Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Strauss-Kahn:Die Freiheit, die sie meinen

  • Der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) Dominique Strauss-Kahn steht von Montag an vor Gericht. Ihm wird Zuhälterei vorgeworfen.
  • Der Prozess wird von seinen Anwälten und Teilen der Gesellschaft zu einem Kampf um französische Werte stilisiert.
  • Das Verfahren ist die letzte Chance, den 65-Jährigen wegen eines Sexvergehens dranzubekommen.

Von Leo Klimm, Paris

Dominique Strauss-Kahn ist "gelassen". Das jedenfalls behauptet er, wenn er einer Journalistenfrage zum "Carlton-Prozess" partout nicht mehr entkommt. "Die Sache ist aufgebauscht worden", sagt Strauss-Kahn dann, und dass ihm vor Gericht "Gerechtigkeit widerfahren" werde.

Der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) muss sich gegen Vorwürfe verteidigen, er habe Partys mit Prostituierten organisiert. Diesmal allerdings will er nicht einfach nur der Verurteilung entgehen.

Er und seine Fürsprecher stilisieren das am Montag im nordfranzösischen Lille beginnende Verfahren zum Test für die Justiz und für Frankreichs Gesellschaft insgesamt: Nicht Strauss-Kahns ausschweifende Sexualität soll das Problem sein - sondern eine Form puritanischer Repression, die das Land erfasst habe. Ausgerechnet Frankreich, das Land der Freiheit und der Liebe.

Es soll also, auf einer abstrakten Ebene, die Freiheit verhandelt werden - das Recht, zu tun und zu lassen, was man will. Ein Wert, der den Franzosen nach den Terrorattacken von Anfang Januar wieder sehr kostbar ist.

"DSK" wurde zum Synonym für gewalttätigen Geschlechtsverkehr

Auf der konkreten Ebene allerdings geht es vor allem darum, ob Strauss-Kahns Freiheit nicht dort endet, wo die Freiheit der Frauen anfängt, mit denen er sich vergnügen will. Und ganz nebenbei geht es für Strauss-Kahn, dessen Namenskürzel "DSK" zum Synonym für gewalttätigen Geschlechtsverkehr geworden ist, nicht zuletzt um die Wiedergewinnung seiner Ehre.

Verloren hatte er sie 2011, als die surreale DSK-Seifenoper um Sex, Verbrechen und Macht ihren Anfang nahm. Damals ließ ihn der Vergewaltigungsvorwurf eines New Yorker Zimmermädchens tief stürzen.

Strauss-Kahn wurde öffentlich erniedrigt, in Handschellen abgeführt, verlor das Amt als IWF-Chef und musste den Traum von der Wahl zum französischen Staatsoberhaupt aufgeben. An seiner Stelle wurde der sozialistische Parteifreund François Hollande Präsident. Strauss-Kahn verlor alles. Macht, Ehre, später auch seine Frau.

Vorwurf: Zuhälterei

Nun steht er mit 13 Mitangeklagten in Lille vor Gericht. Den Ermittlungsrichtern zufolge hat er sich in schwerer Weise der "Zuhälterei" schuldig gemacht: Strauss-Kahn sei von 2007 bis zu seinem Sturz 2011 Kopf einer Bande gewesen, die unter anderem in Paris, Madrid und Washington wahre Orgien mit Prostituierten arrangiert habe. Das Hauptquartier des Netzwerks soll das Luxushotel Carlton in Lille gewesen sein.

Anfragen an Strauss-Kahn lassen eine Sprecherin und seine Anwälte vor dem Prozess ins Leere laufen. Der Prozess selbst verspricht, neue pikante Details zu seinen Sitten und Unsitten ans Tageslicht zu fördern.

Strauss-Kahn jedoch geriert sich als einer, der sich nicht den Normdefinitionen moderner Sittenwächter unterordnen will. Seine Vorliebe für gewaltsame Praktiken und die Libertinage - den tabulosen Gruppensex - sind kein Geheimnis mehr.

Dem Magazin Le Point vertraute er 2012 an, er habe irrtümlich geglaubt, er könne selbst als Spitzenpolitiker sein Privatleben führen, wie er wolle. "Dazu gehört auch freizügiges Verhalten unter einvernehmlich handelnden Erwachsenen." In diesem Punkt habe er sich wohl "zu weit von der französischen Gesellschaft entfernt".

Diese Linie überwölbt - jenseits der juristischen Detailfragen - auch die Argumentation von Strauss-Kahns Team aus Staranwälten. Demnach tut der frühere Wirtschaftsminister und IWF-Chef zwar Dinge, an denen andere sich stören - aber deswegen noch lange nichts Verbotenes.

Die Anklage sei "ideologisch, politisch, moralisch motiviert", jedoch nicht juristisch fundiert, so Verteidiger Richard Malka. Es gehört zu den bemerkenswerten Randnotizen dieses Prozesses, dass es sich bei Malka um denselben Mann handelt, der als Sprecher des Satireblatts Charlie Hebdo jüngst als Held der Freiheit gefeiert wurde.

Keinen öffentlichen Beistand erfährt Strauss-Kahn von seinen einstigen Vertrauten in der sozialistischen Partei, zu denen der heutige Parteichef Jean-Christophe Cambadélis gehört oder EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Umso stärker ist die Unterstützung durch berufsmäßige Provokateure, etwa durch den Bestseller-Autor Frédéric Beigbeder.

