Prozess um Tod in Polizeizelle:Bis aller Rauch verzogen ist

Vor vier Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh gefesselt in einer Zelle in Dessau. Nun fällt das Urteil. An eine Bestrafung glaubt niemand mehr.

H. Holzhaider, Dessau

Draußen, vor dem Eingang des Landgerichts Dessau, hatten sich an diesem Morgen wieder einmal Demonstranten eingefunden, nicht so viele wie damals, im Frühjahr 2007, als alle noch dachten, dieser Prozess könnte in ein paar Wochen beendet sein.

Oury Jalloh, Demonstration, dpa

Demonstrationen begleiteten den Prozess um den Tod von Oury Jalloh.

(Foto: Foto: dpa)

Ein knappes Dutzend mochte es sein; die Protestierenden hielten ein Transparent aufgespannt, auf dem stand "Oury Jalloh - in Afrika verfolgt, Asyl verweigert, gefesselt, verbrannt", und darunter, in großen roten Lettern: "Anklage wegen Mord". Dazu skandierten sie "Oury Jalloh, das war Mord".

Drinnen, im Gerichtssaal, waren die Presseplätze zum ersten Mal seit langer Zeit wieder vollbesetzt. Etliche Journalisten waren von weither angereist, denn an diesem Tag, so war es angekündigt, sollte Staatsanwalt Christian Preissner sein Plädoyer halten.

Man wartete, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde. Niemand erschien. Kein Angeklagter, kein Staatsanwalt, kein Nebenklägervertreter, kein Gericht. Dann, nach 40 Minuten, kam die Protokollführerin und verkündete: "Der Termin ist abgesagt." Keine weitere Erklärung.

Staatsanwalt Preissner ließ sich kurz im Saal blicken, er war kreidebleich, beantwortete keine Fragen. Die Nebenklagevertreter Ulrich von Klinggräff und Regina Götz, sonst stets auskunftsbereit, erklärten, es habe ein Gespräch mit dem Gericht stattgefunden, über dessen Inhalt sie nichts sagen dürften. Von den Mitgliedern der 6. Strafkammer war an diesem Tag nicht einmal eine Nasenspitze zu sehen.

Das war am vorigen Dienstag, es war der 59. Prozesstag nach einer Verhandlungsdauer von 20 Monaten, und wer diesen Prozess über lange Zeit hinweg beobachtet hat, der war nur mäßig überrascht von diesem grob ungehörigen Umgang des Gerichts mit der Öffentlichkeit. Manfred Steinhoff, der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer, ist ein Herr von etwas sprunghaftem Temperament; er hat in den zurückliegenden Monaten schon gelegentlich zu erkennen gegeben, dass er die Anwesenheit des Publikums nicht unbedingt als Bereicherung empfindet.

Verhandlung in schwierigen Umfeld

Natürlich muss man in Rechnung stellen, dass der Prozess um den Tod des Afrikaners Oury Jalloh in einem schwierigen Umfeld stattfindet. In keinem anderen Bundesland hat es in den letzten Jahren so viele Übergriffe auf Ausländer und wirkliche oder vermeintliche "Linke" gegeben wie in Sachsen-Anhalt. Nirgendwo sonst gab es so viele Anhaltspunkte für den Verdacht, dass Polizei und Justiz bei der Verfolgung von Straftätern aus dem rechtsextremen Bereich systematisch nachlässig vorgehen.

Und dann verbrennt ein dunkelhäutiger Asylbewerber, an Händen und Füßen angekettet, in der Gewahrsamszelle im Keller des Polizeireviers in Dessau, und es dauert mehr als zwei Jahre, bis die Justiz einen Prozess gegen zwei Polizeibeamte in Gang bringt, die möglicherweise für den Tod des 23 Jahre alten Mannes aus Sierra Leone verantwortlich sind.

Das erregte naturgemäß Verdacht. Eine äußerst rührige "Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh" ließ Menschenrechtsbeobachter bis aus Südafrika einfliegen, drei Berliner Anwälte, mit allen Wassern ihres Berufsstandes gewaschen, übernahmen die Vertretung der Nebenkläger, des Vaters, der Mutter und eines Bruders des Verstorbenen.

