Süddeutsche Zeitung

Prozess um Lenas Tod in Aurich:Unter Ausschluss der Öffentlichkeit

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Absperrgitter, Polizeitrupps auf dem Gelände und lange Schlangen vor dem Eingang: In Aurich hat der Prozess gegen den geständigen Mörder der elfjährigen Lena begonnen. Doch auf die Antworten zu all ihren Fragen wird die Öffentlichkeit wohl vergeblich warten.

Er trägt einen dunkelblauen Kapuzenpulli, er hat weiche, fast noch jungenhafte Gesichtszüge. Der 18-Jährige verbirgt sein Gesicht hinter Aktenordnern, als ihn Justizbeamte in den Saal des Landgerichts Aurich führen. Doch als der Prozess beginnt und die Kameras der Reporter verschwunden sind, lässt er den Ordner sinken. Er wirkt unsicher und eingeschüchtert. Es ist der geständige Mörder der elf Jahre alten Lena aus Emden, den die Öffentlichkeit zuerst als Schatten auf dem Überwachungsvideo eines Parkhauses zu sehen bekam.

Schon Stunden vor Beginn des Verfahrens warten zahlreiche Zuschauer und Journalisten vor dem Gerichtsgebäude. Der gewaltsame Tod der Elfjährigen im Frühjahr hatte ganz Deutschland schockiert. Die Grundschülerin war an einem sonnigen Nachmittag mit einem Nachbarsjungen zum Entenfüttern gefahren. In einem Parkhaus mitten in der Innenstadt wurde sie vergewaltigt und umgebracht.

Tagelang bangten die Menschen in Emden um die Sicherheit ihrer Kinder. Erst nahm die Polizei einen Unschuldigen fest, dann konnten die Fahnder den 18-Jährigen überführen. Den Mord hat er gestanden, will sich aber an Einzelheiten nicht erinnern können.

Wieso musste Lena sterben? Wie kam sie ums Leben? Und was treibt einen Menschen zu einer so entsetzlichen Tat? Diese Fragen stellen sich seit dem 24. März viele Menschen in Ostfriesland. Bei dem Prozess im 30 Kilometer entfernten Aurich wollen sie Antworten erhalten. Bernhard Honefeld ist dafür am frühen Morgen extra aus Ihlow angereist. Die kleine Gemeinde liegt zwar fast 15 Kilometer von Emden entfernt. Trotzdem ist der Mord dort immer noch Gesprächsthema. "Viele kommen nicht darüber weg, was da passiert ist", sagt der 61-Jährige. "Ich bin jetzt schon wieder ganz aufgewühlt."

Doch viele Antworten erhalten die Prozessbeobachter an diesem Tag nicht - und werden sie auch im Laufe des Verfahrens wohl nicht bekommen: Mehrmals müssen sie den Saal räumen, weil die Jugendkammer hinter verschlossenen Türen über Anträge beraten will. Selbst Teile der Anklageschrift bleiben der Öffentlichkeit verborgen. Die Details des gewaltsamen Todes der kleinen Lena sollen nicht nach draußen dringen.

Fest steht nur: Sie wurde erwürgt. Ihr Stiefvater versuchte noch, sie wiederzubeleben, hatte aber keine Chance. Er leide sehr unter dem Verbrechen und sei seither in psychologischer Behandlung, sagt der Nebenklage-Anwalt Bernhard Weiner. "Er hat große Ängste vor einer Konfrontation mit dem Täter." Lenas Mutter und ihr Stiefvater sollten am Nachmittag als Zeugen aussagen. "Das muss schlimm für sie sein", sagt eine Zuschauerin, die ihren Namen nicht nennen will.

Doch das kann sie nur mutmaßen. Denn nach der Anklageverlesung schließen die Richter die Öffentlichkeit bis zur Urteilsverkündung aus. "Ich finde, man müsste wissen dürfen, was da passiert ist", meint die Zuschauerin. "Was geht im Kopf von so einem Menschen vor?"

Ein vermeidbares Verbrechen

Vier Monate vor dem Mädchenmord soll der Angeklagte bereits eine Joggerin in den Wallanlagen der Hafenstadt überfallen haben. Deshalb steht er auch wegen versuchter Vergewaltigung vor Gericht. Der Tathergang war laut Anklage dabei äußerst brutal: Er habe die Frau attackiert und ihr die Luft abgedrückt, "um ihren Widerstand zu brechen". Er habe sie mit dem Tod bedroht. Als sie geflohen sei, sei der 18-Jährige ihr nachgelaufen und habe ihr in den Rücken getreten. Aber das Opfer konnte demnach erneut fliehen. Nur einen Tag vor dieser Tat hatte er sich selbst bei der Polizei angezeigt, weil er eine Siebenjährige nackt fotografiert hatte. Doch die Gefahr, die von ihm ausging, erkannten die Beamten damals offenbar nicht. Erst jetzt, nach Lenas Tod, werden Psychologen und Richter in den nächsten Monaten versuchen, genauer zu ergründen, was in dem Angeklagten vor sich geht.

Der Prozess ist vorerst bis November angesetzt. Eine der Hauptfragen, die es zu klären gilt, ist, ob der junge Angeklagte als Heranwachsender zu gelten hat oder nicht. Käme das Gericht zu dieser Einschätzung, dann läge die Höchststrafe im Falle einer Verurteilung bei zehn Jahre Haft. Ausschlaggebend dafür ist sein Entwicklungsstand.

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Süddeutsche.de/Irena Güttel, dpa/AFP
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