Süddeutsche Zeitung

Prozess in Bonn:Fall Niklas - "ein wunder Punkt mitten in Bad Godesberg"

Lesezeit: 4 min

Von Anna Fischhaber

Nach nur 20 Minuten ist die Verhandlung an diesem Freitag schon wieder vorbei. Die beiden Angeklagten Walid S. und Roman W. haben sich nicht selbst zu den Vorwürfen geäußert. Doch die kurzen Einlassungen ihrer beiden Anwälte machen klar, wie die Verteidigungsstrategie in diesem Prozess aussieht.

Es geht um den Tod von Niklas P. Der 17-Jährige starb vergangenes Jahr an den Folgen eines Angriffs, an dem Walid S. und Roman W. beteiligt gewesen sein sollen. S. ist der Hauptangeklagte in diesem Prozess, ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Doch über seinen Anwalt bestreitet er, zur fraglichen Zeit überhaupt am Tatort gewesen zu sein. Er habe sich mit Freunden im nahen Kurpark aufgehalten. Eine bei ihm gefundene Jacke mit Blutspuren des Opfers gehöre nicht ihm.

Auch W., der wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist, weil er eine Begleiterin von Niklas geschlagen haben soll, spricht nicht selbst. Sein Anwalt räumt lediglich ein, sein Mandant habe zu einem späteren Zeitpunkt einen mutmaßlichen Zeugen geschlagen. Nicht, weil er ihn habe unter Druck setzen wollen, sondern nur, weil er provoziert worden sei. Diese Tat tue ihm leid. Zu den Vorwürfen in der Hauptsache wolle er sich nicht äußern.

Die Tat ereignete sich an einem Abend Anfang Mai 2016. Kurz nach Mitternacht passierte Niklas mit seiner Schwester und Freunden auf dem Weg von einem Konzert nach Hause das Rondell an der Rheinallee direkt am Bahnhof. Hier traf er laut Anklage auf seine beiden Angreifer, die ihr Opfer wohl zufällig auswählten. "Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich die beiden Gruppen nicht kannten", erklärt der Gerichtssprecher auf Anfrage von SZ.de. Es kam zum Streit, zunächst verbal, dann soll der Schüler einen Faustschlag gegen die Schläfe bekommen haben. Niklas ging sofort zu Boden. Sechs Tage später war er tot.

Wer im Bonner Stadtteil Bad Godesberg von dem Holzkreuz am Tatort in Richtung Rhein blickt, sieht imposante Industriellenvillen aus dem 19. Jahrhundert. Bevor die Botschafter Ende der neunziger Jahre vom Rhein an die Spree zogen, galt das Viertel als erste Adresse in der damaligen Hauptstadt Bonn. Wer in die andere Richtung schaut, bemerkt, dass der feine Stadtteil noch eine andere Seite hat.

Viele meiden die Innenstadt mit ihren düsteren Parks lieber - besonders nachts. Tagsüber prägen Handyläden und Kopftücher das Bild. Die Bürger in Bad Godesberg klagen über aggressive Jugendliche und Straßengewalt. Der Tod von Niklas gilt als trauriger Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen. Der Bonner Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) sprach in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa von dem "mit Abstand schrecklichsten Ereignis des Jahres".

"Es hätte auch mein Kind treffen können"

Die rohe Gewalt unter Jugendlichen löste bundesweit Fassungslosigkeit aus. "In den Gesichtern der Bad Godesberger war das Entsetzen tagelang zu sehen", erzählt der Pfarrer Wolfgang Picken, der das Holzkreuz am Tatort hat aufstellen lassen. Der Schrecken sei auch deshalb so groß gewesen, weil an diesem Rondell am Bahnhof viele Godesberger täglich mehrmals vorbeikommen. "Vor allem die Eltern unter ihnen wussten: Es hätte auch mein Kind treffen können."

Dennoch passierte erst einmal: nichts. Immer wieder betonten die Behörden, der Stadtteil sei kein Kriminalitätsschwerpunkt, der Tod von Niklas eine Ausnahme. Die Straßenkriminalität habe sogar abgenommen. Doch eine Statistik hat noch niemanden getröstet. Immer wieder betonte Pfarrer Picken: Die Tat sei eben kein Einzelfall. "Die Stadt muss etwas daraus lernen."