Auch die andere Seite, die Rechtsextremen, schickte ein paar Leute in den Prozess, die sich zwar unauffällig benahmen, aber durch ihre bloße Anwesenheit bei den Jalloh-Freunden Anstoß erregten. Diese unterstellten dem Gericht von vornherein, es wolle die aus ihrer Sicht mörderische Untat der Dessauer Polizei unter den Teppich kehren, die anderen, die Rechten, geißelten das Verfahren auf den einschlägigen Internetseiten als "Schauprozess" des Linkskartells gegen aufrechte deutsche Polizeibeamte.

Man kann nachvollziehen, dass ein Richter bei solcher Begleitmusik gelegentlich die Contenance verliert, zumal wenn er es mit Zeugen zu tun hat, die nicht immer über jeden Zweifel erhaben sind. Polizisten haben meist eine ausgesprochene Scheu, einen der ihren zu belasten.

Bis aller Rauch verzogen ist

Richter Steinhoff hat sich, wenn er Zweifel an der Wahrheitsliebe eines Zeugen hegte, gelegentlich in einer Weise geäußert, die mit der Würde eines Vorsitzenden Richters schwer in Einklang zu bringen war: "Wenn ich den Eindruck habe, dass ein Zeuge mich anlügt, dann steppt der Bär" oder "Der Beamte, der hier falsch aussagt, muss ans Kreuz genagelt werden" oder "Ich werde diesen Prozess in Grund und Boden verhandeln, und wenn ich jeden Zeugen zehnmal vorladen muss".

Das war, wie sich bald herausstellte, keine leere Drohung. Die 6. Strafkammer in Dessau hat über viele Verhandlungstage hinweg Zeugen vernommen, von denen man von vornherein wusste, dass sie nichts zur Wahrheitsfindung würden beitragen können. Das hat diesen Prozess über jedes vertretbare Maß hinaus aufgebläht. Der Gerichtsmediziner und der Brandgutachter hingegen, die beiden Sachverständigen, deren Feststellungen eigentlich die Grundlage jeder Beweisaufnahme hätten sein müssen, kamen erst am 49. und 50. Prozesstag zu Wort, nach einer Prozessdauer von fast anderthalb Jahren.

Angeklagt sind Andreas S., 48, der an dem Tag, als Oury Jalloh starb, Dienstgruppenleiter im Polizeirevier Dessau war, und Hans-Ulrich M., 45, einer der Streifenbeamten, die den Afrikaner am Morgen des 7. Januar 2005 festnahmen und ihn durchsuchten.

In der Zelle fixiert

Jalloh wehrte sich gegen die Festnahme und gegen die Blutentnahme, Hans-Ulrich M. und sein Kollege hatten Mühe, ihn zu bändigen. Er hatte fast drei Promille Alkohol und Abbauprodukte diverser Rauschgifte im Blut. Der Arzt, der Jalloh untersuchte, erklärte ihn dennoch für gewahrsamstauglich und empfahl, ihn wegen der Gefahr der Selbstverletzung in der Zelle zu fixieren. Dafür gab es im Polizeirevier die Spezialzelle fünf mit einer auf einem niedrigen Podest liegenden Kunststoffmatratze und in Boden und Wand eingelassenen Stahlbügeln, an denen Hände und Füße angekettet werden konnten.

Zwei Stockwerke höher, im ersten Stock des Polizeireviers, saßen der Dienstgruppenleiter Andreas S. und die Streifeneinsatzführerin Beate H., 39. Über eine Videokamera konnten sie beobachten, was im Flur vor den Gewahrsamszellen geschah; in der Zelle selbst gab es keine Kamera. Man hatte das einmal beim Innenministerium beantragt, aber es war abgelehnt worden, aus Kostengründen.

Zweimal im Lauf des Vormittags wurde die Gewahrsamszelle, in der Jalloh lag, kontrolliert. Beim zweiten Mal, gegen 10.30 Uhr, sagte der kontrollierende Beamte zu Beate H., der Mann in der Zelle sei jetzt wach. Beate H. schaltete daraufhin die Gegensprechanlage ein, sie fand, ein in der Zelle fixierter Mensch müsse Gelegenheit haben, sich bemerkbar zu machen. Das tat dieser auch ausdauernd und lautstark; Andreas S. wollte deshalb die Gegensprechanlage leiser stellen, aber Beate H. verhinderte das.

