Prozess in Großbritannien:"Die schmerzhafteste Entscheidung, die Eltern nur treffen können"

Charlie Gard's parents Connie Yates and Chris Gard read a statement at the High Court after a hearing on their baby's future, in London

Charlie Gards Eltern Connie Yates und Chris Gard nach dem Richterspruch des High Courts in London.

(Foto: REUTERS)
  • Die Eltern des schwerkranken Babys Charlie haben ihren monatelangen Kampf vor Gericht aufgegeben.
  • Die behandelnden Ärzte hatten einen Behandlungsstopp angeordnet, da das Kind sonst unnötig leide.
  • Die Eltern wollten Charlie stattdessen zu einem Arzt in den USA bringen, der hat eine Therapie jetzt aber ausgeschlossen.

Von Christina Berndt

Still und leise haben die Eltern am vergangenen Freitag ihre Entscheidung gefällt. Wenigstens ein Wochenende wollten sie noch gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Charlie verbringen, bevor ihr Anwalt Grant Armstrong am Montag der Öffentlichkeit verkündete: Die Eltern, die sich für ihr Kind mit den höchsten irdischen Mächten anlegten, geben auf. Connie Yates und Chris Gard wollen nicht mehr um das Leben ihres Babys kämpfen; sie glauben nun auch, dass es besser für ihr Kind ist, wenn es sterben darf.

Eigentlich hätte der Londoner High Court an diesem Dienstag erneut über Charlies Schicksal urteilen sollen. Zahlreiche Gerichte hatten die Eltern bis dahin schon angerufen, hatten sich an alles geklammert, was ihre Hoffnung nähren konnte. Ihr schwer krankes Baby sollte leben, und dafür schöpften sie alle erdenklichen Möglichkeiten aus. Umgerechnet 1,5 Millionen Euro hatten die Eltern gesammelt, um ihr Kind in die USA zu bringen und dort mit einer experimentellen Therapie behandeln zu lassen.

Doch Charlies Ärzte am Londoner Great Ormond Street Hospital hatten stets betont, dass Charlies seltene genetische Erkrankung, ein mitochondriales DNA-Depletionssyndrom (MDDS), schon zu schwere irreparable Schäden an seinem Gehirn hinterlassen habe. Selbst wenn die Therapie anschlagen würde, könnte sie Charlies Zustand kaum noch verbessern. Eine weitere Behandlung würde nur unnötiges Leid für das Kind bedeuten.

Schon im Juni hatte das höchste Gericht Großbritanniens, der Supreme Court, den Ärzten zugestimmt, dass es besser sei, die Geräte abzustellen, an denen das Leben des mittlerweile blinden und tauben Jungen hing. Anders als in Deutschland können britische Gerichte als oberste Erziehungsberechtigte über solche fundamentalen Fragen entscheiden. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte das Urteil. Derweil nahmen Menschen in aller Welt Anteil am Schicksal des Kindes und seiner unermüdlichen Eltern. Auch der Papst und US-Präsident Donald Trump schalteten sich ein.

Nun darf Charlie, wie es ihm seine Ärzte seit Monaten wünschen, tatsächlich sterben. Die schlimmsten Befürchtungen der Eltern zu Charlies Gesundheitszustand hätten sich bestätigt, sagte Anwalt Armstrong. Deshalb hätten sie "die schmerzhafteste Entscheidung getroffen, die Eltern nur treffen können". Der Anwalt machte die Dauer des Kampfes dafür verantwortlich, dass Charlie nicht mehr zu helfen sei.

Der US-Experte schloss eine Therapie aus

Zum Umdenken brachten die Eltern offenbar weitere Untersuchungen von Charlies Gehirn. Nachdem er die neuesten Kernspinaufnahmen und Elektroenzephalogramme gesehen hatte, zog auch der US-Experte, der Charlie behandeln wollte, seine bisherigen Prognosen zurück. Aus der Ferne hatte er stets behauptet, seine experimentelle Therapie könne Charlies Zustand mit zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit verbessern. Als er Charlie nun nach Aufforderung des Londoner Gerichts erstmals persönlich untersuchte und die Bilder aus seinem Gehirn betrachtete, schloss er eine Therapie aus.

Richter Francis, der am Dienstag sein Urteil hätte sprechen sollen, nahm die Entscheidung der Eltern an. Er lobte sie für "die Liebe und Fürsorge", die sie Charlie stets gaben. Aber er kritisierte auch die Aufregung in den sozialen Medien: "Viele Dinge wurden gesagt durch Menschen, die fast nichts über diesen Fall wussten", so Richter Francis.

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