Viel muss Dominique Strauss-Kahn nicht tun am ersten Tag des Prozesses gegen ihn. Er muss sich im Gericht von Lille nur die Anklage anhören. Der Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist in einer Limousine mit abgedunkelten Scheiben in die Tiefgarage des Liller Gerichts gelangt. Wenig später erscheint er im schwarzen Anzug im Verhandlungssaal - mit tief hängenden Tränensäcken, wie immer, aber die Miene so entspannt, wie es die Umstände eben zulassen. Die Abwehrarbeit in dem Verfahren, in dem sich Strauss-Kahn wegen "schwerer Zuhälterei" verantworten muss, übernehmen ohnehin erst einmal andere für ihn. Und diese versuchen gleich zu Beginn, den Prozess zu sprengen - indem sie ihn in ein politisches Komplott umdeuten.
In einer der ersten Aktionen vor Gericht reicht der Anwalt eines von Strauss-Kahns 13 Mitangeklagten eine Nichtigkeitsbeschwerde ein. Sein Mandant, der frühere Spitzenpolizist und Strauss-Kahn-Vertraute Jean-Christophe Lagarde, soll ebenfalls an wilden Partys mit Prostituierten beteiligt gewesen sein. Doch sein Verteidiger will einen Hebel gefunden haben, um den Prozess auf unbestimmte Zeit zu unterbrechen: Ein Ermittler hatte vor einiger Zeit erklärt, erste heimliche Ausforschungen der mutmaßlichen Zuhälterbande hätten schon acht Monate vor Beginn der offiziellen Untersuchung angefangen.
In einer aktuellen TV-Dokumentation behauptet eine Journalistin zudem, die Männer seien zu dieser Zeit auch abgehört worden. Solche Abhörmaßnahmen sind in Frankreich aber nur mit Genehmigung der Regierung möglich. Die Aussagen unterstellen also, der damalige Staatschef Nicolas Sarkozy habe den Sozialdemokraten Strauss-Kahn beschädigen wollen, der zu dieser Zeit sein gefährlichster Gegner war.
Schon beim spektakulären Sturz Strauss-Kahns 2011, als ihn ein New Yorker Zimmermädchen der Vergewaltigung beschuldigte, blühten die Verschwörungstheorien. Der Anwalt des Polizisten Lagarde nährt sie implizit weiter - wenngleich er offiziell nur auf ein faires Verfahren für seinen Mandanten pocht: Es sei unmöglich für das Gericht, "eine Sache zu verhandeln, bei der ihm Ermittlungsergebnisse aus acht Monaten vorenthalten werden".
Sexpartys - geplant nach "DSK"s Terminkalender
Strauss-Kahn und seine Anwälte schweigen zu den vermeintlich obskuren Mächten, die hinter der Verfolgung des Ex-IWF-Chefs stehen sollen. Obgleich seine Verteidiger das Verfahren selbst einmal als "politisch und moralisch motiviert" abqualifizierten, halten sie sich nun vornehm zurück. Sie schließen sich lediglich der Nichtigkeitsbeschwerde des Polizisten-Anwalts an. Offenbar vertrauen sie darauf, dass die Anschuldigungen gegen ihren illustren Mandanten vor Gericht in sich zusammenfallen. Aussagen muss Strauss-Kahn wohl frühestens am 10. Februar.
Ihm wird vorgeworfen, Strippenzieher einer Bande zu sein, die im Liller Hotel Carlton ihr Hauptquartier gehabt haben soll. Das französische Recht definiert jede Form der Förderung von Prostitution als strafbare Zuhälterei. Da die Sexpartys immer nach Strauss-Kahns Terminkalender geplant wurden und er teils die Räume dafür stellte, sehen die Ermittler ihn als Zuhälter. Strauss-Kahn gibt zwar Sexpartys zu, die die beteiligten Frauen als Gewaltorgien beschreiben. Allerdings will er nicht gewusst haben, dass es sich bei den Frauen um Prostituierte handelte. Der Prozess dürfte neue, pikante Details über Strauss-Kahns zügelloses Sexualleben zutage fördern. Justizexperten bezweifeln jedoch, dass "DSK" eine Haftstrafe droht.
Neben dem Anwalt des Spitzenpolizisten wollten ausgerechnet zwei Ex-Prostituierte Strauss-Kahn zu Prozessbeginn einen Gefallen tun: Die beiden Nebenklägerinnen legten keinen Wert darauf, durch das Verfahren so berühmt zu werden wie er. Ihr Anwalt beantragte daher den Ausschluss der Öffentlichkeit, was aber noch am Montag abgelehnt wurde. Selbst der belgische Bordellbetreiber, über den die Frauen an Strauss-Kahn geraten sein sollen, will nicht mit seinem prominenten Mitangeklagten in Verbindung gebracht werden: "Ich fürchte, dass DSK meinem Ruf schadet", frotzelt der Sex-Unternehmer.
An diesem Punkt, so viel ist sicher, findet tatsächlich politische Einmischung statt: Frankreichs heutige Energieministerin Ségolène Royal lässt wissen, sie sei aus Rücksicht auf zarte Seelen für den Ausschluss der Medien. "Die Welle des Horrors" und das "schauerliche Verhalten", mit dem Jugendliche durch die Berichterstattung konfrontiert würden, sei "verheerend".