Um 11.45 Uhr beschloss sie, die Zelle selbst zu kontrollieren. Jalloh beschwerte sich über die Fesselung, sie sagte, das könne sie nicht entscheiden, und ging wieder nach oben.

Eine Viertelstunde später schrillte in der Einsatzzentrale der Alarmton des Rauchmelders in Zelle fünf. Beate H. hat als Zeugin geschildert, was danach geschah: Der Dienstgruppenleiter Andreas S. habe den Alarmton abgeschaltet. Aber der Alarm sei gleich wieder angesprungen. Jetzt habe S. den Zellenschlüssel an sich genommen und den Alarm ein zweites Mal ausgeschaltet. Sie habe ihn aufgefordert, sich zu beeilen.

In diesem Augenblick habe auch der Rauchmelder aus dem Flur vor den Zellen Alarm gegeben. S. habe sich jetzt auf den Weg nach unten gemacht. Eine Angestellte aus dem Nachbarbüro bezeugte, er sei "gelaufen". Auf dem Weg nach unten forderte S. einen Kollegen auf mitzukommen. Als die beiden Beamten dann die Tür zur Zelle öffneten, quoll dichter schwarzer Rauch heraus. S. machte kehrt, lief nach oben und schrie nach einem Feuerlöscher.

Sein Kollege griff sich eine Wolldecke aus einem Technikraum im Keller, drang in die Zelle ein und sah den Mann auf der brennenden Matratze liegen. Er konnte nicht feststellen, ob er noch lebte, er konnte ihn auch nicht losmachen, weil er die Schlüssel nicht hatte.

Wie konnte das Feuer entstehen? Es gibt keine Indizien dafür, dass jemand unberechtigt in die Zelle eindrang und dort in mörderischer Absicht Feuer legte. Beate H. hatte die Zelle um 11.45 Uhr abgeschlossen, der Schlüssel lag in der Einsatzzentrale, der Flur vor der Zelle ist videoüberwacht. Die Annahme, Jalloh sei vorsätzlich getötet worden, würde ein Komplott voraussetzen, in das zumindest die beiden Beamten in der Einsatzzentrale hätten eingebunden sein müssen. Das ist, auch nach dem Eindruck, den Beate H. in ihrer neunstündigen Zeugenvernehmung hinterließ, eine völlig haltlose Theorie.

Bis aller Rauch verzogen ist

Im Brandschutt in der Zelle wurden die verschmorten Reste eines Feuerzeugs gefunden. Wie war es dorthin gekommen? Die Staatsanwaltschaft hat unterstellt, der Angeklagte M. habe es beim Durchsuchen des Festgenommenen übersehen, und daraus den Vorwurf der fahrlässigen Tötung abgeleitet. Einen Anhaltspunkt dafür hat der Prozess nicht erbracht.

Aber am 54. Prozesstag - inzwischen wurde seit 18 Monaten verhandelt - erschien ein Polizeibeamter als Zeuge, der aussagte, er wisse von einem Kollegen, dass der Angeklagte Hans-Ulrich M., nachdem er mitgeholfen hatte, Jalloh in die Zelle zu bugsieren, sein Feuerzeug vermisst habe. M. habe das Feuerzeug üblicherweise zusammen mit seinen Zigaretten in der Brusttasche des Uniformhemdes verwahrt. M. gab auf eindringliche Nachfragen zu, so sei es in der Tat gewesen. Warum er das bisher nie erzählt hatte, versteht niemand. Es ist nicht strafbar, im Handgemenge mit einem renitenten Festgenommenen ein Feuerzeug zu verlieren.

Aber wie soll ein an Händen und Füßen angeketteter Mann mit einem Feuerzeug eine Matratze anzünden, die in einem schwer entflammbaren Kunststoffbezug steckt? Es stellte sich heraus: Das ist kein Problem. "Schwer entflammbar" heißt nicht, dass etwas nicht brennt, wenn man nur lange genug eine Flamme darunter hält. Zumindest ein Loch ist schnell geschmolzen, und die darunterliegende Schaumstofffüllung brennt sogar sehr gut.

Das Gericht ließ probeweise einen Polizeibeamten von Jallohs Statur genau so anketten wie diesen. Es zeigte sich: Er konnte problemlos ein Feuerzeug aus jeder beliebigen Hosentasche oder auch aus der Unterhose ziehen und die Matratze damit ansengen.