Für den Herausgeber des Männermagazins Lui, der auch eine Fronde gegen die Strafverfolgung von Freiern anführt, verkörpert der Fall Strauss-Kahn "das Ende der sexuellen Revolution". Für Beigbeder geht es gar um die Verteidigung westlicher Werte. Er fragt die Franzosen: "Stellen Sie sich vor, alles verenge sich auf eine einfache Wahl. Sie müssen sich für ein Lager entscheiden. Was ist Ihnen lieber: DSK oder der Islamische Staat?"

Letzte Chance

Auch das gegnerische Lager, das sich um eine Stiftung zur Bekämpfung von Prostitution gesammelt hat, lädt den Prozess mit Bedeutung auf. Denn das Verfahren ist die letzte Chance, den 65-Jährigen wegen eines Sexvergehens dranzubekommen.

Obwohl nach dem Urskandal von vor vier Jahren viele Beschwerden über sein übergriffiges Verhalten auftauchten, reichte es nie zur Verurteilung. Mal wurde das Verfahren eingestellt - wie im Fall des New Yorker Zimmermädchens, an dessen Glaubwürdigkeit Zweifel aufkamen. Mal waren die Taten verjährt.

Im "Carlton-Prozess" wird die Kernfrage sein, ob Strauss-Kahn wusste, dass er es nicht mit freiwilligen Gespielinnen zu tun hatte, sondern mit bezahlten Prostituierten. Das französische Recht legt Zuhälterei weit aus: Sie umfasst jedwede Förderung der Prostitution, auch wenn daraus kein finanzieller Nutzen gezogen wird.

Da die Sexpartys von Strauss-Kahns Kumpanen - unter ihnen ein hoher Polizeibeamter, ein Unternehmer und ein belgischer Bordellbetreiber - immer in Abhängigkeit des IWF-Terminkalenders geplant worden sein sollen, sehen die Ermittler den Tatbestand der Prostitutionsförderung erfüllt. Zumal Strauss-Kahn in Paris eine Wohnung für die Orgien organisiert habe.

"Von Libertinage kann keine Rede sein, eher von Schlachterei"

Er sei "Anstifter eines Netzwerks gewesen, das ihm zu Diensten war", heißt es in einem Ermittlungsbericht. "Von Libertinage kann keine Rede sein, eher von Schlachterei." Die Aussagen zweier Prostituierter, die als Nebenklägerinnen auftreten, stützen das. Strauss-Kahn habe auch gewusst, dass seine Handlanger sie bezahlten. Sollten die Richter dem folgen, drohen dem gefallenen IWF-Chef bis zu zehn Jahre Haft und eine Strafe von 1,5 Millionen Euro.

Ob Strauss-Kahn wirklich wusste, dass er mit professionellen Sexarbeiterinnen verkehrte, wird trotzdem schwer zu beweisen sein. Selbst die Staatsanwaltschaft glaubt offenkundig nicht daran - sie hatte die Einstellung des Verfahrens beantragt. Die Ermittlungsrichter hielten aber an der Anklage fest. Einem der Anwälte Strauss-Kahns zufolge hat der Ex-IWF-Chef die Frauen stets nackt angetroffen. Und es sei schließlich unmöglich, "eine nackte Prostituierte von irgendeiner anderen nackten Frau zu unterscheiden".

Ein Freispruch für Strauss-Kahn ist möglich. Dennoch würde er kaum die ersehnte Ehrenrettung bedeuten, den Neuanfang. Denn zur Straus-Kahn-Saga gehört, dass er immer aufs Neue an sich selbst scheitert. Immer noch tiefer fällt.

Wieder steht Strauss-Kahn vor einem Scherbenhaufen

In den Jahren nach den Sex-Enthüllungen und seinem Sturz als IWF-Chef hatte es zunächst den Anschein, Strauss-Kahn habe sich gefangen. Er tingelte als gut bezahlter vortragsreisender Weltökonom von Cambridge bis nach Seoul, fungierte als Regierungsberater in Serbien und Südsudan, wurde Aufsichtsrat einer russischen Staatsbank. Er zeigte sich auch mit einer neuen Lebensgefährtin.

Und doch wird er wieder und wieder zum Opfer der eigenen Triebhaftigkeit. Nicht nur, als sich eine Pariser Autorin für einige Monate mit ihm einlässt - nur um dies dann in einem Buch auszubreiten. Auch der Versuch, als Präsident einer Luxemburger Investmentbank viel Geld zu verdienen, endete vor drei Monaten in einem tragischen Fiasko: Sein halbseidener Geschäftsfreund, für den Strauss-Kahn bei reichen Russen und Arabern Milliarden einsammeln und auf der Kanalinsel Guernsey anlegen sollte, prellte die Kunden. Dann nahm er sich das Leben.

Wieder steht Strauss-Kahn vor einem Scherbenhaufen. Nun ist auch sein Ruf als Finanzexperte ruiniert. Und wieder gibt er den Ahnungslosen. Er habe von den dubiosen Geschäften nichts gewusst. Strauss-Kahn muss befürchten, für die Millionenverluste von Gläubigern zur Verantwortung gezogen zu werden. Ermittlungen laufen.

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Quelle:
SZ vom 31.01.2015
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