Prozess im Fall Mirco:Mann mit zwei Gesichtern

Gutachter beschreiben ihn als "gesunde Normalperson" und als "perversen Sadisten". Der mutmaßliche Mörder des zehnjährigen Mirco selbst trägt zur Aufklärung der Tat kaum etwas bei. Sollte das Motiv ungeklärt bleiben, drohen ihm lebenslange Haft und Sicherungsverwahrung.

Bernd Dörries

Weil er fast nichts sagt, nichts dazu beiträgt, den Mord am zehnjährigen Mirco aufzuklären, werden die Antworten im Gesicht von Olaf H. gesucht. Der Richter schaut ihn immer wieder an, die Beisitzerin oft minutenlang, die Zuschauer, die Journalisten.

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Mircos mutmaßlicher Mörder Olaf H. - solange die Presse im Saal war, versteckte er sein Gesicht hinter einem Aktenordner.

(Foto: dapd)

Viel ist nicht zu sehen im Gesicht von Olaf H.; meistens starrt er vor sich hin, manchmal spitzt er den Mund und lächelt süffisant, so als habe er eine Wahrheit für sich gefunden - und alle anderen keine Ahnung. "Tja, was ist das richtige Gesicht zu so einer Tat", sagt Martin Albrecht, der psychiatrische Gutachter am Freitag im Landgericht Krefeld.

Auch er musste sich dann doch mit dem Blick des 45-jährigen Olaf H. beschäftigen, wurde nach dessen Lächeln gefragt. Auch, weil sonst nicht viel Greifbares da ist. Weil Olaf H. zwar ein freundlicher Mensch gewesen sei in den fünf Gesprächen, die er mit ihm führte, sich aber "ganz erheblich gegen Aufklärungsbemühungen und Persönlichkeitsdiagnostik gewehrt hat".

Trotz der mangelnden Kooperation könne man aber schon einiges sagen zum Angeklagten und auch die Tat nachvollziehbar machen, zumindest ein wenig. Olaf H. sei eine "psychisch gesunde Normalperson" und voll schuldfähig. Die Grundfrage, die sich alle stellten und die er sich auch immer wieder stelle, sei doch: Wie kann ein nach außen so normaler Mensch zu so etwas fähig sein?

Olaf H. beschreibt der Gutachter als einen "hochbegabten Menschen" mit einem Intelligenzquotienten von 136, der sich sozial unauffällig bewegte, drei Ehen "hinter sich brachte" und seinen drei Kindern ein liebevoller Vater gewesen sei. "Er ist kein pädophiler Mensch", sagt Gutachter Albrecht. Das könne man vermuten bei einer solchen Tat, die wenigsten Pädophilen würden aber derartige Gewalt anwenden. Bei Olaf H. lägen die Dinge anders. Für Albrecht passt der Angeklagte ins Schema des sadistischen Täters, der quält, um seine Macht zu beweisen. "Das Gefühl über einen anderen total verfügen zu können. Das Auskosten der Ohnmacht des Opfers."

Kränkungen und Aggressionen

Und wer ist hilfloser als ein zehnjähriges Kind? Hilfloser als Mirco, ein fröhlicher Junge, der an jenem Abend im September 2010 von der Skaterbahn nach Hause wollte? Olaf H. sei umhergefahren und habe Ausschau gehalten nach einem Opfer, was die Fachleute "Cruising" nennen. Im Auto sitzen und der Phantasie freien Lauf lassen. "Wie ein Jäger, der seine Beute aufspüren möchte", so sieht es der Gutachter. Was genau mit Mirco geschah lässt sich nicht mehr rekonstruieren, der tote Körper des Jungen lag zu lange im Freien, die Aussagen von Olaf H. sind widersprüchlich.

Sein Gesicht bleibt stumm

Als Motiv für die Tötung hatte er in den Vernehmungen stets beruflichen Frust angegeben, sein Chef habe ihn am Tag der Tat am Telefon beschimpft. Ein solches Telefonat konnte nie nachgewiesen werden. Albrecht hält beruflichen Stress auch nicht für die Ursache der Tat, aber ein Auslöser könnte er gewesen sein. Davor sei aber schon einiges passiert mit Olaf H.

Der Gutachter geht von Kränkungen in der Kindheit aus, von Aggressionen, die abgespalten wurden, wie verplompt. Es gebe letztlich zwei Ichs bei Olaf H., zwei Personen: Die sozial normal handelnde und die pervers phantasierende. Der Stress im Beruf habe dazu geführt, dass beides nicht mehr zu trennen gewesen sei. Zwangsläufig sei die Entwicklung nicht gewesen. "Willensstärkere Menschen hätten dem widerstehen können."

Olaf H. hört sich das alles an, in seinem Gesicht kann man gar nichts mehr sehen, nicht mal mehr ein Lächeln. Der Richter versucht noch ein letztes Mal, Olaf H. zu bewegen, dem Gericht zu schildern, was bei der Tat in ihm vor sich ging. Es geht letztlich um die Frage einer möglichen Sicherungsverwahrung.

"Lebenslang heißt nicht Entlassung nach 15 Jahren", sagt der Vorsitzende Richter am Freitag. "Wenn es jetzt offenbleibt, was die Ursache war, ob es eine generelle Veranlagung ist, oder rein situativ, dann wird das nach langer Haft genau so sein." Das bedeutet letztlich, dass das Gericht keine Möglichkeit zur Therapie sieht, wenn man nicht weiß, was zu therapieren ist. Weder jetzt noch später. Ob er doch noch etwas sagen möchte, fragt der Richter. "Nein", sagt Olaf H. Es sieht so aus, als habe er sich entschieden.

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