Prozess: Lehrerin erstochen:Das letzte Wort spricht der Hass

Der Schüler Gero S. hat seine Lehrerin monatelang verfolgt und dann erstochen. Er bereut es nicht. Sein Schlusswort im Prozess wird zu einer fürchterlichen Hasspredigt.

Ralf Wiegand

Es muss etwas Außergewöhnliches geschehen sein, wenn am Ende der Plädoyers in einem Strafprozess die Zuschauer auf ihren Bänken sitzen bleiben, so schockiert, als seien sie gerade Zeugen eines Unfalls geworden. Wenn der Anwalt des Täters zu den Eltern des Opfers geht und sich entschuldigt, ratlos, fassungslos. Wenn der Staatsanwalt, ein alter Haudegen, ein Medienprofi, erst einmal eine Pause braucht, um Worte zu finden.

Prozess: Lehrerin erstochen: Nach dem Mord an Heike B. im Dezember 2009 erinnern Bilder und Kerzen an die Lehrerin.

Nach dem Mord an Heike B. im Dezember 2009 erinnern Bilder und Kerzen an die Lehrerin.

(Foto: APN)

Im Bremer Landgericht, Saal 218, ist genau das am Freitag geschehen, weil wohl selten in einem deutschen Gericht derart Böses, Menschenverachtendes, etwas so Obszönes und seelisch Grausames gesagt werden durfte wie im Schlusswort des Angeklagten im sogenannten Stalking-Prozess von Bremen.

Gero S., 21, tötete sein Opfer ein zweites Mal, diesmal mit Worten. Er verletzte dabei die Eltern der jungen Frau, die kaum drei Meter neben ihm saßen, indem er seinem Opfer nachträglich erneut das Recht auf Leben absprach, es übel beschimpfte, sich für seine Tat rühmte, sich aber "schämte, nicht den Mut gefunden zu haben, sie schon früher zu töten", sie beleidigte mit rohen, unflätigsten Beschimpfungen.

Richter stoppt die Hasspredigt nicht

Das Recht auf das letzte Wort ist ein essentielles im Strafrecht; wird es dem Angeklagten verwehrt, ist das ein Revisionsgrund. Gero S. kennt sich ein bisschen aus mit so etwas, er hat einen IQ von 136. Das Recht auf das letzte Wort ist aber nicht schamlos auszunutzen in jedweder Weise, denn wenn der Angeklagte es missbraucht, wenn er es etwa zu Ehrabschneidungen benutzt, zu Verunglimpfungen, dann kann ihn der Richter ermahnen und ihm sogar das Wort entziehen.

Der Vorsitzende Richter in Bremen, Helmut Kellermann, hat das nicht getan. Der Staatsanwalt war dem Angeklagten zwar ins Wort gefallen - "was machen Sie denn hier?", fragte Uwe Picard -, der Angeklagte aber erwiderte: "Sie haben jetzt nicht das Recht, zu reden, Sie haben schon geredet." Richter Kellermann rügte den Staatsanwalt milde und ließ Gero S. gewähren. Vielleicht war er sich nicht sicher, ob er ihn stoppen durfte, vielleicht wollte er aber auch die Boshaftigkeit dieser Worte so stehen lassen, diese Hasspredigt. Denn die Niedertracht, die aus einer Tötung einen Mord macht, kann sich auch im Verhalten nach einer Tat zeigen. Sie zeigte sich vernehmlich.

Therapie ohne Erfolg

Die Tat selbst ist erschreckend genug. Gero S. ist Schüler des Gymnasiums in Osterholz-Scharmbeck, vor den Toren Bremens. 2007 kommt er in den Bioethik-Kurs von Heike B., er belegt ihn bewusst, die Lehrerin findet er gut.

S. ist ein einsamer junger Mann und ein auffälliger Schüler, er hat schon 2004/2005 zwei Mitschülerinnen verfolgt, Stalking auch das. Bald beginnt er, seine Lehrerin zu bedrängen, er berichtet ihr von seinen Schwierigkeiten, mit dem Leben klarzukommen, will Lebenshilfe von ihr, äußert Selbstmordabsichten. Schließlich gesteht er ihr seine Liebe. Sie versucht ihm anfangs zu helfen, führt lange Gespräche. Er beginnt, sie vor dem Lehrerzimmer abzufangen, sie steigt aus dem Fenster. Er droht wieder, sich umzubringen, sie schaltet die Polizei ein, informiert die Schulleitung.

