Süddeutsche Zeitung

Prozess um Profi-Boxerin Rola El-Halabi:Schüsse aus der Pistole des Mentors

Ihr Stiefvater schoss Rola El-Halabi in die Hand, ins Knie und in die Füße. Nun beginnt in Berlin der Prozess gegen den Mann, der der Karriere der Boxweltmeisterin zumindest vorläufig ein Ende setzte - weil er sie als sein Eigentum betrachtete.

Hans Holzhaider

Manchmal scheint die Wirklichkeit das Kino nachzuahmen. 2004 drehte Clint Eastwood den mit vier Oscars prämierten Film "Million Dollar Baby". Hilary Swank spielte darin eine Boxerin, die nach einem kometenhaften Aufstieg im Kampf um die Weltmeisterschaft von ihrer unfairen Gegnerin niedergestreckt wird und dabei so unglücklich stürzt, dass sie vom Hals abwärts gelähmt bleibt, und die danach ihren Trainer, gespielt von Eastwood, so lange anfleht, bis er ihrem Leben durch eine Überdosis Adrenalin ein Ende setzt.

Ganz so tragisch endet die Geschichte der 26-jährigen Rola El-Halabi nicht - sie lebt, immerhin, und die Aussichten, dass sie wieder ganz gesund wird, stehen gut. Aber ob sie jemals wieder boxen kann, das weiß im Augenblick noch niemand. Eine der Pistolenkugeln, die ihrer Karriere zumindest vorläufig ein Ende setzten, zertrümmerte ihre rechte Mittelhand. Im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm setzten die Chirurgen ihr ein Stück ihres eigenen Beckenknochens in die Hand ein, und der Heilungsprozess, so hört man, verlaufe zufriedenstellend. Aber ob die Hand den extremen Belastungen eines Boxkampfes standhalten kann, das ist ungewiss. "50:50" schätzt ihr Trainer Jürgen Grabosch die Chancen ein, dass sein Schützling wieder in den Ring steigen kann, "und der Kopf muss auch mitspielen."

Ob Rola El-Halabi das Trauma ihrer Verletzung überwinden kann, wird wohl auch vom Verlauf des Prozesses abhängen, der am Dienstag vor dem Landgericht Berlin beginnt. Der Mann, der sich dort wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung verantworten muss, ist ihr eigener Stiefvater, ihr Mentor, ihr langjähriger Manager Hicham, genannt "Roy" El-Halabi, 44.

Am 1. April 2011, nachts um Viertel vor elf, zehn Minuten bevor Rola El-Halabi mit der Bosnierin Irma Balijagic-Adler um die Weltmeisterschaft im Leichtgewicht der International Boxing Federation (IBF) kämpfen sollte, drang Hicham El-Halabi im Pferdesportpark Berlin-Karlshorst in die Kabine seiner Stieftochter ein, schaltete zwei Leibwächter durch Schüsse in die Beine aus, jagte den Arzt, den Trainer und den Physiotherapeuten aus dem Raum, und gab vier Schüsse auf die Boxerin ab: in die rechte Hand, das linke Knie und in beide Füße. Als die Polizei eintraf, warf er die Waffe weg und ließ sich festnehmen.

Rola El-Halabi hatte im Frauenboxsport eine ähnlich fulminante Karriere erlebt wie Hilary Swank in "Million Dollar Baby". Kurz nach ihrer Geburt 1985 waren ihre Eltern mit ihr aus dem damals vom Bürgerkrieg geschüttelten Beirut nach Deutschland geflohen. Als Rola drei Jahre alt war, verließ der Vater die Familie. Die Mutter fand einen neuen Partner: Hicham El-Halabi, auch er ein Flüchtling aus dem Libanon.

Titel um Titel

Als Rola neun war, schickte ihr Stiefvater sie zum Boxtraining - sie sollte lernen, sich auf dem Schulhof zu wehren. Sie trainierte Thaiboxen und Kickboxen. Sie arbeitete wie eine Besessene. Frauenboxen war damals noch eine exotische Sportart, die meisten Vereine wollten damit nichts zu tun haben. 2001 - in dem Jahr, als Regina Halmich dem Pro-7-Showmaster Stefan Raab vor Millionenpublikum das Nasenbein zerschlug - wurde Rola El-Halabi baden-württembergische Meisterin im Kickboxen, ein Jahr später errang sie ihren ersten Titel im Amateurboxen - internationale Tiroler Meisterin. Mit 18 wurde sie zum ersten Mal deutsche Meisterin im Leichtgewicht; von 22 Kämpfen als Amateurin gewann sie 18. 2007 begann ihre Profikarriere. Nach dem dritten Kampf war sie Europameisterin, nach dem neunten Weltmeisterin der Verbänden Wibf und Wiba. Elf Kämpfe, elf Siege, davon sechs durch K.o..

"Ich werde euch zu Krüppeln schießen"

Immer stand ihr Stiefvater an ihrer Seite. Sie liebte ihn, aber sie lernte auch, ihn zu fürchten. Er betrachtete sie als sein Eigentum, er wollte alles kontrollieren. Er rastete aus, wenn sie etwas ohne ihn unternahm. Und als sie sich mit 25 zum ersten Mal in einen jungen Mann verliebte, setzte er sie so massiv unter Druck, dass Rola zusammenbrach. Wochenlang konnte sie nicht mehr trainieren. Der Stiefvater bedrohte sie, verleumdete sie im Internet, verließ schließlich in maßlosem Zorn die Familie.

Da beschloss Rola El-Halabi, ihre sportliche Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Im Januar 2011 kündigte sie ihrem Stiefvater den Managerjob. Wüste Drohungen seien die Folge gewesen, berichtete die Ulmer Südwestpresse: Er werde Rola und ihren Freund zu Krüppeln schießen. Rola trainierte für ihr Comeback als ihre eigene Managerin mit ihrem alten Trainer Jürgen Grabosch. Am 1. April sollte es so weit sein. Aber Hicham El-Halabi machte seine Drohungen wahr.

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SZ vom 27.09.2011/grc
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