Süddeutsche Zeitung

Prozess:Sechs Jahre Haft für Stiefmutter wegen Kindesmisshandlung

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Das Zuhause sollte für ein Kind ein Ort des Schutzes und der Geborgenheit sein. Für einen heute 25-jährigen Saarländer war es während seiner Kindheit und Jugend das grausame Gegenteil: Seit seinem vierten Geburtstag schlug ihn seine Stiefmutter, sie trat und demütigte ihn, schlug ihm Zähne aus, brach ihm Arme, ließ ihn hungern und auf dem Boden eines nicht geheizten Wintergartens schlafen.

Das Landgericht Saarbrücken, das sich seit sieben Monaten mit dem Fall beschäftigte, verurteilte die 54-Jährige Stiefmutter nun wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu sechs Jahren Gefängnis. Der Vater des Jungen, der nach eigener Aussage von den Vorfällen nichts mitbekommen hatte, wurde wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Die Kammer hatte keinerlei Zweifel an den Aussagen des Opfers - sie alle standen im Einklang mit umfangreichen medizinischen Gutachten, die Missbildungen und Mangelernährung belegten. Als dem Jungen mit 17 Jahren die Flucht zum Jugendamt gelang, wog er nur 40 Kilo. So genannte Blumenkohlohren und erhebliche Fehlhaltungen beider Arme zeugen von ständiger und jahrelanger Gewalteinwirkung und nicht versorgten Brüchen.

Rolle des Vaters offen

"Es ging nicht darum, dass dem Jungen im Einzelfall mal eine Ohrfeige verpasst wurde", sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lauer, "sondern diese Behandlung hatte System. Der Junge wurde über viele Jahre entsprechend gequält." Das Kind sei "völlig menschenunwürdig" behandelt worden. Man spreche von Körperverletzung "aus gefühlloser Gesinnung", wenn jemand jegliches Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren habe. "Das liegt hier auf der Hand", sagte Lauer. "Anders kann man eine solche Behandlung gegenüber einem kleinen Kind oder Jugendlichen nicht erklären."

Offen blieb die Rolle des Vaters, einem Lastwagen-Fahrer. Möglicherweise, räumte der Richter ein, müsse dieser "doch mehr gesehen und gewusst haben", als man heute hätte feststellen können. Zumindest 2007, nach dem Besuch eines Mitarbeiters des Jugendamtes, das der Junge um Hilfe gebeten hatte, habe er von der Mangelernährung seines Sohnes gewusst.

Zugunsten beider Angeklagten musste die Kammer nicht nur berücksichtigen, dass die Taten im saarländischen Losheim sehr lange zurückliegen, sondern auch die Dauer des Verfahrens: Sechs Jahre sind vergangen, seit der Junge die Anzeige gegen Stiefmutter und Vater erstattet hatte. Umfangreiche rechtsmedizinische und psychiatrische Gutachten schlossen sich an.

Keine Entschuldigung für den Sohn

Bis zum Schluss bestritten beide Angeklagten die Vorwürfe. Vergebens hatte der Richter noch zu Beginn des Verfahrens an die Stiefmutter appelliert, zu gestehen und dem Sohn die Zeugenaussage zu ersparen, da aufgrund des Berichtes des Rechtsmediziners kein Zweifel bestehe, dass die Taten so stattgefunden hätten. Doch auch das letzte Wort vor der Urteilsverkündung nutzten die Angeklagten am Donnerstag nicht für eine persönliche Erklärung, für ein Bedauern oder gar für eine Entschuldigung an ihren Sohn.

Der 25-Jährige selbst, der auf der Zuschauerbank saß, wollte sich nach dem Urteil nicht äußern. "Ich muss das erstmal sacken lassen", sagte er. Seine Anwältin bilanzierte: "Wir sind zufrieden." Ziel ihres Mandanten sei es mit diesem Prozess gewesen, die Geschehnisse endlich abschließen zu können.

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