Der 17. Prozesstag:Pistorius bricht Befragung aus Erschöpfung ab

Seinen ersten Tag im Zeugenstand beendet Oscar Pistorius frühzeitig. Während seiner Befragung hat der Paralympics-Star immer wieder geweint und von seinen Erfahrungen mit Gewalt berichtet. Seine Familie sei mehrmals entführt worden, er selbst verfolgt - und seine Mutter habe aus Angst vor Einbrechern immer mit einer Waffe unterm Kopfkissen geschlafen.

Die Entwicklungen des Prozesstags. Von Jana Stegemann

  • Oscar Pistorius im Zeugenstand - sein Verteidigerteam um Anwalt Barry Roux ist am Zug
  • Angeklagter berichtet unter Tränen, entschuldigt sich bei der Familie von Reeva Steenkamp
  • Mehr als 20 Zeugen haben inzwischen ausgesagt - viele Fragen offen
  • Rechtsmediziner zweifelt Zeitpunkt von Steenkamps letzter Mahlzeit an
  • Befragung von Pistorius wird vorzeitig beendet

Verteidigung am Zug: Sind die Schüsse in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 2013 absichtlich gefallen? Wie war Oscar Pistorius' Beziehung zu seiner Freundin Reeva Steenkamp? Was geschah am Vorabend? Wer schrie? Das sind die Fragen, die jetzt im Prozess geklärt werden müssen. An diesem Montag hat das Verteidigerteam um Anwalt Barry Roux mit seiner Beweisaufnahme begonnen. In etlichen Punkten widerspricht die Version von Pistorius den Darstellungen der Staatsanwaltschaft . Pistorius hat sich bislang einzig im vergangenen Februar in einer eidesstattlichen Erklärung offiziell zu der Nacht geäußert (hier in voller Länge).

Pistorius im Zeugenstand: Um 12:04 Uhr wird Pistorius in den Zeugenstand gerufen. Seine Stimme bricht immer wieder, er weint. Er entschuldigt sich bei Reeva Steenkamps Familie, die im Gericht sitzt. Die Richterin bittet ihn, lauter zu sprechen. Pistorius sagt zu Steenkamps Familie: "Jeden Morgen wache ich auf und bete als Erstes für Sie."

"I want to apologise to Reeva's family, to those of you who knew her and are here today. There is not a moment and there hasn't been a moment since this tragedy happened that I haven't thought about your family. I wake up in the morning and you're the first people I think of, the first people I pray for. I can promise that when she went to bed that night she felt loved."

Dann fügt der 27-Jährige an: "Ich wollte Reeva nur beschützen." Seit Steenkamps Tod leide er unter "fürchterlichen Albträumen, ich rieche das Blut und wache entsetzt auf." Er nehme außerdem Antidepressiva und Schlaftabletten.

Oscar Pistorius Is Tried For The Murder Of His Girlfriend Reeva Steenkamp

Oscar Pistorius sucht Trost bei seinen Angehörigen.

(Foto: Getty Images)

Anwalt lässt Pistorius aus seinem Leben erzählen: Pistorius wird von seinem Verteidiger Roux gebeten über seine Kindheit zu berichten. Weil sein Vater sich kaum um die Familie gekümmert habe, habe die Mutter nachts immer Angst gehabt. "Sie schlief mit einer Pistole unter ihrem Kopfkissen", erinnert sich Pistorius. Als der 15 Jahre war, starb seine Mutter ("Eine sehr religiöse Frau"). "Meine Eltern wollten immer, dass ich trotz meiner körperlichen Behinderung viele Sportarten ausprobiere." Pistorius sagt, dass er sich immer "sehr verletzlich" fühle. Wie es Pistorius ohne Prothesen gehe, fragt Roux. "Ich kann ohne sie das Gleichgewicht nicht halten", sagt der Sportler, "Darum liegen sie immer neben meinem Bett, damit ich sie morgens als Erstes anziehen kann, wenn ich aufstehe." In der Tatnacht will Pistorius, so hat er es in einer ersten Befragung gesagt, jedoch keine Prothesen getragen haben.