Rechte Gruppen instrumentalisieren Tod für sich

In dieser aufgeheizten Stimmung versuchten rechte Gruppen, den Tod von Niklas für sich zu instrumentalisieren. Ihre Version der Geschichte ging so: Deutscher Junge wird von Ausländern angegriffen, Polizei unternimmt nichts, Politik und Medien schauen zu. Direkt am Tatort, wo Verwandte und Freunde noch trauerten, organisierten die Rechten einen Protestmarsch. Dabei war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Verdächtiger festgenommen worden.

Es nutzte wenig, dass Oberbürgermeister Sridharan und Niklas' Familie immer wieder betonten, das Opfer habe das gelebt, was Bonn als tolerante Stadt ausmache. Kurz darauf wurden Walid S. und Roman W., damals 20 und 21 Jahre alt, festgenommen. Es passte gut ins Bild der Rechten, dass der eine ein Italiener mit marokkanischen Wurzeln ist. Allerdings wohnt Walid S. seit Längerem in Deutschland, Roman W. ist Deutscher.

Der anfängliche Verdacht, Niklas P. sei erschlagen worden, ließ sich nicht aufrechterhalten. Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus: Der Tod von Niklas war wohl eine Verkettung unglücklicher Umstände. Seine Blutgefäße im Gehirn sollen vorgeschädigt gewesen sein, deshalb starb er an dem Schlag von Walid S., sagen die Gutachter. Dass der inzwischen 21-jährige Angeklagte den Schüler, als er bereits am Boden lag, noch einmal gegen den Kopf getreten hat, soll dagegen nur ein paar Schürfwunden verursacht haben - auf den späteren Tod hatte dieser Tritt demnach keinen Einfluss. Auch der Mitangeklagte Roman W. soll versucht haben, den am Boden liegenden Niklas zu treten, wurde jedoch zurückgehalten.

"Die Fantasie ist immer schlimmer als die Wirklichkeit"

Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden auffallen. Bereits im April 2016 soll Walid S., der aus eben jenem nicht so schönen Teil von Bad Godesberg stammt, einem anderen eine Glasflasche gegen den Kopf geschlagen haben. Auch Roman W., der nach der Tat zwischenzeitlich nicht in Untersuchungshaft saß, muss sich vor Gericht wegen einer zweiten Tat verantworten: Im September soll er einen Zeugen im Fall Niklas zusammengeschlagen und getreten haben.

Vor Gericht treffen die beiden auch auf die Mutter ihres Opfers. Pfarrer Picken begleitet die Familie von Niklas vor Gericht. Die Mutter sei froh, dass das Warten nun ein Ende hat, erzählt er. "Die Fantasie ist immer schlimmer als die Wirklichkeit. Sie will endlich wissen, was genau passiert ist."

Ob das Gericht die Hergänge am Abend der Tat restlos aufklären kann, ist allerdings fraglich. Zudem müssen die Richter die Frage beantworten, ob der Hauptangeklagte noch unter das Jugendstrafrecht fällt, was ihm eine mildere Strafe einbringen dürfte. Zum Tatzeitpunkt war Walid S. 20 Jahre alt - und damit ein Heranwachsender. Auch das medizinische Gutachten - und damit die Frage, ob es Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge war - dürfte erneut zur Sprache kommen. Ein Urteil soll Ende März fallen.

Bad Godesberg ist derweil ein wenig zur Ruhe gekommen. Inzwischen sei einiges passiert, erzählt Picken zufrieden: Ein runder Tisch gegen Gewalt wurde einberufen, Grünanlagen, wie die am nur schlecht einsehbaren Tatort, radikal gestutzt. Die Polizei mache mehr Kontrollen, zwei Jugendkontaktbeamte hätten die Arbeit aufgenommen. "Das Sicherheitsbewusstsein hat sich verändert", sagt Picken. Ein Schlusspunkt ist der Prozess für ihn aber noch nicht: "Der Tod von Niklas ist und bleibt ein wunder Punkt mitten in Bad Godesberg."

(Mit Material der Agenturen)

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3338265
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.