Prozess in Mannheim:Frau ließ todkranken Sohn verhungern

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Überforderung und falsche Mutterliebe: Eine 30-Jährige hat vor dem Mannheimer Landgericht eingeräumt, ihren behinderten Sohn absichtlich nicht mehr ernährt zu haben. Sie habe das Leiden des Neunjährigen beenden wollen, erklärte die Angeklagte zum Auftakt ihres Verfahrens wegen Totschlags und Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Sie wollte ihr todkrankes Kind zu Hause sterben lassen: Zum Prozessauftakt hat eine 30-Jährige vor dem Landgericht Mannheim gestanden, ihren neunjährigen Sohn nicht ausreichend ernährt zu haben. Die sichtlich aufgewühlte Angeklagte äußerte sich zunächst nicht persönlich, sondern ließ ihren Anwalt eine Erklärung verlesen. Darin gab sie an, sie mache sich schwere Vorwürfe, als Mutter versagt zu haben.

Die zum Tatzeitpunkt drogenabhängige Frau hatte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Anfang 2010 beschlossen, den an einer unheilbaren Erbkrankheit leidenden Marcel daheim sterben zu lassen. Sie soll dem Kind wochenlang nichts zu essen gegeben haben. Ein Amtsarzt fand den Jungen schließlich verwahrlost und unterernährt in der Wohnung seiner Mutter vor. Er starb einige Wochen später in einer Klinik.

"Ich wusste nicht mehr, was ich ihm sagen sollte"

Die 30-Jährige muss sich wegen Totschlags und Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen verantworten. Außerdem wird ihr vorgeworfen, während dieser Zeit einem befreundeten Dealer ihre Wohnung für dessen Geschäfte überlassen zu haben.

Ihr Rechtsanwalt Steffen Lindberg schilderte in der Erklärung den Gesundheitszustand des Jungen, der nach Ansicht der Ärzte eine geringe Lebenserwartung hatte. Die Situation mit einem Kind, das seit 2009 taub und blind war und außerdem nicht mehr laufen und essen konnte, habe die drogenabhängige Angeklagte überfordert. Deshalb habe sie beschlossen, den Jungen in seiner gewohnten Umgebung sterben zu lassen, um sein Leiden zu beenden. Dazu habe sie ihren Sohn, der zur Nahrungsaufnahme eine Sonde gelegt bekommen hatte, nicht mehr ernährt.

Wie die Angeklagte später selbst aussagte, hätten ihr weder ihr damaliger Lebensgefährte - der Vater des Kindes - noch die Verwandten beigestanden. Da Marcel von 2009 an ans Bett gefesselt war, seien die Umstände immer schwieriger geworden. Auch die Konflikte mit dem immer wieder alkoholisierten und arbeitslosen Lebensgefährten sowie die Sorgen um den älteren Sohn hätten in dieser Zeit stark zugenommen. Auch habe sie nicht gewusst, wie sie sich gegenüber dem todkranken Kind verhalten sollte.

Zwar habe sie ihm Mut zusprechen wollen, doch dies sei schwierig gewesen. "Ich wusste gar nicht mehr, was ich ihm sagen sollte", führte die Frau vor Gericht an. Gewusst habe sie nur, dass sie es dem Sohn "so schön wie möglich machen wollte".

Inwiefern ein Versagen der Behörden in diesem Fall in Betracht kommt, wollte Rechtsanwalt Lindberg zum Prozessauftakt nicht kommentieren. Das Jugendamt hatte die sozial schwache Familie betreut. Die Staatsanwaltschaft ermittelt in der Sache mittlerweile gegen eine Mitarbeiterin des Amtes und zwei Mitarbeiter eines freien Trägers.

Die Angeklagte befindet sich seit Anfang Juni 2011 in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen sie wird am 20. Februar fortgesetzt.

© Süddeutsche.de/dapd/dpa/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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