Roux thematisiert danach Pistorius' Engagement für die Opfer von Landminen, bevor er den schweren Speedbootunfall im Jahr 2009 anspricht, infolgedessen der Sportler mehrere Tage im Koma lag. Südafrikanische Medien vermuteten damals, dass Pistorius während des Unfalls betrunken gewesen sei - dem widerspricht der Angeklagte vehement. "Ich habe fast mein Leben verloren, ich weiß wie wertvoll das Leben ist."

Pistorius spricht über seine Erfahrung mit Gewalt in Südafrika: "Ich glaube, Sir, jeder in Südafrika hat schon einmal Erfahrung mit Gewalt gemacht. Bei uns wurde mehrmals eingebrochen. Was nicht mitgenommen wurde, war zerstört. Mein Vater wurde zweimal entführt, mein Bruder wurde entführt." Pistorius gibt an, mehrmals nach Hause verfolgt worden zu sein, außerdem sei bei ihm eingebrochen worden. Während eines Vorfalls - mehrere Männer hätten die Scheiben eines Taxis mit Steinen eingeworfen und den Taxifahrer angegriffen - habe er seine Waffe gezogen und auf die Angreifer gezielt. Um sich zu schützen, habe er zwei Wachhunde gekauft, einen Jack Russel Terrier und nach dessen Tod einen Pitbull.

Verhandlung wird geschlossen: Pistorius' Verteidiger wendet sich an die Richterin. Sein Mandat sei erschöpft, habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Ob es möglich wäre, die Befragung morgen weiterzuführen? Die Richterin nickt, Staatsanwalt Nel lässt sich widerwillig darauf ein: "Wenn das nicht zur täglichen Regel wird". Pistorius verlässt den Zeugenstand, umarmt seine Schwester Aimee. Seine Familie schirmt ihn ab, sein Psychologe streicht ihm über den Rücken.

Oscar Pistorius murder trial

June Steenkamp, die Mutter der getöteten Reeva, während der Aussage von Pistorius.

(Foto: dpa)

Aussage des Forensikers: Am Vormittag, bevor Pistorius aussagen muss, wird der forensische Pathologe John Botha in den Zeugenstand gerufen. Botha sagt, er habe von 1975 bis zu seinem Ruhestand 2010 mehr als 25 000 Autopsien an getöteten Menschen durchgeführt - an Reeva Steenkamps Autopsie habe er jedoch nicht teilgenommen. Botha sollte die Sicht der Verteidigung stützen, dass Steenkamp nicht zwei Stunden vor den tödlichen Schüssen gegen 3 Uhr nachts noch gegessen habe. Das hatte ein Polizeiforensiker zuvor ausgesagt. Pistorius hatte betont, er und seine Freundin seien gegen 22 Uhr zu Bett gegangen. Botha verwies auf die wissenschaftlichen Unsicherheiten bei der gerichtsmedizinischen Beurteilung der genauen Zeit. "Sie kann zwei Stunden vor ihrem Tod etwas gegessen haben, aber auch länger davor, das lässt sich exakt nicht bestimmen."

Dann thematisiert Botha die Schussverletzungen Steenkamps. Botha glaubt, dass Steenkamp nicht auf der Toilette gesessen hat, als sie von den Schüssen getroffen wurde. Er glaubt, dass sie in einer gekrümmten Position gesessen habe und dass sie sofort tot war: "Ich denke, sie starb kurz nachdem sie getroffen wurde." Nach Lage der Beweise jedoch muss das Opfer gestanden haben, als Pistorius schoss und Steenkamp muss nach den Schüssen noch länger gelebt haben. Im Kreuzverhör lässt Staatsanwalt Nel sehr deutlich werden, dass er Bothas Aussagen für wenig glaubwürdig hält. "Sie waren nicht am Tatort. Sie waren nicht bei der Autopsie. Sie haben nur Fotos gesehen." Botha wird während der Befragung durch Gerrie Nel immer nervöser. Er widerspricht sich häufig.

Weiterführende Links:

Wessen Aussage entlastet Pistorius? Wer belastet ihn? Alle bisherigen Zeugenaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst und bewertet.

Was seit dem 14. Februar 2014 geschah: Eine Chronologie der Ereignisse.

Richter, Anwälte, Ankläger: Die wichtigsten Personen und Fakten zum Prozess.

War es Absicht? Die wichtigsten Fragen, denen sich Pistorius nun stellen muss.

"Ende einer Ikone": Porträt eines einst umjubelten Athleten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: