Prozess gegen Starchirurg Broelsch:Operation gegen Extraspende

Geld oder Leben: Starchirurg Christoph Broelsch soll todkranke Krebspatienten zu Spenden für seine Universität genötigt haben. Der Arzt weist alle Vorwürfe zurück.

J. Nitschmann

Seine Stimme bebt vor Zorn. Die Anklagevorwürfe seien "auf dem Niveau von Karl-May-Geschichten; sie sind gut erzählt, aber haben mit der Wirklichkeit nichts zu ", ruft Christoph Broelsch aufgebracht den beiden Staatsanwälten zu. Der suspendierte Medizinprofessor fühlt sich sichtlich unwohl auf der Anklagebank im Saal 101 des Essener Landgerichts.

Fahrig zupft der 65-Jährige an seinem hellbraunen Jackett, fingert an seiner Designerbrille und knetet das Kinn seines sonnengebräunten Gesichts. Der Starchirurg und Leibarzt des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau soll todkranke Krebspatienten für deren Vorzugsbehandlung zu hohen Spenden für die Medizinforschung seiner Essener Universität genötigt haben.

Fast anderthalb Stunden benötigen die Staatsanwälte am Montag, um zum Prozessauftakt ihre 179 Seiten umfassende Anklageschrift gegen Broelsch zu verlesen. Dem honorigen "Prof. Dr. med. Dr. hc. mult.", der in der Medizinbranche als "Leber-Papst" verehrt wird, werden in insgesamt 62 angeklagten Fällen Bestechlichkeit, Betrug und Steuerhinterziehung angelastet. Der Transplantations-Chirurg soll der Anklage zufolge im Essener Universitäts-Klinikum von schwerkranken Kassenpatienten "in auswegloser Situation" Spenden zwischen jeweils 1000 und 22.000 Euro verlangt haben, um sie zügig und persönlich unter sein Skalpell zu nehmen.

Bei den dubiosen Spendenpraktiken ging es laut Anklage um Geld oder Leben. In Broelsch hätten viele Patienten "die einzige Rettungsmöglichkeit in naher Todesgefahr" gesehen, sagt Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Koch. Der Angeklagte habe an Todgeweihte mit schweren Leber- und Nierentumoren die "ultimative Forderung" gestellt, vor der "lebensrettenden Operation" auf das Forschungskonto der Uni Essen zu spenden.

Patienten-Spenden in Höhe von insgesamt 219000 Euro

Einer der inzwischen verstorbenen Krebspatienten habe in seiner Not seinen Pfarrer ersucht, das Geld für die Transplantations-OP bei Broelsch in der Kirchengemeinde aufzutreiben. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft flossen in dem Zeitraum zwischen 2002 und 2008 Patienten-Spenden in Höhe von insgesamt 219000 Euro auf ein "Drittmittelkonto" der Essener Universität für Forschung und Lehre, zu dem der angeklagte Mediziner "ungehinderten Zugang" gehabt habe. Gegenüber einem Zeugen soll Broelsch laut Anklage seine Prioritätenliste bei den Krebs-Operationen offenbart haben: "Erst kommen die Reichen, dann die Politiker, dann die Privaten und dann die Kassenpatienten."

Weiterhin wirft die Staatsanwaltschaft dem Essener Medizinprofessor vor, in 22 Fällen Patienten zugesagt zu haben, deren Operation persönlich durchzuführen, "obwohl ihm bewusst war, dass ihm dies aufgrund bereits zuvor eingegangener terminlicher Verpflichtungen gar nicht möglich war". Die Ankläger sehen darin einen "Betrug im besonders schweren Fall". Broelsch habe bei den Versicherungen von Privatpatienten satte Honorare in Höhe von insgesamt 108154 Euro liquidiert, obwohl er sich während deren OP nachweislich zu Kongressen im Ausland aufgehalten habe. Den Schaden bei den Steuerdelikten beziffert der Staatsanwalt auf etwa 300000Euro. Bei den angeklagten Delikten sieht das Strafgesetzbuch eine Höchststrafe von bis zu zehn Jahren vor.

Zunächst versucht Broelsch-Verteidiger Rainer Hamm, ein blitzgescheiter Jurist, der Anklage die Wucht zu nehmen. Gewiss habe sein Mandant "Fehler gemacht", räumt Hamm in sonorem Ton ein, aber die Staatsanwaltschaft habe "nach tendenziösen Ermittlungen" versucht, "daraus einen ganz großen Kriminalfall zu machen". Im Prozess werde weder über "die Gesundheits-Mafia" noch über die "Zweiklassen-Medizin" gerichtet.

"Verleumderische Affäre"

Dann ergreift Broelsch selbst das Wort. Er redet sich in Rage. Seine Einlassung gerät dem eloquenten Mediziner zu einer Abrechnung mit der Staatsanwaltschaft, die eine "verleumderische Affäre" ausgelöst habe. "Ich habe nie die Notlage eines Patienten ausgenutzt, um mich persönlich zu bereichern", versichert der Angeklagte. Vielmehr habe er mit den Spenden für die Medizinforschung einen praktikablen Weg gesucht, um auch Kassenpatienten operieren und auf seiner Privatstation in der Essener Uniklinik behandeln zu können. Für den evangelischen Pastorensohn und bekennenden Christen war dies ein Akt der Nächstenliebe, "eine zwischenmenschliche Tat", wie sein Verteidiger sagt.

Es sei "eine Fehlvorstellung" der Staatsanwaltschaft, empört sich der suspendierte Chefarzt, wenn diese den Eindruck erwecke, er habe Patienten, die nicht zahlungskräftig gewesen seien, unbehandelt fortgeschickt. In diesen Fällen hätten sich "andere qualifizierte Ärzte" um sie gekümmert. Als Arzt habe es ihm immer Kopfzerbrechen bereitet, zwischen Privat- und Kassenpatienten unterscheiden zu müssen. "Ich habe dieses Gesundheitssystem nicht erfunden", sagt Broelsch. Er halte es für "eine Zumutung", dass ihm bei der Spenden-Akquise, die zu seinen Aufgaben als Hochschullehrer gehöre, Vorteilsannahme und persönliche Bereicherung unterstellt werde. Womöglich, bedauert der Angeklagte, sei er bisweilen zu unkonventionell vorgegangen: "Ich bin wirklich ein guter Arzt, aber ein ungeeigneter Buchhalter."

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