Die Ehe bestand nur auf dem Papier. Drei Wochen nach der Trauung fuhr Müjde zurück in ihre Heimat, nach Deutschland. Önder B. blieb in seiner Heimat, der Osttürkei. Kontakt hielten sie nur sporadisch per SMS oder Internet. Kalt sei sie gewesen, zurückweisend, erzählt Önder B. den Ermittlern. Sie habe sich lustig über ihn gemacht, ihn provoziert. Bis er es nicht mehr ertragen habe. Manchmal erinnere ihn sein Mandant "an den jungen Werther in seiner irrationalen Liebe, an diesen Wahn", sagt Anwalt Binder.
Den Feldweg an der Brockhäger Straße in Harsewinkel säumen Maisfelder; am Ende kreuzt ein Graben, dahinter wuchert der Weizen. Die Natur lebt weiter. Ins Gras ist eine schlichte Latte gerammt mit einem Foto des Mädchens, das alle nur Mizgin nannten. Es ist ausgeblichen, das Gesicht nur schemenhaft zu erkennen, allein die dunklen Augen blicken eindringlich. "Wir vermißen dich", hat jemand mit schwarzem Stift auf den Holzpflock geschrieben. Die vier Grablichter stehen voller Wasser, die Deckel sind rostig, in der grünen Plastikvase modern ein paar Gräser. Es scheint lange niemand mehr hier gewesen zu sein.
Sie zeigte ihn bei der Polizei an
Hier endete das Leben von Müjde B., die plötzlich verheiratet war und doch nur ein Teenager-Leben führen wollte. Sie traf sich mit Freundinnen, ging aus, und der Mann knapp 4000 Kilometer weit weg, war ihr fremd. Önder B., chronisch eifersüchtig, konnte diese Fremdheit nicht akzeptieren, er beleidigte seine Frau und bedrohte sie per SMS und am Telefon. Im August 2008 ging Müjde zur Polizei, zeigte ihren Mann an, zudem beantragte sie in der Türkei die Scheidung. Es ist der Punkt, an dem diese Geschichte ein zivilisiertes Ende hätte nehmen können.
Doch als Önder B. am 19. Oktober illegal nach Deutschland einreiste, fand er ausgerechnet in der Nordstraße in Harsewinkel immer wieder Unterschlupf. Dort, wo Müjde B. mit ihren Eltern wohnte. "Das passt doch alles nicht zusammen", sagt Verteidiger Binder. "Warum lassen die Eltern zu, dass der Mann, von dem sich ihre Tochter trennen will, der sie bedroht haben soll, gegen den eine Anzeige läuft und der illegal in Deutschland ist, plötzlich wieder bei ihnen wohnt?" Ständig hätten sich die Signale widersprochen, mal sei von Trennung die Rede gewesen, dann von einer neuen Verlobung, schließlich wurde bekannt, dass ein Scheidungstermin in der Türkei terminiert war. "Da wurden Zeichen gesetzt und wieder zurückgenommen", sagt Binder.
Wer setzte die Zeichen? Und wer wollte sie sehen, wer verstehen? Der Mord an Müjde B. sei auch ein Zeichen für das Versagen ihrer Mitmenschen, sagte der Imam auf der Trauerfeier. Man müsse sich, mahnte er, wieder intensiver um die eigenen Kinder und um junge Menschen kümmern. Die Nordstraße liegt nur fünf Autominuten vom Tatort entfernt: Sozialer Wohnungsbau, triste Wohnblöcke im Karrée, ein gepflasterter Platz und der Caritas-Fachdienst für Integration und Migration.
Mord als Zeichen für das Versagen der Mitmenschen
An der Ecke gibt es einen kleinen türkischen Gemüseladen. Doch groß ist das Schweigen. Ja, er kenne die Familie B., sagt der Händler, Müjde auch etwas. Aber er sei nur zum Arbeiten hier, weitere Fragen unerwünscht. Auch Familie B. möchte nicht reden. "Moment, eine Minute", sagt das junge Mädchen in akzentfreiem Deutsch, das über den Balkon im vierten Stock nach unten blickt. Dann kommt der Vater, ein gepflegter Mann mit grauem Haar und einer Zigarette in der linken Hand, er schüttelt den Kopf und sagt knapp, dass er nicht reden wolle. Dann verschwindet er im Haus, das von unten wirkt wie eine Festung.
Als Müjdes Vater am Tag nach dem Mord an seiner Tochter von den Ermittlern befragt wurde, sagte er, das Verhältnis zwischen Müjde und Önder sei seines Wissens nach "in Ordnung" gewesen. Als der Täter gefragt wurde, ob er Angst habe vor der Familie der Getöteten, sagte Önder B.: "Nein, ich habe keine Angst. Es ist doch Verwandtschaft."