Gefangenhalten, quälen, vernichten

Bei einer Hausdurchsuchung - Gero S. lebt bei seiner Mutter - finden die Beamten Schwarzpulver und Waffen. Eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik scheitert vor Gericht. S. macht eine erfolglose Therapie.

Gerhard Lunkmoss, Gero S.

Keine Reue: Gero S. (rechts) soll seine Lehrerin mit 20 Stichen ermordet haben.

(Foto: APN)

Der Schulleiter unternahm nichts

Er verfolgt Heike B. weiter. Sie bittet nun die Schulleitung, S. aus ihrem Kurs zu nehmen. Der Schulleiter tut das nicht, er schlägt stattdessen vor, Heike B. solle Gero S. allein betreuen. Staatsanwalt Piccard nannte das Verhalten des Schulleiters in seinem Plädoyer "stümperhaft": Die junge Frau habe alles getan, was Stalking-Opfer tun müssen; sie habe sich ihren Vorgesetzten anvertraut, sie habe dem Täter klargemacht, er solle sie in Ruhe lassen. Geholfen wurde ihr von der Schulleitung nicht. Die Eltern des Opfers haben Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Schulleiter eingereicht.

Als Gero S. im Frühjahr 2009 nicht zum Abitur zugelassen wird und das Gymnasium verlassen muss, hört er nicht auf, Heike B. zu verfolgen. Er fotografiert und filmt sie über Monate, fühlt sich von ihr verraten und gleichzeitig angezogen, hat längst Tötungsphantasien und beginnt, die Tat vorzubereiten.

Probehalber steigt er schon mal in ihre Wohnung ein. Er verfasst einen 260 Seiten langen Katalog mit 6500 Fragen, die er ihr in einem "Verhör" stellen will. Er möchte die Antworten aufzeichnen, den USB-Stick nach dem Verhör und der Ermordung seines Opfers vergraben und irgendwann, wenn er wieder in Freiheit wäre, anhand der Filme und Aufnahmen das Leben von Heike B. weiterführen. So erzählt er es vor Gericht bei seinem Geständnis in eiskalter Offenheit in allen Details. Er wollte Heike B. gefangenhalten, quälen, vernichten.

Verfolgung per GPS-Tracker

Am 18. Dezember klebt er einen GPS-Tracker an das Auto der 35-Jährigen vor der Schule, fährt mit dem Rad zu ihrer Wohnung. Er kann nun per Satellit sehen, wo sie ist. Als sie ankommt, geht er auf dem Parkplatz auf sie zu, sie weist ihn zurück, es kommt zum Streit. Weil Zeugen in der Nähe sind, verwirft S. seinen Verhörplan und tötet Heike B. mit 20 Messerstichen. Dann ruft er die Polizei.

Gutachter halten Gero S., der sich seit der Tat nach eigenem Bekunden "psychisch viel besser" fühlt, für schwer gestört und für wahrscheinlich dauerhaft gefährlich. Der Staatsanwalt plädiert auf Mord, S. soll 15 Jahre ins Gefängnis und in die Psychiatrie eingewiesen werden. Die Experten bezweifeln, ob er je therapiert werden kann. Der Anwalt, ein Pflichtverteidiger, fordert zehn Jahre wegen Totschlags, weil S. gar nicht anders gekonnt habe als zu töten. Auch er ist fassungslos über die Kälte des Angeklagten, während des Schlusswortes hält er sich die Hände vor die Augen. Bei seiner Entschuldigung an die Eltern kann er Tränen nur mühsam unterdrücken.

Die Eltern waren Nebenkläger in dem Prozess, der am Montag mit dem Urteil zu Ende gehen soll. Sie haben Unmenschliches ertragen. Sie sagen: "Ein Opfer war genug. Weitere müssen verhindert werden."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: