Prozess gegen "Engel mit Eisaugen":American Beauty

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Ist Amanda Knox eine bösartige, manipulative und machtgierige Mörderin? Im Prozess gegen die Studentin, die in Perugia eine Kommilitonin ermordet haben soll, wird das Urteil erwartet.

A. Bachstein

Steile Stufen führen hinab von der Piazza Matteotti in den Saal mit den gewölbten Ziegelmauern. Hier unten entscheidet sich das Schicksal zweier junger Menschen, hier unten tagt das Schwurgericht.

Ihre Verteidiger stellen die amerikanische Studentin Amanda Knox als madonnenhafte Unschuld dar. (Foto: Foto: AP)

Oben, vor Perugias Palazzi aus Mittelalter und Renaissance, stehen die Übertragungswagen der Fernsehstationen. Es geht um Sex, um Mord und junge Frauen. Auch im Ausland ist Umbriens Hauptort nun nicht mehr nur wegen seiner Schönheit und der Schokolade bekannt.

Inkarnation der Unschuld

Eine junge Frau ist hier ermordet und missbraucht worden. 21 Jahre alt war die britische Studentin Meredith Kercher bei ihrem Tod im November 2007. Angeklagt sind ihre amerikanische Kommilitonin Amanda Knox, 22, und deren Ex-Freund, der Student Raffaele Sollecito, 25. Ein dritter Beschuldigter ist bereits verurteilt.

Amanda Knox ist durch den Prozess zum Medien-Star geworden. Ihr Richter und die acht Geschworenen blicken auf das Fresko einer Madonna - die Inkarnation der Unschuld. Als solche stellen ihre Verteidiger Amanda Knox auch dar.

Für Staatsanwaltschaft und Nebenklage ist sie eine bösartige, manipulative, machtgierige Mörderin. Lebenslang ist gefordert für Sollecito und Knox. Das kann in Italien auch lebenslang bedeuten.

All inclusive Atmosphäre

Knox hatte das Leben in Perugia genossen. Das fällt leicht in der Stadt der "Baci", der Küsse, jener Nusspralinen, die in alle Welt verkauft werden.

38.000 junge Leute, fast ein Viertel der Einwohner, studieren an einer der ältesten Universitäten Europas, nochmals 8000 Studenten besuchen die Ausländeruniversität.

Es gibt jede Menge Lokale und Partys. Eine Atmosphäre für schnelle Bekanntschaften - all inclusive. Amanda Knox, zum ersten Mal so weit weg von zu Hause, nahm an diesem Leben teil. Sie habe es überzogen, "ich war von der Freiheit berauscht", sagte sie später.

Auch Meredith Kercher, genannt Mez, war eine lebenslustige junge Frau. Fotos zeigen die dunkeläugige Britin mit den langen braunen Haaren fröhlich lachend. Auf dem letzten Bild - entstanden auf einer Halloween-Party - trägt sie ein Vampirkostüm. Sie stellte das Foto noch auf ihre Facebook-Seite. In Leeds hatte sie Europawissenschaften studiert und war im August 2007 nach Perugia gekommen.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, von welchen Mordmotiven die Staatsanwaltschaft ausgeht.

Sie fand ein Apartment keine 200 Meter von der Ausländeruniversität entfernt in einem Haus, in dem lauter Studenten wohnten. Nicht lange nach ihr zog Amanda Knox dort ein. Sie kam aus Seattle im US-Bundesstaat Washington, dort hatte sie Deutsch, Italienisch und Creative Writing studiert. Die beiden schlossen Freundschaft.

Es ging lebhaft zu in dem ziegelgedeckten Haus. Bäder und die Essküche teilten sich vier junge Frauen auf einer Etage, in der anderen wohnten italienische Studenten. Es herrschte viel Kommen und Gehen. Meredith Kercher nahm aber auch ihr Studium ernst.

Spuren von Gewalt am ganzen Körper

Manchmal wurde es Kercher offenbar zu viel, dass Knox ständig Leute anschleppte, gelegentlich fühlte sie sich von Amandas Sexualleben belästigt. Das sagte sie ihr auch.

Diese Kritik, glaubt der Staatsanwalt, sei eines der Motive für den Mord am späten Abend von Allerheiligen 2007. Man fand Kerchers Leiche am Morgen des 2.November halb entkleidet vor ihrem Bett.

Ihr Blut hatte die Wände bespritzt. Sie war gewürgt worden, ihren Hals hatten drei Messerstiche durchbohrt, man hatte sie vergewaltigt und gegen den Schrank geworfen. Ihr ganzer Körper trug Spuren von Gewalt. Die Staatsanwaltschaft sagt, einer allein hätte ihr all das nicht antun können.

Sie rekonstruiert, dass Knox, ihr neuer Freund Sollecito und ein Begleiter namens Rudy Guede die Britin zum Sex zwingen wollten. Unter Einfluss von Drogen und Alkohol hätten die drei zwischen 23.20 und 23.45 Uhr wie entfesselt ihr Opfer malträtiert. Amanda Knox sei die entscheidende Kraft bei dem Exzess gewesen. Mit einem vorgetäuschten Einbruch hätten die Täter dann eine falsche Spur legen wollen.

Narzisstisch und aggressiv

Am BH von Kercher fanden sich DNS-Spuren Sollecitos. Auf einem Messer in seiner Wohnung befand sich DNS-Material von Kercher und Knox. Das Messer trug aber keine Fingerabdrücke. Es war penibel gereinigt worden. Eine Quittung für Bleichlösung, die sich dazu eignet, wurde bei Sollecito gefunden.

Staatsanwalt Giuliano Mignini fand harte Worte für Amanda Knox. Narzisstisch und aggressiv sei sie, sie kenne keine Grenzen. Der Prozess beruht nur auf Indizien. Dass Rudy Guede in der Tatnacht bei Kercher war, ist sicher. Seine Anwälte wählten ein verkürztes Verfahren, Guede ist schon zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.

Der heute 23-Jährige kam mit 17 von der Elfenbeinküste nach Perugia, kleine Drogendelikte hatte er auf dem Kerbholz. Guedes Y-Chromosom wurde in Kerchers Körper gefunden. Auf einem blutgetränkten Kissen und im Bad fand sich sein Genmaterial. Er sagt, es habe nur einen Annäherungsversuch gegeben. Er will einen Streit zwischen Knox und Kercher mitbekommen haben.

Lesen Sie auf Seite 3, wie ungerührt sich Amanda Knox nach dem Tod ihrer Mitbewohnerin verhielt.

Guede gibt an, er sei eine Weile im Bad gewesen und habe dort einen Schrei gehört. In Kerchers Zimmer sei ein Mann gewesen, der dann flüchtete. Draußen habe jemand gesagt: "Lass uns gehen, ein Schwarzer ist im Haus. Ein Schwarzer ist immer schuldig." Durchs Fenster habe er Knox erkannt und einen Mann mit einem Messer.

Er habe noch mit einem Handtuch Kerchers Blut zu stillen versucht und sich dann davongemacht. Festgenommen wurde er in Mainz. Falls er eine Schuld habe, sagte er im laufenden Berufungsverfahren, dann die, nichts für Merediths Rettung getan zu haben.

Seltsamkeiten im Verhalten

Knox und Sollecito behaupten wiederum, sie hätten jene Nacht in Sollecitos Wohnung verbracht, einen Film gesehen, gekifft. Sollecito will am Computer gearbeitet haben.

Am nächsten Morgen sei Knox nach Hause gegangen, habe Einbruchspuren bemerkt und ein blutiges Handtuch, aber erst mal geduscht. Sollecito informierte schließlich die Polizei, es sei eingebrochen worden. Die Leiche wurde gefunden.

Es gibt Seltsamkeiten im Verhalten von Knox. Zum Beispiel ihre Ungerührtheit nach dem Tod der Freundin. Anfänglich sagte sie auch aus, sie habe einen Schrei gehört, Kercher habe Sex gehabt vor ihrem Tod.

Wie wollte sie das wissen, wenn sie nicht im Haus war, führt die Anklage an. Und Sollecitos Computer wurde zur fraglichen Zeit nicht benutzt. Vor allem aber beschuldigte Knox einen Unbeteiligten der Tat. Patrick Lumumba aus dem Kongo gehörte die Bar "Le chic" in Perugia, Knox jobbte dort. Lumumba wurde inhaftiert. Es rettete ihn nur ein Gast, der ihm ein sicheres Alibi gab.

Ein braves, normales Mädchen

Lumumba verlor seine Existenz, er ist noch immer in therapeutischer Behandlung. Für die Anklage ist die Anschuldigung gegen ihn ein Ablenkungsmanöver und Beleg für Perfidie. Die Verteidiger von Sollecito und Knox fordern Freispruch - beide hätten kein Motiv für den Mord.

Ihre Gutachter legten dar, Genmaterial sei erst nach Entdeckung der Leiche an den Fundort gelangt. Sollecitos Messer passe nicht zu den Verletzungen. Amanda sei ein braves, normales Mädchen.

Der Prozess steht jetzt nach fast elf Monaten vor dem Ende. Raffaele Sollecito wirkt zuversichtlich, in der U-Haft hat der Arztsohn aus Bari ein Informatik-Examen absolviert. Amanda Knox erscheint verändert. Anfangs trat sie lächelnd und lebhaft im Gericht auf. Sie suchte Augenkontakt zu Sollecito, schien mit den Kameras zu flirten.

"Wir wissen, dass sie unschuldig ist"

Jetzt hat sie nichts Strahlendes mehr. Nach dem siebenstündigen Plädoyer von Staatsanwalt Mignini sagte sie: "Meredith war meine Freundin. Es wäre absurd, jemanden zu verletzen, der nett zu mir war." Sie war den Tränen nah.

Von ihrer Familie aus Seattle saß meistens jemand im Prozess. Jetzt sind die Eltern, der Stiefvater, ihre Schwester und andere Verwandte da. Mutter Edda Mellas, eine Lehrerin, lächelt ihrer Tochter aufmunternd zu. Vater Curt Knox, 47, ein kräftiger, blonder Mann mit Schnauzbart, leitender Angestellter der Kaufhauskette Macys, will seine Tochter um jeden Preis freibekommen.

Das Verfahren hat alles Geld der Familie verschlungen. Curt Knox sagte der SZ: "Wir sind optimistisch. Wir wissen, dass sie unschuldig ist." An diesem Freitag sollen die Geschworenen entscheiden. Perugia wird erleichtert sein, wenn die Ü-Wagen abfahren. Vielleicht denkt noch jemand an Arline Kercher, die Mutter von Meredith. Sie sagte: "Wir werden nie, nie über ihren Tod hinwegkommen."

© SZ vom 04.12.2009/jobr/mati - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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