Prozess gegen Drahtzieher im Internet:"Eine neue Dimension der Kinderpornographie"

Der Staatsanwalt hält ihn für einen "der führenden Initiatoren der internationalen Kinderporno-Szene": In Darmstadt hat der Prozess gegen Christian B. begonnen. Der Student soll im Internet eine Seite betrieben haben, die sexuellen Missbrauch auch noch honorierte. Wer dort Bilder seiner Taten hochlud, brachte es zum Super-VIP.

Marc Widmann, Darmstadt

Er will nicht erkannt werden, dieser junge Mann, der im Netz so mächtig war. Und in der echten Welt wirkt er eher klein. Er schlingt den grauen Schal noch höher um sein pausbäckiges Gesicht, als er am Montag in den Verhandlungssaal des Darmstädter Landgerichts tritt, er zieht die schwarze Schirmmütze noch tiefer in die Stirn, dann hält er sich ein Blatt vor das Gesicht. Seine Eltern sitzen hinter der Glasscheibe im Publikum, zwei gut gekleidete ältere Leute, um Haltung bemüht. Sie haben nichts gewusst von seinem Doppelleben, keiner wusste etwas, bis ihn die Polizisten abholten im Juli 2011. Bis dahin war Christian B. aus der Nähe von Darmstadt ein normaler Bummelstudent der Ostasienwissenschaften, zumindest sah es so aus.

Haftstrafen im Missbrauchsprozess gefordert

Ein Angeklagter in einem der bundesweit größten Kinderporno-Prozesse vor dem Landgericht Darmstadt versteckt sich hinter einer Akte. Seit Montag wird dort gegen den mutmaßlichen Drahtzieher verhandelt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Jetzt steht Staatsanwalt Andreas May auf in seiner schwarzen Robe und sagt gleich am Anfang, für wen er Christian B. wirklich hält: Für einen "der führenden Initiatoren der internationalen Kinderporno-Szene". 150 Seiten umfasst seine Anklage, der Staatsanwalt lutscht Halsbonbons, damit ihm in den eineinhalb Stunden des Lesens nicht die Stimme versagt. Nur selten bekommen Zuhörer einen so tiefen Einblick in den Sumpf der Kinderpornographie wie in diesem Prozess.

Im Netz hieß Christian B. anders, er nannte sich zum Beispiel "der Keller". Seine Kumpanen wählten Pseudonyme wie GYLS für "Gimme your little sister", auf Deutsch: Gib mir Deine kleine Schwester, und sie meinten das wörtlich.

"Testen, wie weit man gehen kann"

Seinen Aufstieg in der Szene begann der Student aus Hessen vor knapp vier Jahren. Jemand hatte ihm den Link zur einem Forum namens Zauberwald geschickt, und was sich verträumt anhört, war damals eine der härtesten Seiten für Pädophile. Christian B. tauchte nicht nur ein in diese Welt, er stürzte sich offenbar regelrecht in sie. Bald leitete er selbst das Nachfolge-Forum namens Sonneninsel, verwaltete es, und schuf immer neue Ableger für verdiente Mitglieder.

Eines trug den Namen Unit731, und der Staatsanwalt ist sichtlich bemüht, seine Worte taktvoll zu wählen als er aufzählt, was für Bilder dort kursierten: Gefesselte Kinder waren zu sehen, vergewaltigte Kinder. Das war gewissermaßen der Einstieg für Christian B.

Als die Ermittler die Sonneninsel 2009 enttarnten und neun Mitglieder vor Gericht brachten, stellte er seine Aktivitäten nicht etwa ein. Ihn hatten sie ja nicht gefunden, also wollte er "testen, wie weit man gehen kann", so schildert er es vor Gericht. Er baut Ende 2010 eine neue Welt im Internet auf, die auch erfahrene Fahnder frösteln lässt. "Das war eine neue Dimension der Kinderpornographie", sagt Andreas May, Mitglied einer Internet-Sondereinheit der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt.

Missbrauchs-Täter unter sich

Im neuen Love Board, das Christian B. zunächst auf einem russischen Server einrichtet und später in das besonders abgeschottete Tor-Netzwerk übersiedelt, gibt es nicht nur die sonst in der Szene üblichen Rubriken für Hardcore-Bilder oder Fotos mit Babys. Es gibt eine fein gestaffelte Hierarchie, bei der das Grauen mit der Position des Mitglieds wächst.

Wer volles Mitglied werden will, muss mindestens 50 Megabyte an Kinderporno-Dateien vorweisen. Mit 666 Megabyte wurde man VIP, hatte größeren Zugriff auf mehr Bilder. Und wer gerade selbst ein Kind missbrauchte, der wurde auch zum Super-VIP und erhielt Zugriff auf eine "Producer's Lounge", den innersten Kern.

Hier waren die Missbrauchs-Täter unter sich, und Christian B. ermöglichte es ihnen. Hier teilte Anfang 2011 zum Beispiel ein Nutzer namens Firestorm mit, er plane eine neue Bilderserie, ob es Wünsche gebe. Und die Mitglieder, darunter laut Anklage auch der Hesse, zögerten nicht mit Vorschlägen: Eine Fesselung wäre toll, oder eine Szene in Schuluniform. So geschah es. Es war quasi Missbrauch auf Bestellung.

Bislang völlig unbescholten

Wer hier Mitglied werden wollte, musste auf Wunsch von Christoph B. neben einem nackten Kind einen handgeschriebenen Zettel in die Kamera halten, auf dem der Namen der Internet-Seite stand. Zum Beweis, dass die Bilder frisch sind.

"Das war völlig neu zu diesem Zeitpunkt", sagt Ermittler May, der schon viel sehen musste. Einen der Täter haben die Fahnder inzwischen in Mexiko verhaftet, einen auf Mallorca. Und in Hessen erwischten sie Christian B., 34 Jahre alt, bisher völlig unbescholten.

Er machte Abitur auf einer katholischen Privatschule, Zivildienst als Sanitäter, ein Praktikum in Taiwan. Er sitzt da in Anzug und Krawatte, tadellos. Ist so etwas wie Einsicht erkennbar? Christian B. sagt, dass er schon immer auf zierliche Frauen stand, aber Kleinkinder, nein, auf keinen Fall. "Ist das Ihr Ernst?", fragt der Vorsitzende Richter Jens Aßling. "Das ist mein Ernst", behauptet der Angeklagte. Es gibt eine Pause, Verteidiger Udo Vetter redet mit seinem Mandanten.

Danach erzählt der Student etwas mehr, dass sein Interesse bei zehnjährigen Mädchen anfange, dass er oft zehn Stunden im Netz war, um seine Seiten zu pflegen, "das war für mich wie so 'ne Ersatzwelt". Im echten Leben klappte nichts, einen Job bei einer Unternehmensberatung verlor er, die Diplomarbeit kam nicht voran. "Im Netz hatte ich das Gefühl, etwas aufgebaut und geschafft zu haben." Jetzt, sagt er, wolle er sich in Therapie begeben.

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