Prozess in Karslruhe:Mord ohne Leiche

  • In Karlsruhe steht ein Mann vor Gericht, der seine Ehefrau ermordet haben soll. Doch von der Vietnamesin fehlt jede Spur.
  • Es geht nun um die Frage, ob ein Angeklagter verurteilt werden kann, wenn das Todesopfer nie gefunden wurde?
  • Mehrere spektakuläre Fälle haben in der Vergangenheit gezeigt, wie heikel die Angelegenheit ist.

Von Hans Holzhaider

Ein Mensch verschwindet: Sie ist Vietnamesin, 34 Jahre alt, sie wohnte mit ihrem Ehemann und zwei Kindern im Karlsruher Stadtteil Durlach. Der Ehemann, ebenfalls Vietnamese, 45 Jahre alt, meldet sie als vermisst - allerdings erst fast zwei Tage später. Ein verdächtiger Umstand? Die Polizei sucht nach der vermissten Frau, mit Hunden, Einsatzhundertschaften, Wärmebildkameras. Taucher durchsuchen einen Baggersee.

Die Frau wird nicht gefunden. Ihr Reisepass ist noch da - unwahrscheinlich, dass sie sich ins Ausland abgesetzt hat. Und warum hätte sie das tun sollen? Erst wenige Wochen zuvor hat sie in Karlsruhe ein Nagelstudio eröffnet. Würde sie ihre beiden Kinder einfach zurücklassen?

Eine juristische Gratwanderung

Nachbarn der Familie berichten von lautstarken Streitigkeiten zwischen den Eheleuten. Angeblich sei der Mann gewalttätig geworden. Er wird festgenommen, wieder freigelassen, wieder festgenommen. Am Dienstag begann vor dem Landgericht Karlsruhe der Prozess gegen den 45-Jährigen. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass er seine Frau "auf unblutige Weise" getötet und ihre Leiche in einem Koffer weggeschafft hat. Welche Beweise sie dafür vorlegen kann, wird sich erst zeigen. Verteidiger Hannes Linke sagt: "Ich gehe felsenfest von einem Freispruch für meinen Mandanten aus."

Kann man einen Angeklagten wegen Mordes oder Totschlags verurteilen, wenn das mutmaßliche Opfer nicht gefunden wurde? Man kann - aber es ist eine juristische Gratwanderung. "Wenn es kein Geständnis gibt, ist vieles, was ein Urteil begründen könnte, einfach nicht nachweisbar", sagt Steffen Ufer, einer der dienstältesten Strafverteidiger in Deutschland. Der Tatzeitpunkt, der Tathergang, die Todesursache - nichts davon lässt sich feststellen, wenn der Verdächtige schweigt und die Leiche nicht vorhanden ist.

Und wenn das Gericht trotzdem zu der Überzeugung kommt, dass der Angeklagte schuldig ist, dann ist immer noch die Frage der strafrechtlichen Bewertung offen: Mord oder Totschlag? "Die Beseitigung der Leiche ist noch lange kein Beweis dafür, dass eines der gesetzlichen Mordmerkmale erfüllt ist", sagt Ufer. Er erinnert sich an den Fall eines Mandanten, der angeklagt war, einen Bekannten ermordet zu haben, der ihn vermeintlich mit seiner Freundin betrogen hatte.

"Es gab eindeutige Spuren, dass eine Leiche zerteilt worden war, vielleicht sogar mit einer Kettensäge", sagt Ufer. Aber ob es ein Mord aus niedrigen Beweggründen oder ein Totschlag im Affekt war, das ließ sich daraus nicht ableiten. "Der Staatsanwalt hat alles versucht, aber das Gericht hat im Zweifel für den Angeklagten entschieden - zehn Jahre wegen Totschlags."

Spektakuläre Fälle in den vergangenen Jahren

Aber auch ein Geständnis führt nicht zwangsläufig zu einer Verurteilung, wenn das Fehlen einer Leiche eine objektive Beweisführung erschwert. Das haben mehrere spektakuläre Fälle in den letzten Jahren auf dramatische Weise gezeigt. Der Fall des fünfjährigen Pascal, der 2001 in Saarbrücken verschwand: Die Wirtin einer heruntergekommenen Kneipe und ein halbes Dutzend Männer und Frauen wurden beschuldigt, den Buben brutal sexuell missbraucht und mit einem Kissen erstickt zu haben.

Mehrere Angeklagte hatten detaillierte Geständnisse abgelegt und sie im Gerichtssaal wiederholt, später allerdings widerrufen. Das Gericht sprach sie nach fast dreijähriger Verhandlung alle frei; Pascals Leiche wurde bis heute nicht gefunden.

Auch von Peggy fehlt bis heute jede Spur

Oder der Fall Peggy: Das neunjährige Mädchen wurde am 7. Mai 2001 auf dem Heimweg von der Schule im oberfränkischen Lichtenberg zum letzten Mal gesehen. Wochenlange Suchaktionen blieben vergeblich. Schließlich gestand ein damals 23-jähriger geistig behinderter Mann, er habe Peggy erdrosselt, um zu verhindern, dass sie einen vorangegangenen sexuellen Missbrauch verrate. Obwohl er sein Geständnis noch vor dem Prozess widerrief, wurde er 2004 wegen der angeblichen Tat in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Zehn Jahre später wurde er im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen. Auch von Peggy fehlt bis heute jede Spur.

Auf besonders drastische Weise zeigt der Fall des Landwirts Rudolf Rupp die Problematik einer Verurteilung bei einem Mord ohne Leiche. Nach dem Verschwinden des 52-Jährigen wurden dessen Ehefrau, zwei Töchter und ein weiterer Mann verurteilt, weil sie, so das Gericht, den Familienvater erschlagen, zerstückelt und an die Hofhunde verfüttert hätten.

Vier Jahre später aber wurde das Auto des Verschwundenen aus der Donau geborgen - auf dem Fahrersitz saß der tote Landwirt Rupp, zwar von Fischen benagt, aber unzerstückelt. Die Justiz bequemte sich nur zögerlich, das Verfahren wieder aufzunehmen und die Verurteilten freizusprechen.

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Mit diesem Fahndungsplakat suchte die 27-köpfige Sonderkommission "Aue" nach der vermissten 34 Jahre alten Vietnamesin - vergeblich.

(Foto: oh)
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