Vor Gericht:Vorgetäuschter Tod auf der Ostsee

Prozess-Auftakt wegen Betrugs in Kiel

Die angeklagte Ehefrau versteckt sich am ersten Prozesstag hinter einer Mappe. Ihr wird vorgeworfen, zusammen mit ihrem Mann und dessen Mutter Versicherungsbetrug versucht zu haben.

(Foto: Frank Molter/dpa)

Durch einen angeblichen Unfalltod auf dem Meer wollten ein Ehepaar und die Mutter des Mannes Millionen von der Versicherung kassieren. Jetzt muss sich das Trio vor Gericht verantworten.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Am 7. Oktober 2019 gegen Nachmittag machte sich ein Mann in einem kleinen Motorboot von Kiel aus auf den Weg Richtung Dänemark, er kam nie dort an. Das Wetter soll gut gewesen sein, aber nach drei Tagen meldete die Ehefrau den Reisenden als vermisst. Am 11. Oktober 2019 wurde das Boot in der Ostsee geborgen, vor Schönberg nordöstlich von Kiel. Zu sehen war nur noch der Bug, von dem Mann keine Spur.

14 Monate später steht der seinerzeit Vermisste nun gemeinsam mit seiner Frau vor dem Landgericht Kiel. Der Vorwurf: versuchter Versicherungsbetrug in 14 Fällen. Das Ehepaar schweigt zu den Vorwürfen, der erste Prozesstag an diesem Mittwoch dauert nur 17 Minuten. Auch die 87 Jahre alte Mutter ist angeklagt, doch ihr Verfahren wurde aus gesundheitlichen Gründen abgekoppelt.

Der Polizei kam die vermeintliche Tragödie auf der Ostsee schon im Oktober 2019 seltsam vor. Die Schwimmwesten und das Schlauchboot fehlten. Einem Gutachter fiel auf, dass am Motorboot hantiert worden war, ein Unfall wurde rasch ausgeschlossen. Das Boot sei versenkt worden, sagt die Staatsanwältin jetzt; der Angeklagte soll Wasser hineingepumpt haben.

14 Versicherungen hatte er abgeschlossen, Gesamtvolumen: 4,149 Millionen Euro

Die Anklageschrift der Kieler Staatsanwaltschaft kann den Fall nur lückenhaft rekonstruieren. Demnach saß das Trio im Sommer 2018 beisammen und fasste den "Tatentschluss", wie es im Saal 232 des Landgerichts heißt. Die Ermittler fanden heraus, dass für den nachmals Verschwundenen damals 14 Lebens- und Unfallversicherungen abgeschlossen worden waren. In acht Fällen war seine Mutter begünstigt, in sechs Fällen seine Ehefrau. Gesamtvolumen: 4,149 Millionen Euro.

Die Behörden hatten recht bald den Eindruck, dass hier der Tod vorgetäuscht wurde, um die Versicherungssumme zu ergaunern. Offenbar waren die Drei der Meinung, dass eine Todeserklärung der Polizei ausreichen würden, ehe sie bemerkten, dass dafür ein Beschluss des Amtsgerichts nötig ist. Als die Frau diesen beantragte und das Geld eintreiben wollte, flog der Schwindel endgültig auf. Den angeblichen Toten entdeckten Fahnder sehr lebendig, wenn auch etwas versteckt, auf dem Dachboden einer Villa in der niedersächsischen Gemeinde Schwarmstedt.

Sie durchsuchten das Haus und wurden dem Vernehmen nach fündig, als ein Beamter den Speicher mit seiner Taschenlampe durchleuchtete. Da blitzte ein Gegenstand auf - der Ehering des Gesuchten an seiner Hand. Zwei maskierte Polizisten mit Helm führten den 52-Jährigen hinaus, eine Decke über dem Kopf. Er war also nicht in der Ostsee ertrunken, sondern hatte sich zuletzt hinter Kisten in einem Dachgeschoss im Heidekreis verschanzt, das vorläufige Finale eines bizarren Bluffs.

Der Angeklagte scheint ein Wiederholungstäter zu sein

Versicherungen sind schon auf alle möglichen Arten betrogen worden, auch in ähnlichem Stil. In Itzehoe in Schleswig-Holstein zum Beispiel wurde 2001 ein Hamburger Tauchlehrer zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er im April 1994 auf der Unterelbe nach der Explosion eines Kutters seinen Tod inszeniert haben soll, um über eine Versicherungspolice eine Million Mark zu kassieren. Fünf Jahre lang soll der fidele Tote um die Welt geflüchtet sein, Zeugen wollen ihn in Thailand und Portugal gesehen haben. Polizisten spürten ihn 1999 in Berlin auf, vor dem Haus seines Vaters.

Den jetzt beschuldigten Kieler, der in Niedersachsen gefasst wurde, kannte die Justiz bereits. Gegen ihn erging schon ein Urteil wegen mutmaßlichen Kreditbetrugs, das aber noch nicht rechtskräftig ist. Nun sitzt der Verdächtige seit sieben Monaten in Untersuchungshaft, seine Frau kam unter Auflagen bald wieder frei. Sie hatte sich in einer Vernehmung zunächst geäußert, die zuständigen Polizisten sollen in der kommenden Woche als Zeugen auftreten. Die Richter haben zehn Verhandlungstermine vorgesehen. Ende Januar 2021 könnte dann feststehen, wie hoch der Preis für den erfundenen Tod im Meer für diese Familie ausfällt.

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