Prozess um Briefbombenattentäter:Unter Druck

In Berlin ist ein Mann angeklagt, der mit einer Briefkastenbombe um ein Haar seine Nichte getötet haben soll - und sich selbst als das wahre Opfer sieht.

Constanze von Bullion

Die Welt des Peter J. aus Berlin muss man sich wohl vorstellen wie einen Film, in dem die Hintergrundmusik jede Minute ein bisschen bedrohlicher wird. Peter J. lebt in Neukölln, ohne Frau und ohne Arbeit, aber mit der Angst, dass er ermordet wird. Manchmal traut er sich kaum um die nächste Ecke oder fürchtet, dass hinter einer Tür einer steht, der ihm "eine Axt in den Schädel haut". Es könnte auch jemand durchs Klofenster schießen, und einmal tauchte ein Mann mit Jutetasche auf, "da hat er sofort eine Beretta rausgeholt", eine Pistole. Peter J. hat auch genau gehört, dass zwei Männer hinter ihm im Jobcenter gesagt haben: "Die wollen ihn umbringen lassen."

Prozess um Briefbombenattentäter: Im Briefkasten dieses Hauses deponierte der Angeklagte seine Bombe.

Im Briefkasten dieses Hauses deponierte der Angeklagte seine Bombe.

(Foto: Foto: ddp)

Die, das sind die Verwandten von Peter J., seine Halbschwester Christine und ihr Mann Magnus, von denen er zu wissen glaubt, dass sie erst in seine Wohnung einbrechen ließen, um ihn dann aus dem Weg zu räumen. Warum sie das gewollt haben sollen, ist nicht leicht zu verstehen, denn als Peter J. diese Geschichte am Mittwoch vor dem Landgericht Berlin erzählt, nuschelt er nicht nur und verschluckt halbe Sätze. Bei seinen wirren Gedankengängen scheint auch auf der Strecke zu bleiben, was man den gesunden Menschenverstand nennt.

Peter J. ist wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion angeklagt. Der 33-Jährige soll im November 2008 einen Sprengsatz aufs Auto seines Schwagers gelegt und eine Sprengfalle am Briefkasten der Familie montiert haben. "Der Angeklagte beabsichtigte hierbei, dem potentiellen Opfer schwerste Verletzungen und Verstümmelungen zuzufügen, wobei es ihn jedoch nicht gestört hätte, wenn jemand infolge der zu erwartenden Verletzungen versterben würde", heißt es in der Anklage.

Peter J., steht da weiter, habe sich mit dem Sprengstoffanschlag an seinen Verwandten rächen wollen, weil er glaubte, sie hätten in seiner Wohnung einbrechen lassen. Der Anschlag aber traf deren zwölfjährige Tochter Charlyn. Als sie den Briefkasten öffnete, ging die Bombe hoch, verbrannte ihr das Gesicht und die Brust und riss ihr fast den rechten Arm ab. Die Explosion durchtrennte eine Schlagader, das Mädchen verblutete beinahe, und nur mit vielen Notoperationen konnte es gerettet und eine Amputation vermieden werden. Bis heute kann die jetzt 13-Jährige Hand und Arm nicht richtig bewegen.

Er hatte mal wieder "Druck"

"Briefkastenbomber" heißt Peter J. seither, seine Tat hat die Leute entsetzt, er selbst aber wirkt seltsam weit weg von den Dingen. Auf der Anklagebank im Landgericht sitzt ein Kerl mit Jungsgesicht, er wirkt nicht dumm, wenn auch verstört, lacht immer mal wieder und kann kaum aufhören zu erzählen, während seine Finger nervös auf der Stirn herumtippeln. Peter J. hat mal wieder "Druck", wie er das nennt, sich den Menschen verständlich zu machen.

Er hat immer schon Schwierigkeiten mit der "Kommunikation", wird er dann erzählen, und dass er "kein Mörder" werden wollte. Peter J. gibt zu, dass er die Bomben gelegt hat, er wollte aber nicht das Mädchen treffen, sagt er. Und auch wenn er "nichts dagegen" hätte, dass seine Schwester Christine und ihr Mann sterben, so grundsätzlich, habe er sie nicht gezielt umbringen wollen. "Ich wollte diese Dinger halt möglichst schnell anbringen, damit ich diese Scheißsituation nicht mehr hab'", sagt er und nimmt das Gericht dann mit auf eine qualvolle Odyssee durch seine Welt.

Die Angst wird größer als der Verstand

Peter J. wächst mit seiner Schwester bei Pflegeeltern auf, sie heiratet, er klaut Autos, wird vorbestraft, hat Freunde aus dem Knast. Als seine Wohnung ausgeräumt wird, glaubt er, die Familie steckt dahinter. Er observiert sie, klemmt dem Schwager ein Navigationsgerät unters Auto, um rauszukriegen, wo er langfährt. Irgendwann wird die Angst wohl stärker als der Verstand, er fühlt sich verfolgt, "die Leute wollten mich umbringen lassen, da bin ich sicher", und weil er will, dass endlich die Polizei "ermittelt", plant er einen Anschlag.

Erst füllt er ein Metallrohr mit gemahlenen Wunderkerzen und Feuerwerkskörpern und zündet es mit Freunden auf einem alten Manöverplatz. Dann werden seine Sprengsätze stärker, er mixt Vogelschreckmunition mit Zündpillen und Batterien, das klappt. "Wenn ich was baue, funktioniert das meistens." Das Gemisch stopft er in eine Bohnendose, schaltet die Bombe scharf und stellt sie dem Schwager aufs Auto. Der hält sie für Müll und wirft sie in den Wagen, sie geht nicht hoch. Einen Sprengsatz im Umschlag steckt er in den Briefkasten und klebt innen die Zündschnur fest. Doch, sagt Peter J., "ich hatte schon damit gerechnet, dass es lebensgefährlich ist." Nur, dass er eben nicht an das Kind gedacht hat.

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