten.

Berlin hat diese Geschichte nicht vergessen, und am Landgericht Berlin müht sich seit Mai eine Jugendkammer mit viel Geduld, um zu klären, wer zuerst geschlagen, wer wohin getreten, dem Opfer einen tödlichen Stoß versetzt hat. Die Angeklagten, sechs Männer zwischen 19 und 24 Jahren, sind gebürtige Berliner mit griechischen und türkischen Pässen, sie räumen einzelne Schläge und Tritte ein. Keiner aber will am Tod von Jonny K. schuld sein. Dazu kamen Zeugen, die von schwerer Amnesie befallen schienen - und Siegfried K., der der Wahrheitssuche nun ein Ende bereitete.

Der Schöffenrichter hatte schon in der vergangenen Woche mal die Nerven verloren im Gerichtssaal. Da saß Ali J. vor dem Richterisch, ein junger Mann aus dem Problembezirk Wedding, der in der Tatnacht nur wenige Meter vor der tödlichen Schlägerei entfernt stand. Bei der Polizei machte er eine wichtige und detaillierte Aussage, vor Gericht aber schien er alles vergessen zu haben. "Weiß nicht", "kann mich nicht erinnern", solche Antworten kamen da in Serie. Das Ganze wirkte, als habe der Zeuge Angst - oder keine Lust, dem Rechtsstaat zu Hilfe zu eilen. Später sollten zwei weitere, mit Ali J. befreundete Zeugen ähnlich wertlose Aussagen abliefern.

Nun ist ein Schöffe kein Profi, sondern ein ehrenamtlicher Richter, der bei der Urteilsfindung zwar Stimmrecht hat wie ein Berufsrichter, aber kein Jurist ist. Siegfried K. kommt aus der Jugendarbeit und fuhr den verstockt wirkenden Zeugen an, ob er das Gericht "verarschen" wolle. Es folgte ein Befangenheitsantrag der Verteidigung, den das Gericht vermutlich abgewiesen hätte. Schöffe K. aber, den die Boulevardzeitung BZ fortan als "Berlins mutigsten Schöffen" feierte, ließ sich offenbar dazu hinreißen, der Zeitung ein Interview zu geben, in dem es hieß, "so rede ich doch auch mit meinen Jugendlichen". Dann kritisierte er die Verteidigung, was ein Schöffe zwar darf. Aber sein lassen sollte, wenn er nicht als befangen gelten will.

Jeder Zeuge muss erneut befragt werden

"Ich finde das Ganze in höchstem Maße bedauerlich und ärgerlich und für alle Beteiligten auch extrem belastend", sagte der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck, der es nicht versäumte, auch die Medien ins Gebet zu nehmen. Es sei klar, dass freie Presse zur Demokratie gehöre, sagte er. "Ob genannter Artikel förderlich ist und der Versuch gemacht werden sollte, mit direkt Beteiligten ins Gespräch zu kommen, ist die Frage." Der erste Fehler sei von der Richterbank, vom Schöffen gekommen. "Aber was danach kam, hätte nicht sein müssen."

Der Prozess muss nun neu aufgerollt, jeder Zeuge erneut befragt werden. Echte Erinnerung von dem zu unterscheiden, was in der Zeitung stand, wird immer schwieriger. Drei Angeklagten sind auf freiem Fuß,Onur U. und Bilal K., die am schwersten belastet wurden, bleiben in Untersuchungshaft. Onur U. habe angefangen zu schlagen, glaubt die Staatsanwaltschaft. Onur U. habe Jonny K. nie berührt, sagt dessen Verteidiger Axel Weimann. Schon der erste Schlag war möglicherweise tödlich, haben Gutachter festgestellt. Wenn das so war, sagt Verteidiger Friedhelm Enners vor Gericht, wenn Onur U. als Erster schlug, dann seien die Handlungen seines Mandanten Bilal K., "nicht ursächlich", für den Tod von Jonny K., vergleichbar mit dem "Schießen auf eine Leiche". Es ist kompliziert. Und fest steht nur eins: Wenn der Prozess am Donnerstag wieder von vorn beginnt, wird es nicht einfacher werden.

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