Süddeutsche Zeitung

Prozess in Rom:Der Einäugige, der Rote und die Hauptstadtmafia

Lesezeit: 2 min

Von Oliver Meiler, Rom

146 Prozesstage sind anberaumt

Eine Anklagebank wäre zu kurz, es braucht einen ganzen Saal. Wenn an der Piazzale Clodio in Rom an diesem Donnerstag der sogenannte "Maxi-Prozess" im Fall "Mafia Capitale" beginnt, werden 44 Angeklagte erwartet. Die beiden Hauptangeklagten, die Chefs der Organisation, noch nicht mitgerechnet.

Massimo Carminati - auch als "er cecato" bekannt, der Einäugige, seit er nach einem Schusswechsel ein Auge verloren hat - sitzt in Parma im Gefängnis, es gilt die höchste Sicherheitsstufe. Salvatore Buzzi, "il rosso", der Rote, Unternehmer mit linken Freunden, in Nuoro, Sardinien. Beide sollen im Verlauf des Prozesses per Video zugeschaltet werden. 146 Tage sind für die Verhandlung anberaumt, bis Juli kommenden Jahres soll das Spektakel dauern.

Kontakte in die Verwaltung

Bisher war es so, dass es das mafiöse Phänomen in seiner organisierten Form vor allem in den südlichen Regionen Italiens gab: Sizilien hat die Cosa Nostra, Kalabrien die 'Ndrangheta, Apulien die Sacra Corona Unita, Kampanien die Camorra. Weiter nördlich gab es nur mehr oder weniger große Ableger dieser Organisationen. Der "Maxi-Prozess" wird nun offenbaren, dass auch Rom spätestens seit 2008 eine Mafia hatte. Die "Mafia Capitale" eben.

Ein Krake, dessen Tentakel in alle Büros der römischen Stadtverwaltung reichte, der sich Aufträge ohne Wettbewerb sicherte, schmierte und erpresste, Flüchtlingszentren verwaltete, Lager für Roma, den Abfalldienst, die Sozialwohnungen. Carminati, ein rechtsextremer Ex-Terrorist, war der Boss. Buzzi, Betreiber vieler windiger Kooperativen, schuf die Kontakte in die Verwaltung.

Mehrere Verhaftungswellen

Bei mehreren Verhaftungswellen hat die Polizei seit vergangenem Dezember Dutzende Beamte und Lokalpolitiker festgenommen, linke wie rechte, die sich kaufen lassen hatten. Manche kassierten für ihre Gefälligkeiten monatliche Entschädigungen vom Kartell. Die konnten sich auch auf mehrere Tausend Euro belaufen.

Luca Odevaine etwa, ein linker Politiker, der im italienischen Innenministerium an jenem Tisch saß, an dem der Umgang mit dem Flüchtlingsproblem organisiert wurde, erhielt 20 000 Euro im Monat dafür, dass er die Unterbringung und die Verpflegung der Migranten den immer gleichen Unternehmen zuschanzte. Andere Angeklagte ließen sich ihre Hilfe mit Jobs für Familienangehörige abgelten. So wuchs das System zusehends zu einer Struktur, zu einer Mafiaorganisation.

So jedenfalls sieht es die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Und so sieht es auch der Richter, der in einigen Fällen diese Woche bereits ein Urteil gefällt hat - im Schnellverfahren, auf deren Wunsch und nach deren Schuldgeständnis. Sie konnten so ihre Strafe um ein Drittel verringern. In einem Fall sah es der Richter als erwiesen an, dass der Angeklagte zur Bildung einer mafiösen Organisation beigetragen hatte.

Die Verteidiger wollen in dem am Donnerstag beginnenden Prozess auf Korruption plädieren - in der Hoffnung, dass ihre Mandanten sachte angefasst werden. Wenn ihnen die Mitgliedschaft in einer Mafia nachgewiesen wird, drohen ihnen deutlich höhere Strafen - allen, nicht nur dem "Einäugigen" und dem "Roten".

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