Süddeutsche Zeitung

Prozess in Norristown:Cosbys Schweigen

Es ist Halbzeit im Prozess gegen Bill Cosby, bislang hat der 79-jährige US-Star zu sämtlichen Vorwürfen geschwiegen. Da es für ihn nicht besonders gut aussieht, könnte sich das bald ändern.

Von Jürgen Schmieder, Norristown

Es lohnt sich in diesem Strafprozess, der oft einer Theaterinszenierung gleicht, die Figuren zu beobachten. Die Gesichtsmuskeln des Angeklagten Bill Cosby zum Beispiel sind so aktiv wie zu besten Fernsehtagen, als Cliff Huxtable in "The Cosby Show" sämtliche Probleme der Welt mit einer ulkigen Grimasse gelöst hat. Cosby kichert mit wippenden Schultern und vor den Mund gehaltener Faust, wenn seinem Chefverteidiger Brian McMonagle eine suggestive Frage gelingt, die aus einer Zeugin in diesem Missbrauchsprozess die Initiatorin einer Verschwörung macht.

Der Gerichtssaal ist eine Bühne, die Jury das Publikum und die Anwesenden Darsteller in einem grotesken Spektakel.

So sehr sich Cosby aber auch müht, den sorglosen Unschuldigen zu geben: Es sieht nach der Hälfte des Prozesses nicht gut aus für ihn, es gibt ein paar nicht zu leugnende Tatsachen bei diesem Fall, bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft. Cosby hat im Januar 2004 einer 35 Jahre jüngeren Frau drei Pillen gegeben, sie danach intim berührt und sich selbst mit der Hand der Frau befriedigt. Geklärt werden muss, was genau in diesen Pillen enthalten war, ob das mutmaßliche Opfer Andrea Constand sie freiwillig genommen und die Berührungen Cosbys womöglich gar genossen hat.

Hin und wieder sieht Cosby aus wie jemand, der vergnügt registriert, was er da hört, weil das Gesagte seiner Interpretation der Geschehnisse dient: Seine Verteidiger beschreiben etwa den Griff an die Innenseite des Oberschenkels als "romantische Geste", den Missbrauch einer Machtposition als "Flirten" oder - und darauf muss man im Jahr 2017 erst einmal kommen - ein Schlafmittel als so harmlos wie ein Gläschen Wein, das Anbieten solcher Pillen als akzeptable Strategie, die Stimmung bei einer Verabredung zu lockern.

Es gibt aber auch Momente während der ersten Verhandlungswoche, da blickt Cosby so, als hätte jemand seinen Kopf eingefroren und eine 20-Kilo-Hantel darauf gelegt. Mehr als eine Stunde lang verharrte er in dieser Pose, dann führte er seine rechte Hand zum Hals, als wolle er den Knoten lösen, der ihm die Luft abschneidet. Zum Beispiel bei der Aussage eines Polizisten, die nahelegt, dass es sich bei den Pillen nicht, wie von Cosby behauptet, um Benadryl gehandelt hat, sondern um das viel wirkungsvollere Methaqualon.

Es wird auch eine Aussage von Cosby aus dem Jahr 2005 verlesen, bei der er zugegeben hat, sich Pillen besorgt zu haben mit dem Ziel, mit jungen Frauen zu schlafen. Eine Psychologin begründet, dass es völlig normal sei, sexuellen Missbrauch erst Monate danach zu melden.

Der einstige Vorzeigevater des US-Fernsehens will sein Image aufpolieren

Es geht in diesem Fall viel zu selten um Wahrheit und viel zu oft darum, dem Publikum eine glaubhafte Inszenierung zu liefern. Es gibt noch andere Figuren in diesem Saal, die nur selten oder gar nicht sprechen und genau deshalb so interessant zu beobachten sind: Cosby-Verteidiger McMonagle etwa, der sich im Gerichtssaal so positioniert, dass er zwar neben seinem Mandanten sitzt, jedoch jederzeit die Person im Zeugenstand, die Geschworenen oder die Leute auf der Galerie mit gewaltigen Gesten oder entrüstetem Minenspiel adressieren kann.

Oder die vielen mutmaßlich Betroffenen, die im Gerichtssaal anwesend sind. Dem Schauspieler und Entertainer haben etwa 60 Frauen in den vergangenen Monaten sexuelle Belästigung, Missbrauch oder Vergewaltigung vorgeworfen. Weil die meisten Fälle aber verjährt sind, bleibt diesen Frauen heute nur der Gang zum Zivilgericht: Mindestens sieben Zivilklagen wegen Verleumdung, sexueller Nötigung oder sexueller Belästigung haben 13 Frauen in drei Bundesstaaten gegen Cosby angestrengt.

Es lohnt im Gerichtssaal auch hin und wieder darauf zu achten, wer oder was nicht zu sehen ist. Das ist bei dieser Aufführung Cosbys Ehefrau Camille, mit der er seit mehr als 50 Jahren verheiratet ist. Es wird gerade heftig spekuliert, ob sich Camille Cosby die pikanten Einzelheiten ersparen und aufgrund der zahlreichen Affären ihres Mannes nicht öffentlich gedemütigt werden will - oder ob sie ihren Ehemann einfach nicht unterstützen möchte. Während einer Verhandlung, bei der jedes einzelne Detail, jede kleine Geste und jeder Gesichtsausdruck einstudiert ist, um die Geschworenen für sich zu gewinnen, fällt dieses Fehlen natürlich auf.

Möglicherweise wird Camilla Cosby einen Auftritt erst ganz am Schluss haben, wie Cosby-Sprecher Andrew Wyatt sagt: "Ich überlege gerade, was der günstigste Tag dafür sein könnte." Cosby selbst hat bisher geschwiegen. Er hatte vor Prozessbeginn erklärt, keinesfalls aussagen zu wollen, um sich nicht selbst in Bedrängnis zu bringen. Weil es nun aber wahrlich nicht gut läuft, könnte sich diese Strategie noch ändern. Wyatt sagt dazu: "Wir wägen unsere Möglichkeiten ab, bei einem Fall dieser Größenordnung sollte man nichts ausschließen."

Cosby lässt sich jeden Tag von Frauen zum Gericht führen, von seiner Fernseh-tochter Keshia Knight Pulliam etwa oder Komödien-Partnerin Sheila Frazier. Alles fürs Image des frauenverstehenden Vaters der Nation, als der er sich selbst noch immer gerne sieht. Es ist kaum zu übersehen: Der in Ungnade gefallene einstige Vorzeigevater des US-Fernsehens versucht mit aller Macht, sein Image aufzupolieren.

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Quelle:
SZ vom 12.06.2017/feko
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