Prozess:"In Syrien hat die Frau keine Rechte"

Syrian refugee facing trial of attempted murder of his children

Hassan Z. in einem Gerichtssaal im Landgericht in Bonn.

(Foto: dpa)
  • Im Prozess gegen Hassan Z. sagte am zweiten Verhandlungstag seine Frau aus. Der Angeklagte musste dafür den Raum verlassen: Er redete dazwischen, weinte und war von seinem Anwalt schwer unter Kontrolle zu bringen.
  • Der 35-Jährige soll seine Frau mehrmals mit einem Topf ins Gesicht geschlagen und ihr anschließend gedroht haben.
  • Hassan Z. ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, im Februar seine drei Kinder aus dem Fenster geworfen zu haben.

Aus dem Gericht von Bernd Dörries, Bonn

"Holt den Strick" zischt es im Gerichtssaal. "Hängt ihn auf", sagt ein anderer in der zweiten Reihe. Es tagt am Dienstagvormittag nicht nur die Große Kammer des Landgerichts Bonn. Es tagt auch der vermeintliche Volkswille, der den Tod des Angeklagten fordert. Mitten in einem deutschen Gerichtssaal. Vielleicht hört es der Richter nicht, vielleicht ist es ihm egal. Justizbedienstete werden aus dem Publikum gebeten, die Rufe nach Lynchjustiz zu unterbinden, nichts passiert. "Hängt den Ziegenhirten", fordert die kleine Gruppe in Reihe zwei. Es ist die Hasssprache aus dem Netz, die mal in der Realität getestet wird.

Hassan Z., 35, ist wegen versuchten Mordes angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, seine drei kleinen Kinder aus dem Fenster der Wohnung im ersten Stock einer Flüchtlingsunterkunft geworfen zu haben. Aus Wut, weil ihm seine früher in Syrien so gehorsame Frau zu viele Freiheiten einforderte, sagt die Staatsanwaltschaft.

Hassan Z. war schon einmal verheiratet, hat Frau und Kind verloren

Am ersten Verhandlungstag kommt Hassan Z. mit nacktem Oberkörper und dem T-Shirt über den Kopf in den Gerichtssaal, zum Schutz vor den Fotografen. Er wirft sich auf den Boden und will nicht mehr aufstehen, er redet in einem fort oder versinkt in Tränen zwischen den Armen. Am Dienstag eine Woche später ist er aggressiv, fordert den Ausschluss der Fotografen, obwohl schon lange keiner mehr fotografiert. Er küsst ständig seinen Koran, den er selbst nicht lesen kann, es nie gelernt hat. Er redet dazwischen, er weint, er ist auch von seinem Anwalt schwer unter Kontrolle zu kriegen. Für die Aussage seiner Frau muss er den Raum verlassen.

Die 32-jährige Ehefrau und ihr angeklagter Mann kommen aus demselben Dorf in Syrien, die Heirat wurde von der Familie arrangiert, das Paar kannte sich nicht. Man weiß nicht viel übereinander. Hassan war schon einmal verheiratet, hat Frau und Kind bei einem Autounfall verloren, trägt den Namen des Sohns auf dem Oberarm tätowiert. Die Frau sagt, sie wisse nichts von einer früheren Ehe ihres Mannes.

Ihr erstes Jahr mit Hassan Z. war trotzdem gut, sagt sie. Der Mann hat einen Gemüsestand, die Frau bekommt das erste Kind. Die nächsten Jahre sind ein stetes Wechselspiel von Streit und Versöhnung. Immer neue Kinder kommen, die Konflikte gehen nicht. Sie reisen nach Deutschland, über die Türkei, Bulgarien und Frankreich bis nach Lohmar bei Bonn.

Das Ehepaar streitet, versöhnt sich - er schlägt sie wieder

Im Oktober 2015 kommen sie an, am 4. Januar schmeckt Hassan das Essen nicht, er schlägt seine Frau drei Mal mit dem Topf ins Gesicht. Die Ehefrau sagt zum ersten Mal in ihrem Leben: Es reicht, ich zeige dich an. In Syrien hätte sie das nicht gemacht. "Dort hat die Frau keine Rechte." In Deutschland sei das anders.

Der Mann ist nach zehn Tagen wieder da. Man versöhnt sich, er schlägt sie wieder. Wenn du mich noch mal anzeigst, werfe ich die Kinder aus dem Fenster, droht er. Am 4. Februar tut er es. Eines nach dem anderen. Als die Frau auf die Straße kommt, sieht sie nur Blut, sie denkt an einen Verkehrsunfall. Vom "Unfall" sprechen bis heute alle Beteiligten vor Gericht, auch der Vorsitzende Richter.

Die Kinder überlebten, leiden bis heute. Das sieben Jahre alte Mädchen und der fünfjährige Junge erlitten Schädelfrakturen, die einjährige Tochter wurde leichter verletzt - sie fiel auf ihren Bruder. Wie es ihr heute geht, wird die Mutter gefragt: "Schlecht", sagt sie, "ständig kommen Leute zu mir und sagen, deine Familie muss deinen Mann töten." Ein paar Deutsche im Publikum nicken. In diesem Punkt ist man sich einig.

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