Süddeutsche Zeitung

Prozess um Pflegedienstbetrug:Lukrativer als Drogenhandel und Prostitution

  • Vor dem Düsseldorfer Landgericht beginnt am Mittwoch ein Prozess um Pflegedienstbetrug.
  • Neun Männer und Frauen sollen mit der Abrechnung falscher Pflegedienste mehr als 8,5 Millionen Euro ergaunert haben.
  • Der Pflegemarkt in Deutschland gilt als Geschäftsfeld der organisierten Kriminalität. Die Spur führt den Ermittlern zufolge nach Osteuropa.

Von Thomas Hummel

Wie funktioniert Betrug in der Pflege? Bewahrheitet sich, was die Ermittlungsbehörden in Nordrhein-Westfalen zusammengetragen haben, dann zum Beispiel so: Ein Pflegedienst rechnet bei den Kranken-, Pflege- und Sozialkassen ab, dass ein Mitarbeiter zwei oder drei Mal täglich einen Patienten zu Hause besuchte. Um ihn zum Beispiel zu waschen, ihm beim Kochen und Essen zu helfen, eventuell auch Medikamente zu reichen oder den Blutdruck zu messen. In Wirklichkeit aber kam der Mitarbeiter nur einmal pro Woche, manchmal nur einmal im Monat.

Oder so: Schwerkranke Patienten benötigen bisweilen eine ganztägige Pflege. Diese ist teuer. Die Pflegedienste rechnen immense Beträge bei den Kassen ab und bezahlen davon die Pflegekräfte. Wenn allerdings die Ganztags-Betreuerin illegal beschäftigt ist und aus Litauen oder der Ukraine stammt, erhält diese nur ein vergleichsweise mickriges Gehalt, der Rest bleibt in der Firma.

Mit Tausenden solcher Deals soll eine Gruppe von neun angeklagten Männern und Frauen über viele Jahre in Düsseldorf und Umgebung eine Menge Geld ergaunert haben. Sie sollen die Verantwortlichen betrügerischer Pflegedienste sein. Von diesem Mittwoch an müssen sie sich vor dem Landgericht Düsseldorf wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und in einem Fall wegen Geldwäsche verantworten. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf schätzt den Schaden auf mehr als 8,5 Millionen Euro.

Die Behörden mussten viele Beamten einsetzen, um die mutmaßliche Bande zu überführen. Denn diese betreibt ihr Geschäft oftmals mithilfe der Patienten, auch vier Ärzte sollen beteiligt sein. Die Mediziner sind von der Staatsanwaltschaft als Beschuldigte erfasst, sollen falsche Verordnungen oder Atteste geschrieben haben und dafür von der Pflegebande quartalsweise Schmiergelder erhalten haben. Ihnen droht ebenfalls ein Verfahren, "das sei durchaus möglich", heißt es aus der Staatsanwaltschaft.

Wie RP-Online berichtet, steht in der 1100 Seiten langen Anklageschrift, dass die mutmaßlichen Täter allein im Juli vor einem Jahr 65 000 Euro an korrupte Ärzte bezahlt haben. Diese verordneten im Gegenzug etwa Kompressionsstrümpfe und Arzneien oder Pflegeleistungen, die gar nicht nötig waren und entsprechend auch nicht eingekauft bzw. erbracht wurden - aber abgerechnet wurden sie schon. Die Ärzte sorgten offenbar auch für neue Kunden, mit denen dann wieder Geld verdient wurde.

Das Bundeskriminalamt beschäftigte sich gemeinsam mit der Polizei im Jahr 2015 lange mit dem Phänomen des Pflegebetrugs. Und fand Hinweise auf organisierte Kriminalität sowie ein bundesweites Betrüger-Netzwerk. Bis zu 230 Pflegedienste sollen Leistungen erschlichen haben, der Schaden soll jährlich in die Milliarden gehen. Manch ein Betrüger gründet ständig neue Gesellschaften. In den Medien kursierte der Begriff "Pflegemafia". Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gab Anfang Mai einen Bericht dazu heraus. In diesem "Abschlussbericht Curafair" ist von Anhaltspunkten "für das Bestehen einer gewerbs- und bandenmäßigen Begehungsweise" die Rede, in denen es um Geldwäsche, Betrugs- und Steuerdelikte im Pflegebereich geht.

Die Spur führt nach Osteuropa

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter hatte den Pflegemarkt in Deutschland als Geschäftsfeld der organisierten Kriminalität bezeichnet. Der Täterkreis kommt dabei fast ausschließlich aus dem osteuropäischen Raum. Im Düsseldorfer Fall hat eine Angeklagte den russischen Pass, zwei den ukrainischen. Die sechs anderen sind zwar deutsche Staatsangehörige, haben jedoch ebenfalls eurasischen Hintergrund. Sie suchen sich vornehmlich Familien aus, die ebenfalls aus Russland, der Ukraine und anderen Ex-Sowjet-Staaten stammen. Der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft zufolge sind in ihrem Fall fast alle beteiligten Patienten russischsprachig. Diese sollen von den Betrügern teilweise Bestechungsgelder erhalten haben. Oder sie bekamen für ihre Mitarbeit Kompensationsleistungen wie Fahrten zu Ärzten, Dolmetscherdienste, Maniküre oder Pediküre. Nach dem Motto: Wir betrügen die Pflegekasse und du hast auch was davon. Dafür spielten die Patienten bisweilen auch dem Gutachter einer Sozialkasse etwas vor, um mehr Leistungen zu erhalten, als eigentlich nötig sind. In Düsseldorf soll auch gegen 187 Patienten ermittelt werden.

Ermittler sagen, das Geschäft mit der Pflege sei inzwischen lukrativer als Drogenhandel oder Prostitution. Bayerische Kriminalbeamte beobachten, dass immer mehr Frauen aus Osteuropa nicht mehr für das Sexgewerbe nach Deutschland geholt würden, sondern für den Pflegebetrieb.

Schwerpunkte des Betrugs sind bisher Berlin und Nordrhein-Westfalen. Doch auch bei der Staatsanwaltschaft München I sollen derzeit mehr als zehn solcher Fälle anhängig sein. Dabei klagte zuletzt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestags-Fraktion Karl Lauterbach, es gebe zu wenige spezialisierte Ermittlerteams in der Justiz, die den systematischen Betrug aufklären könnten. Er forderte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften, die sich damit beschäftigen sollen. Da böten sich jetzt die Düsseldorfer Kollegen an. Für den aktuellen Fall füllten sie etliche Aktenordner, sammelten 20 Terabyte digitale Informationen und vernahmen 160 Personen. Bislang hat das Landgericht Düsseldorf für den Fall 27 Verhandlungstermine bis Weihnachten festgelegt.

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