Prozess gegen Flüchtling:Pflegemutter von Hussein K.: Tat überhaupt nicht vorhersehbar

Freiburger Mordprozess

Hussein K. muss sich vor dem Landgericht Freiburg wegen des Mordes an der Studentin Maria L. verantworten.

(Foto: dpa)
  • Die Pflegemutter von Hussein K. hat zum ersten Mal vor Gericht als Zeugin ausgesagt.
  • Demnach habe es keinerlei Anzeichen für die Tat des jungen Afghanen gegeben.
  • Auch die zuständigen Jugendämter weisen eine Mitschuld von sich.

Aus dem Gericht von Josef Kelnberger, Freiburg

Als am 16. Oktober 2016 die Nachricht vom gewaltsamen Tod der Medizinstudentin Maria L. in Freiburg die Runde machte, wurde Hussein K. von seiner Pflegemutter darauf angesprochen: Ob er irgendetwas von dem Fall wisse? Er zeigte keinerlei Reaktion. Zwei Tage später besuchte Hussein K. ein Musikfest. Der junge Afghane meldete sich aus freien Stücken für eine Gesangseinlage und trällerte vor großem Publikum solo ein deutsches Lied, von Anfang bis Ende. Seine Pflegeeltern werteten das als Zeichen dafür, wie reif und selbstbewusst ihr Hussein mittlerweile geworden war.

Einige Wochen später wurde Hussein K. verhaftet, unter dringendem Verdacht, Maria L. in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober vergewaltigt und getötet zu haben. Sie habe nichts geahnt, sagte die Pflegemutter am Dienstag in ihrer Aussage vor dem Landgericht Freiburg. Die Frau würdigte den Angeklagten keines Blickes.

Hussein K. hat die Tat mittlerweile gestanden und auch zugegeben, dass er bei seiner Registrierung ein falsches Geburtsdatum nannte, um als unbegleiteter Minderjähriger behandelt zu werden. So gelangte er in die Obhut eines Freiburger Kinderarztes und dessen Frau, die als Dolmetscherin für eine Flüchtlingsinitiative arbeitete. Er bewohnte eine großzügige Einliegerwohnung, erhielt reichlich Geld und Unterstützung in allen Lebenslagen. Es gab auch keine feste Regeln, wann er zu Hause sein musste, wenn er am Wochenende ausging.

Pflegeeltern haben sich nichts zuschulden kommen lassen

Die Geschichte nahm ein tragisches, nach Darstellung der Pflegemutter aber nicht im mindesten vorhersehbares Ende. In den Wochen vor der Tat habe Hussein K. einen sehr ausgeglichenen Eindruck gemacht, sagte sie. Wie die Vorsitzende Richterin erklärte, haben sich die Pflegeeltern in strafrechtlicher Hinsicht nach jetzigem Stand nichts zuschulden kommen lassen.

Am Dienstag traten dem Angeklagten im großen Saal des Landgerichts Freiburg auch zwei Mitarbeiter von Jugendämtern gegenüber. Sie hatten die Aufsicht über den jungen Mann. Hussein K. kam im November 2015 nach Deutschland und sagte, er stamme aus Afghanistan und sei 17 Jahre alt. Beim Alter hat er gelogen, wie er zum Prozessauftakt vor rund einem Monat zugegeben hatte. Als Minderjähriger erhoffte er sich in Deutschland Vorteile.

"Die Angaben waren für uns plausibel", sagt nun der zuständige Sachbearbeiter im Jugendamt Freiburg, bei dem Hussein K. nach der Einreise nach Deutschland sein erstes und auch einziges Gespräch hatte. Amtliche Dokumente hatte der Flüchtling nicht dabei. Aber das sei nicht ungewöhnlich. "Die meisten haben keine Dokumente", sagt der Beamte, der als Zeuge vor Gericht aussagen muss. Überprüft worden seien die Angaben nicht - das genannte Alter galt somit als sicher. Und wurde auch von anderen Behörden nicht infrage gestellt.

Kaum Kontakt zu Hussein K.

"Es war ein ganz gewöhnliches Verfahren", sagt die Mitarbeiterin des Jugendamtes Breisgau-Hochschwarzwald, das nach Freiburg seit Dezember 2015 für Hussein K. zuständig war und die Aufsicht über ihn hatte. Dass der Flüchtling gar nicht minderjährig war, habe niemand gemerkt oder geprüft. "Hinterher ist man immer schlauer", erklärt die Sozialarbeiterin auf eine entsprechende Frage des Staatsanwaltes. Fehler habe es bei dem Amt nicht gegeben.

Einen direkten Kontakt zu dem Flüchtling in einem halben Jahr gab es demnach nur bei einem einzigen Gespräch. Mehr sei wegen der verschiedenen Zuständigkeiten nicht möglich gewesen, sagt die Beamtin zur Begründung. Ansonsten habe das Jugendamt der Pflegefamilie und dem Schulträger vertraut. Die Schule habe Hussein K. mit guten Leistungen besucht. Und auch von oder mit der Pflegefamilie habe es keinerlei Probleme gegeben. "Es gab für uns daher keinen Anlass, einzuschreiten."

Das Verbrechen an der Studentin in Freiburg löste bundesweite Debatten über die deutsche Flüchtlingspolitik und ein mögliches Versagen der Behörden aus. Am kommenden Montag (16. Oktober) jährt sich die Tat zum ersten Mal. Das Gericht will dem Plan zufolge bis Dezember verhandeln, dann soll ein Urteil gesprochen werden.

Vor allem geht es um die Frage, wie alt der vor der Jugendkammer stehende Mann tatsächlich ist. Dies wird auch Auswirkungen auf die Höhe der Strafe haben. Die Staatsanwaltschaft hält Hussein K. für mindestens 22 Jahre alt, er könnte somit nach Erwachsenenstrafrecht mit höheren Strafen verurteilt werden. Bei Mord ist dies in der Regel lebenslänglich. Zwei Gutachten sollen dies im Laufe des Prozesses untermauern. Sie werden dem Plan zufolge im November erörtert.

Rolle der Behörden ist geklärt

Mehrere Zeugen haben bereits ausgesagt, dass der Angeklagte älter ist. Hussein K. schweigt zu seinem Alter. Und auch sein Anwalt macht keine näheren Angaben. Für die Pflegemutter, die ebenfalls am Dienstag vor Gericht aussagt, war das Alter ihres Schützlings kein Thema, wie sie sagt. Es sei nicht besprochen worden.

Die Rolle der Behörden spielt in dem Fall keine Rolle mehr, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Ein strafrechtliches Fehlverhalten in den Amtsstuben sei nicht festgestellt worden. Ermittler hatten dies geprüft, nachdem Bürger Anzeigen erstattet hatten.

Thematisiert werden soll in den Prozess aber die Vorgeschichte: Wegen einer Gewalttat an einer jungen Frau 2013 war Hussein K. in Griechenland zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, im Oktober 2015 aber vorzeitig gegen Auflagen entlassen worden. Wenig später tauchte er unter und in Deutschland wieder auf. Von seiner kriminellen Vorgeschichte wussten die deutschen Behörden nichts, weil sie von Griechenland nicht informiert worden waren. Zudem besteht der Verdacht, dass Hussein K. zuvor im Iran eine Zwölfjährige vergewaltigt hat.

Mit Material der Agentur dpa.

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