Hätte Oury Jalloh gerettet werden können?

Der Angeklagte Hans-Ulrich M. ist also aus dem Schneider; aber wie steht es mit Andreas S., dem Dienstgruppenleiter? Hätte er Jalloh retten können, wenn er nur ein bisschen schneller reagiert und sich auf dem Weg in den Keller mehr beeilt hätte? Man hat die Zeit gestoppt, die einer braucht, um von der Einsatzzentrale im ersten Stock zu den Gewahrsamszellen im Keller zu kommen: 80 Sekunden bei normalem Gehtempo, 53 Sekunden im flotten Schritt, 36 Sekunden im Laufschritt, ohne anzuhalten. Ob man Andreas S. verurteilen kann, hängt davon ab, wie lange es nach Ausbruch des Feuers eine realistische Rettungschance für Oury Jalloh gegeben hat.

Manfred Kleiber, Direktor des Instituts für Gerichtsmedizin in Halle, hat die Leiche Jallohs obduziert. Überraschenderweise, sagt er, fand sich im Blut kein Kohlenmonoxid. Bei 80 Prozent aller Brandopfer ist dieses giftige Gas die Todesursache. Fehle es, sagt Kleiber, dann werte man dies in der Regel als Hinweis darauf, dass der Mensch schon tot war, als das Feuer ausbrach.

Aber bei Jalloh fand der Mediziner auf der Kehlkopfschleimhaut, in den Bronchien und in der Lunge typische Hinweise auf Hitzeeinwirkung. Das, erläutert er, bedeute, Jalloh müsse mehrere Atemzüge lang sehr heiße Luft eingeatmet haben. Das bewirke einen "inhalativen Hitzeschock", einen reflexartigen Tod binnen weniger Sekunden. Dass im Blut kein Kohlenmonoxid und in der Speise- und Luftröhre nur wenige Rußpartikel zu finden waren, lasse die Folgerung zu, dass Jalloh innerhalb einer Minute nach Entstehen des Brandes gestorben sein müsse.

Die Nebenklageanwälte wissen, was das bedeutet: Es bedeutet Freispruch. Sie beantragen die Anhörung eines zweiten Sachverständigen. Kleiber ist ein älterer Herr, vielleicht ist er nicht auf dem neuesten Stand der Wissenschaft? Man beauftragt den Freiburger Gerichtsmediziner Michael Bohnert, einen Spezialisten für Todesfälle durch Brandeinwirkung.

Aber auch er sagt: Jalloh muss sehr schnell gestorben sein, wahrscheinlich binnen zwei Minuten nach Ausbruch des Feuers. 90 Sekunden hat es aber schon gedauert, bis der Rauchmelder Alarm auslöste. Das heißt: Der Angeklagte Andreas S. hätte so schnell laufen können, wie er wollte - er wäre immer zu spät gekommen.

Das ist der Stand der Dinge am letzten Dienstag, als das Gericht den für das Plädoyer des Staatsanwalts vorgesehenen Termin platzen lässt. Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, um was es in dem so kurzfristig anberaumten "Rechtsgespräch" ging: Der Vorsitzende Richter hat angeregt, das Verfahren durch eine Einstellung wegen geringer Schuld ohne Urteil zu erledigen.

Das hätte, aus Sicht des Gerichts, einige Vorteile: Man könnte einen Freispruch vermeiden, der in der Öffentlichkeit vielleicht auf Proteste stoßen würde. Man müsste auch keine Revision und damit eine mühselige Neuauflage des Verfahrens riskieren. Und man könnte durch eine mit der Einstellung verknüpfte Geldauflage auch die Angehörigen des Toten ruhigstellen und so zumindest vordergründig für eine Art Rechtsfrieden sorgen. Aber daraus wird nichts. Die Angehörigen von Oury Jalloh sind mit dieser Verfahrensweise nicht einverstanden.

An diesem Montag soll der Prozess nun endlich zu Ende gehen. Es ist kaum vorstellbar, dass das Urteil anders als Freispruch lautet. Draußen vor dem Gerichtsgebäude werden ziemlich viele Demonstranten stehen und rufen: "Oury Jalloh - das war Mord."

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