Prozess gegen Prinz Ernst August:"Irgendwas stimmt hier nicht"

"Groteske Erfindungen und Lügengeschichten": Im neu aufgerollten Prozess gegen Ernst August von Hannover soll endlich geklärt werden, ob der Welfenprinz einen Diskobesitzer verprügelt hat - oder nicht.

Jens Schneider

Es ist kurz vor Mittag am ersten Prozesstag, als der Vorsitzende Richter des Landgerichts Hildesheim noch einen leisen Versuch unternimmt. Andreas Schlüter wendet sich dafür nicht dem Prinzen Ernst August von Hannover zu - der Richter sinniert mehr so vor sich hin. Er lässt erkennen, was ihm durch den Kopf geht und lässt an diesen grundsätzlichen Überlegungen alle im Saal teilhaben.

Prozess gegen Prinz Ernst August: "Ich stehe unter Schock": Ernst August von Hannover wirft seinem früheren Anwalt vor, mit einem falschen Geständnis seinen Ruf ruiniert zu haben.

"Ich stehe unter Schock": Ernst August von Hannover wirft seinem früheren Anwalt vor, mit einem falschen Geständnis seinen Ruf ruiniert zu haben.

(Foto: Foto: Getty)

Zum Beispiel fällt ihm ein, dass in der Presse stand, dieses Verfahren solle für die Beteiligten eine Frage der Ehre sein. Er deutet Zweifel an, dass der Prozess da wirklich hilfreich sein wird. "Es mag dahingestellt sein", räsoniert der Richter in seinem heiter gelassenen Tonfall, "ob dieses Verfahren die Beteiligten so viel weiterbringt". Auch erinnert er leise daran, dass es ja wohl um nicht mehr als zwei Ohrfeigen geht, verabreicht vor neuneinhalb Jahren. Also, sagt er nachdenklich, man müsse schon hinterfragen, ob es zu einer "solch monströsen Beweisaufnahme kommen muss".

Doch seine Sätze versickern im Saal. Keiner will die Sache abkürzen und den Prozess gegen eine hohe Geldzahlung einstellen. Es soll gerade ein großes Verfahren geben. Ernst August von Hannover hat viel Geld und Zeit investiert, damit dieses Berufungsverfahren zustande kommt.

Es geht darum, eine schwere Strafe abzumildern, und - vielleicht wichtiger - auch um seinen Ruf. Seit Januar 2005 hat er auf diesen Termin hingearbeitet. Und es geht nicht nur um seine Ehre. Sein damaliges Opfer, der Nebenkläger Josef Brunlehner, will dagegenhalten. "Die Wahrheit kann man nicht ändern", sagt er an diesem Morgen in Hildesheim. "So was vergisst man nicht." Alles habe sich so zugetragen, wie er es vor Jahren dargestellt hat. Der Prinz habe ihn arg verletzt.

Zwei Ohrfeigen oder doch mehr?

Nun wird die Strafkammer des Landgerichts zu Hildesheim an wohl mindestens elf Verhandlungstagen einen gewaltigen Aufwand betreiben. Es werden Zeugen aus Kenia eingeflogen, auch Prinzessin Caroline, die Frau des Prinzen, wird erwartet. Alles für die Klärung von wenigen Minuten, die sich eine halbe Stunde vor Mitternacht am 14. Januar des Jahres 2000 auf einer Treppe an der Küste Kenias zugetragen haben. Alles für die Frage: zwei Ohrfeigen oder doch mehr?

Diese Minuten und vor allem das, was daraus in den folgenden Monaten von Juristen und auch Medien gemacht wurde, haben den damals ohnehin schon angeschlagenen Ruf des Welfenprinzen arg ramponiert. Der 55 Jahre alte Prinz war zu Beginn dieses Jahrtausends in Blättern schon mit dem Beinamen "Pinkel-Prinz" versehen worden, weil er an einen Pavillon auf der Expo in Hannover uriniert hatte. Auch hatte er sich mit derben Beleidigungen und Angriffen auf Journalisten eine besondere Reputation erworben. Da schien der "Vorfall Kenia", wie der Richter die Angelegenheit trocken nennt, in die Reihe zu passen.

Dem Ruf des Prinzen wenig zuträglich war auch der Verlauf der folgenden Verfahren. Während er selbst den Prozessen in Niedersachsen fern blieb, handelte ihm sein damaliger Anwalt mit einem nicht abgesprochenen Geständnis eine Verurteilung zu einer Geldstrafe von 445 000 Euro wegen gefährlicher Körperverletzung ein. Der Prinz sei in jener Nacht in Kenia stark alkoholisiert gewesen, erklärte der Verteidiger damals, vielleicht habe ihm sogar jemand etwas ähnliches wie einen Schlagring in die Hand gegeben.

