Prozess um Gruppenvergewaltigung:In der Falle

Landgericht Essen

Vor dem Landgericht Essen müssen sich die jungen Männer verantworten, die mehrere Mädchen vergewaltigt haben sollen.

(Foto: picture alliance/dpa)
  • Fünf junge Männer stehen in Essen vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, sieben Mädchen vergewaltigt zu haben.
  • Einer der Angeklagten hat jetzt umfassend ausgesagt.
  • Laut seiner Darstellung hätten die Männer nie Gewalt auf ihre mutmaßlichen Opfer ausgeübt. Sie sollen ihren Opfern aber die Handys abgenommen haben.

Von Benedikt Müller, Essen

Es ist dieses eine perfide Muster, das die jungen Männer aus dem Ruhrgebiet erprobt und offenbar immer wieder angewandt haben: Einer lernt ein Mädchen kennen, verabredet sich mit ihm. Dann lassen sich die beiden von seinen Freunden abholen. Mal zu dritt, mal zu fünft fahren sie scheinbar planlos umher. Bis es dunkel wird und das Auto an einem Ort hält, an dem sich das Mädchen nicht auskennt. Unter einem Vorwand nimmt einer der Jungs ihm das Handy weg. Dann kommt der Übergriff, der in mindestens einem Fall mit einer Erpressung begonnen haben soll: "Wenn du mit uns Sex hast, dann geben wir dir das Handy zurück."

Seit Juli müssen sich fünf Männer, zwischen 17 und 24 Jahren alt, vor dem Landgericht Essen verantworten. Sieben Fälle hat die Staatsanwaltschaft bislang ermittelt. Soll es bei einer ersten Tat im Sommer 2016 noch bei einer Nötigung geblieben sein, werfen die Ermittler den Angeklagten vier vollendete Vergewaltigungen im vergangenen Winter vor. Die Behörden gehen davon aus, dass sich die Straftaten über Stunden hinzogen.

Die Angeklagten, deutsche Staatsbürger bulgarischer Abstammung, sollen während der Taten immer wieder Romani gesprochen haben, damit die Mädchen sie nicht verstehen.

An diesem Montag nun hat einer der Angeklagten umfassend ausgesagt. Der 19-Jährige, grauer Kapuzenpulli, kurze schwarze Haare, hatte jene beiden Whatsapp-Gruppen gegründet ("Spinnen GE" und "Scorpions MC"), in denen die Jungs sich verabredeten. Über die Chatverläufe waren die Ermittler den Angeklagten auf die Spur gekommen. Um Vergewaltigungen sei es in dem Chat nie gegangen, beteuert der Angeklagte. "Jungs, ich hab ein Date heute, die bringt eine Freundin mit", beschreibt er einen typischen Verlauf: "Wer will mitkommen?"

Der 19-Jährige schildert etwa einen Abend im Januar, als sei es ein im Grunde normaler Abend unter jungen Menschen gewesen - die Ermittler stufen die Geschehnisse dieses Abends als Nötigung und Vergewaltigung ein. Mit seinem Bruder sei er nach Gelsenkirchen gefahren, wo zwei Mitangeklagte eine 16-Jährige trafen. "Wir sind mit ihr dumm durch die Gegend gefahren", sagt er, "dann waren wir irgendwo in Erkrath." Auf einem dunklen Feld habe einer der Angeklagten ihr Handy weggenommen. "Können wir nicht was haben?", habe einer gefragt. "Es bleibt auch unter uns." Doch sie habe Nein gesagt, wollte weglaufen. Also hätten die Jungs sie zurück in die Stadt gefahren, zu einer Freundin. Mit ihr seien sie dann nach Mitternacht zu einem verlassenen Haus in Essen-Werden aufgebrochen, einem Stadtteil im schicken Essener Süden. Doch das Grundstück sei zugenagelt gewesen. "Dann haben wir im Fahrzeug gesessen", sagt der 19-Jährige, "und wussten nicht, wohin." Er sei zum Telefonieren rausgegangen, und als er zurückkehrte, habe die 16-Jährige Oralverkehr mit zwei Bekannten gehabt. Danach sei es zum Geschlechtsverkehr gekommen. Warum er nicht eingegriffen habe, fragt der Richter. "Ich wollte kein Spaßverderber sein", sagt der 19-Jährige.

Haben die Angeklagten die Opfer mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen? Haben sie den Eindruck vermittelt, dass die Mädchen die Plätze nur dann verlassen könnten? Diese Fragen muss das Gericht klären, wenn in den nächsten Wochen weitere Angeklagte und auch die Opfer aussagen werden. Eine Konstante sieht der Richter allerdings darin, dass die mutmaßlichen Täter die Handys der Mädchen offenbar als Druckmittel nutzten.

Bei einer späteren mutmaßlichen Tat der Gruppe soll sich der 19-Jährige nicht mehr mit der Rolle des Fahrers begnügt haben: Ende Januar holten drei Jungs in Gelsenkirchen eine Freundin ab. Auf einem dunklen Parkplatz hielten sie an. Bis auf den Jüngsten stiegen alle aus dem Auto, rauchten und tranken. Später sei der Jüngste ausgestiegen, nachdem er "etwas mit ihr gehabt" habe, erzählt der Angeklagte. "Dann hab' ich gefragt, ob sie das auch bei mir macht." Es sei zum Oralverkehr gekommen. "Mir kam's nicht so vor, als ob sie geweint hat", sagt der 19-Jährige. Jedenfalls habe niemand das Mädchen dort festgehalten, sagt er, und fügt hinzu: "Wenn sie zu mir gesagt hätte, ich will das nicht, dann hätte ich das auch gelassen." Zum Schluss dieses Prozesstags erzählt der 19-Jährige dann noch von der letzten Fahrt des Quartetts mit einem Mädchen durch Essen. "Komm, wir spielen Wahrheit oder Pflicht", habe er vorgeschlagen. "Ich weiß sowieso, was ihr hier machen wollt", habe sie geantwortet, dafür sei es im Auto aber zu eng. Als der 19-Jährige dann vorschlug, ein Hotelzimmer in Bochum zu buchen, habe sie nur mit den Schultern gezuckt. Die Gruppe kaufte Wodka und Red Bull an einer Tankstelle. Zwei seien abermals losgefahren, um Zigaretten zu kaufen, sagt der 19-Jährige. Als sie zurückkehrten, seien die anderen beiden nackt mit dem Opfer im Bett gelegen. Dann sei auch er an der Reihe gewesen. "Ein Ja haben Sie nie bekommen", hält der Richter fest. Das Gericht hat Verhandlungstermine bis in den November anberaumt.

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