Die belgische Hauptstadt hat zwei Fünf-Sterne-Hotels. Im einen übernachtet Angela Merkel, wenn sie nach Brüssel kommt. Im anderen, es hieß damals "Conrad", heute "Steigenberger", wohnten im Sommer 2008 mehrere Monate lang acht Prinzessinnen aus Abu Dhabi, auf einer ganzen Etage mit 54 Zimmern.
Während eine von ihnen eine Fruchtbarkeitsbehandlung in einem Krankenhaus erhielt, shoppten die anderen und vergnügten sich. Ihren Bediensteten ging es weniger gut. Sie sollen die ganze Zeit über eingesperrt, ausgebeutet, erniedrigt und misshandelt worden sein - moderne Sklaverei, mitten in Europa. Vor der Brüsseler Strafkammer begann am Donnerstag, nach jahrelangem juristischen Hin und Her, der Prozess gegen die arabischen Gäste. Das Urteil fällt wahrscheinlich erst in einigen Monaten.
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40 Polizisten stürmten die Hotelzimmer
Die belgische Öffentlichkeit war schockiert damals. Ans Licht kamen die Vorwürfe nur, weil eine der 23 Bediensteten geflohen war, sich zunächst versteckt und dann einem Anwalt anvertraut hatte. Eine andere Angestellte, die ebenfalls die Flucht ergriffen hatte, wurde von Leibwächtern der Prinzessinnen am Brüsseler Flughafen gefasst und nach Aussage von Anwälten zur Strafe drei Tage lang ohne Nahrung in ein Zimmer gesperrt. Schließlich stürmten 40 Polizisten den vierten Stock des "Conrad" und befreiten 17 Angestellte. Elf von ihnen entschieden sich, Anzeige zu erstatten. Sie werden von belgischen Opfervereinigungen unterstützt und haben auch staatliche Hilfe erhalten.
Aus ihren Befragungen, Aussagen eines Opfers vor Gericht und den Schilderungen der Anwälte lassen sich die erstaunlichen Zustände im "Conrad" rekonstruieren. Demnach hatten die jungen Frauen keinerlei geregelte Arbeitszeit, sondern mussten sieben Tage die Woche jeweils 24 Stunden bereitstehen, ihren Herrinnen oder deren kleinen Kindern jeglichen Wunsch zu erfüllen - je nachdem, wann diese gerade wach waren. Gerne wurde mitten in der Nacht nach Tee verlangt. Die Mädchen hatten vor den Zimmern der Prinzessinnen auf Befehle zu warten. Normaler Schlaf war unmöglich, manche mussten auf den Gängen ruhen oder abwechselnd auf einer der wenigen Matratzen. Verbale Gewalt war die Regel, die Dienerinnen wurden als "Hündin", "Nutte" oder "Kuh" beschimpft und lebten in ständiger Angst vor Repressalien.
Monatslohn: 150 bis 500 Euro
Weil sie aus ärmsten Familien und acht verschiedenen Ländern kamen - unter anderem aus Marokko, Tunesien, Ägypten, dem Sudan, Indien und den Philippinen -, konnten sie sich untereinander kaum verständigen. Den Pass hatte man ihnen abgenommen und die Sim-Karten auch. Der Monatslohn: 150 bis 500 Euro.
Ein Anwalt sprach von moralischen, psychischen und physischen Schäden, die seine Mandantinnen erlitten hätten; sie seien "wie Objekte" benutzt worden. "Würden wir uns wünschen, dass unsere eigenen Töchter, etwa bei einem Studentenjob, in solche Umstände geraten?"
Die Anwälte fordern wegen Freiheitsberaubung, unmenschlicher Behandlung und Ausbeutung 2500 Euro Schadenersatz pro Opfer, vor allem aber zum Teil sechsstellige Summen als Ausgleich für entgangenes Gehalt. In einem Fall nannte eine Anwältin 467 600 Euro, die nach belgischem Recht für den monatelangen Frondienst mindestens fällig gewesen wären. Theoretisch möglich wären auch fünf Jahre Haft, die vermutlich auf Bewährung ausgesprochen würde.
Allerdings ist fraglich, inwieweit die Angeklagten belangt werden können. Hamda Al-Nahyan, die etwa 70 Jahre alte Witwe des Emirs Muhammed bin Khalid Al-Nahyan, und sieben ihrer Töchter waren nach dem Shopping-Sommer gleich wieder zurück in die Heimat geflogen und wohnen dem Prozess nicht bei. Klägeranwälte äußerten die Hoffnung, dass wenigstens Geld aus Abu Dhabi fließen könnte, schließlich gehe es auch darum, den Ruf der Herrscherfamilie zu schützen.
Die Verteidiger, die wie der Staatsanwalt erst am zweiten Prozesstag auftreten werden, hatten im Vorfeld alle Vorwürfe zurückgewiesen. In dieser Affäre habe es keinerlei Gewalt gegeben, wurde einer der Verteidiger zitiert; die Angestellten der Prinzessinnen seien weder abwertend noch unmenschlich behandelt worden, die Anschuldigungen entbehrten jeglicher Realität.
Die damalige Hotelführung, die von den Vorkommnissen im vierten Stock nichts mitbekommen haben will, wird juristisch nicht belangt. Einige Hotel-Angestellte sollen den Opfern angeboten haben, ihnen bei der Flucht zu helfen.
Der Fall erinnert an Vorwürfe gegen Hannibal Gaddafi
Von Seiten der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate wurde offenbar mächtig Druck ausgeübt, das Verfahren einzustellen. In Presseberichten hieß es 2008 allerdings, möglicherweise werde auch in der Botschaft selbst Personal aus Afrika, Asien und Lateinamerika ausgebeutet. Der Fall erinnert an die Vorwürfe gegen Hannibal Gaddafi, den Sohn des früheren libyschen Diktators, der zusammen mit seiner Frau Angestellte in einem Genfer Hotel misshandelt haben soll. Gaddafis Festnahme führte 2008 zu einer heftigen diplomatischen Krise zwischen Libyen und der Schweiz.
Sklaverei ist noch immer ein Massenphänomen. Fast 21 Millionen Menschen fallen ihr nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation weltweit zum Opfer, etwa die Hälfte davon sind Frauen und Mädchen. 19 Millionen würden von Privatleuten oder Unternehmen zu Arbeiten im Haushalt, in der Landwirtschaft, in Fabriken und auf Baustellen oder zur Unterhaltung gezwungen. Fast ein Viertel dieser 19 Millionen wiederum werde sexuell ausgebeutet.