Das Geständnis war nicht nur unabgesprochen, sondern laut Ernst August falsch. "Ich stehe unter Schock", schrieb er damals sofort dem Anwalt. Er sei von diesem Anwalt regelrecht hintergangen worden, erklärt er heute. Mühsam erkämpfte er in den folgenden Jahren mit Hilfe seines neuen Verteidigers Hans Wolfgang Euler die jetzige Wiederaufnahme. Um allein diese komplizierte juristische Vorgeschichte zu referieren, braucht der Vorsitzende Richter in Hildesheim fast eine Stunde.

Der böse weiße Mann

Diesmal nimmt der Prinz sich die Zeit, alles anzuhören. Er lässt sich zumindest am ersten Prozesstag nicht vertreten. Begleitet von drei Bodyguards trifft er sehr früh im Gerichtssaal ein und lässt sich dort ausdauernd und lange fotografieren. Der einst für seine Allergie gegen Paparazzi berühmte Adlige verbirgt sich nicht. Von Beginn an ist aber klar, dass seine Stimme hier kaum zu hören sein wird. Er bestätigt nur kurz, dass er seinen Wohnsitz in Monaco hat und deutscher und britischer Staatsangehöriger ist. Der Richter bemerkt nebenbei, dass er die Frage der Anrede mit dem "Prinzen von Hannover" vorab geregelt habe - bekommt aber trotz alledem keine weiteren Antworten. Zur Sache spricht der Prinz kein Wort. Sein Anwalt Euler verliest aber des Prinzen 17 Seiten lange Erklärung, die das komplizierte Verfahren aufrollt, vor allem das Geschehen der fraglichen Nacht.

Erstmal beklagt der Prinz, dass schon vor der Hochzeit mit Caroline Paparazzi anfingen, "Jagd auf uns zu machen". Äußerst unangenehm sei das gewesen, auch ausgesprochen gefährlich. Dann erzählt er von seinen Urlauben auf der Insel Lamu in Kenia, wo sich im Laufe der Jahre einiges negativ verändert habe. Der Hotelier Brunlehner habe nun "eine dieser negativen Entwicklungen repräsentiert". Von Unmut über Alkohol in dessen Diskothek, ja auch von Gerüchten über Drogenhandel und Prostitution ist die Rede. Vor allem aber hätte die Bevölkerung unter dem Lärm der Disko zu leiden gehabt. Auch wegen deren Laserstrahlen "konnten sie oft schlicht und ergreifend nicht schlafen".

Dagegen habe es viele Petitionen gegeben, bis hin nach Nairobi. In dieser Nacht nun habe man sich gerade unterhalten, wie man Brunlehner "vielleicht doch noch das Handwerk legen könnte". Da tauchte der Gastronom unvermittelt mit einem Boot auf, angeblich um den Lärmpegel zu messen.

Der Prinz kannte ihn gar nicht, will sich auf Deutsch vorgestellt und Brunlehner dann links und rechts jeweils eine "symbolische Ohrfeige" gegeben haben. Begleitet von den Worten: "One for the music and one for the light." Mit den Ohrfeigen habe er zum Ausdruck bringen wollen, dass Brunlehner nicht erwünscht war, sagt Ernst August. Er räumt ein: "Dass es für mein Handeln keine juristische Grundlage gab, ist natürlich klar." Er glaubte aber, im Interesse der Bewohner Shelas zu handeln.

Der böse weiße Mann

In der Version Brunlehners freilich hört sich das anders an. Er behauptet, dass der Prinz am Ende gar auf ihm gesessen und mit linken und rechten Schwingern auf ihn eingeschlagen hätte. Brunlehner wurde später im Krankenhaus behandelt, unter anderem von schweren inneren Verletzungen war die Rede. Erst dort habe er erfahren, sagte er nun vor Prozessbeginn, "wer der weiße Mann war".

Der Prinz nennt das groteske Erfindungen und Lügengeschichten. Einen Schlagring habe er noch nie in der Hand gehabt. Er sei auch nicht alkoholisiert gewesen. Es gebe Zeugenaussagen, wonach Brunlehner gar nicht so schwer verletzt gewesen sei. Ernst August räumt Fehler ein - etwa, dass er sich auf seinen früheren Anwalt verließ und nicht um die Verfahren kümmerte. Viele Freunde und Bekannte, die zu ihm gehalten hätten, fühlten sich wie vor den Kopf gestoßen: "Es waren unschöne Zeiten." Das konkrete Ziel sei nun, so sein Anwalt, eine mildere Strafe.

Josef Brunlehner aber hält entschlossen an seiner Version fest. Von Dienstag an soll er aussagen. Der Vorsitzende Richter Schlüter sah sich durch die so ausgesprochen widersprüchlichen Versionen der beiden noch zu einer weiteren Anmerkung veranlasst. In anderen Prozessen gebe es ja auch Widersprüche, doch ließen sich Aussagen anderswo meist unter einen Hut bringen. In diesem Prozess aber falle auf: "Irgendwas stimmt hier nicht." Wenn's sein müsse, würde sich das Gericht dem widmen. Aber am Ende könne derjenige, so warnte er, dessen Darstellung nicht die richtige sei, "ganz arge Probleme" bekommen.

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