Prozess in den Niederlanden:Höchststrafe für "Facebook-Mord"

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Eine 15-Jährige verbreitet auf Facebook böse Gerüchte über ihre Freundin. Diese stiftet daraufhin einen 14-Jährigen an, das Mädchen zu töten. Nun hat das Gericht in Arnheim die Höchststrafe gegen den angeklagten Jungen verhängt. Der bizarre Fall wirft die Frage auf: Wie gefährlich ist "Cybermobbing"?

Thomas Kirchner

Es ist ein Fall, der große Beachtung gefunden, der die Niederlande aufgerüttelt hat, und vielleicht auch deshalb verhängten das Gericht in Arnheim am Montag die seltene Höchststrafe für Jugendliche. Der damals 14 Jahre alte Junge, der im Januar die 15-jährige Winsie erstach und deren Vater schwer verletzte, muss wegen Mordes und versuchten Totschlags für ein Jahr ins Gefängnis, gefolgt von drei Jahren in einer Zwangsanstalt für minderjährige Straftäter, ein Jahr davon auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft hatte ebenfalls ein Jahr Haft, aber nur zwei Jahre Zwangstherapie gefordert.

Der geständige Jinhua K., der sein Opfer nicht einmal kannte, handelte im Auftrag von Polly, 16, und deren Freund Wesley, 18. Polly hatte sich mit ihrer Freundin Winsie auf einer Party überworfen. Es ging um angebliche sexuelle Kontakte Pollys zu verschiedenen Jungs.

Anklage: Zuerst ging es nur "um Tratsch, um Geschwätz"

Winsie schwärzte Polly daraufhin im Online-Netzwerk Facebook an. Um nichts sei es gegangen, so die Anklage, "um Tratsch, um Geschwätz". Polly jedoch geriet derart in Rage, dass sie zu ihrem Freund sagte, Winsie möge sterben. Wesley trug diesen Wunsch nach Ansicht des Gerichts an Jinhua weiter, der im weitesten Sinn aus seinem Bekanntenkreis stammte. Wochen später fuhr der chinesischstämmige Junge nach Arnheim, klingelte an der Haustür seines Opfers und tötete es mit mehreren Messerstichen, unter anderem in den Hals und ins Gesicht. Den hinzueilenden Vater verletzte er an beiden Händen und im Gesicht.

Das Motiv des Mörders ist nicht geklärt. Laut Zeugen soll Jinhua zwischen 50 und 100 Euro für seine Tat erhalten haben. Der ansonsten sehr schweigsame Täter sagte in der Verhandlung, er sei unter Druck gesetzt worden. Die Richter kamen jedoch zum Schluss, dass es Jinhua sehr wohl möglich gewesen wäre, sich dem Auftrag zu entziehen. Experten konstatierten bei dem vorbestraften Jungen, der schon in der Grundschule auffällig gewesen sei, eine "ernsthafte Verhaltensstörung mit psychopathischen Zügen". Das Verfahren gegen seine Anstifter wird erst Ende Oktober wieder aufgenommen.

Vater des Opfers enttäuscht über Urteil

Winsies Vater zeigte sich trotz der Höhe der Strafe enttäuscht. "Ich habe keine Tochter mehr, und er sitzt ein Jahr im Gefängnis. Das ist ein ziemlich großer Unterschied." Er appellierte an die Politiker, das Strafrecht für Jugendliche zu verschärfen. In manchen Fällen solle es möglich sein, auch Jugendliche länger hinter Gitter zu bringen.

Die Richterin hatte eine öffentliche Verhandlung erlaubt, weil sie auf die gesellschaftliche Bedeutung des Falles hinweisen wollte, also die Gefahren des "Cybermobbing". Das Internet senkt die Schwelle für Gehässigkeiten, die sofort den gesamten Freundeskreis erreichen.

Dass dies tatsächlich die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen befördert, ist umstritten. Zumindest in den Niederlanden spricht die Statistik dagegen, dort ist die Zahl der schweren Straftaten, die durch Minderjährige verübt werden, seit Jahren konstant.

Winsies Vater hatte in Interviews vor den Risiken sozialer Netzwerke gewarnt. Er wusste nicht, was seine Tochter im Internet treibt. Eltern müssten ihre Kinder aber zumindest gelegentlich nach diesen Aktivitäten fragen, so niederländische Experten.

"Durch die digitale Welt hat sich eine Kluft zwischen Eltern und Kindern gebildet. Die Eltern müssen diese Kluft verringern, müssen kommunizieren mit ihren Kindern", sagte Baudoin Mayeur, ein Experte für Internet-Sicherheit, dem Sender NOS.

© SZ vom 04.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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