Prozess gegen Dennis' Mörder:Hinter der Maske

Er war der maskierte Mann, der in Landschulheime eindringt, in innerste, geschützte Bereiche, Kinder entführt, Kinder tötet: In Stade hat der Prozess gegen den Pädagogen Martin N. begonnen, der viele Jungen missbraucht und mindestens drei von ihnen ermordet haben soll.

Hans Holzhaider, Stade

Er will sein Gesicht nicht zeigen, obwohl es ja nun nichts mehr zu verheimlichen gibt. Ein aufgeklappter, rosafarbener Aktendeckel verdeckt vollständig die Gesichtszüge von Martin N., als er in den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade geführt wird. Bei seinen Taten hatte er sich hinter einer schwarzen Stoffmaske versteckt, die nur Augen, Nase und Mund freiließ.

Martin N., 40 Jahre alt, ist der Maskenmann. Er hat getan, wovor Menschen sich am meisten fürchten. Er ist der unheimliche Unbekannte, der in innerste, geschützte Bereiche eindringt, Kinder entführt, Kinder tötet. Drei Morde hat er gestanden, und dass viele seiner Opfer noch leben, verdanken sie wohl nur dem Umstand, dass sie intuitiv oder aus purer Angst stillhielten und den Täter nicht der Gefahr der Entdeckung aussetzten.

Als die Fotografen und die Kameraleute den Saal verlassen haben und Martin N. endlich sein Gesicht zeigen muss, blickt man auf einen lang wuchernden Vollbart, darüber eine scharfe Nase und tiefliegende Augen, die aber flink durch den Saal huschen, über die Richterbank, die Nebenkläger, das Publikum. An diesem ersten Verhandlungstag im Stader Landgericht geschieht nicht mehr als die Verlesung der Anklage durch Oberstaatsanwalt Johannes Kiers.

Aber das genügt, um die Dimension dieser atemberaubenden Verbrechensserie deutlich zu machen, die schier unfassbare Dreistigkeit, mit der Martin N. seiner pädophilen sexuellen Neigung frönte, und seine Skrupellosigkeit, wenn er fürchten musste, entdeckt zu werden. Über mehr als zehn Jahre hinweg drang er in Schullandheime, Jugendherbergen, Zeltlager, sogar in Wohnhäuser ein, holte schlafende Jungen aus ihren Betten, manipulierte an ihrem Penis und verschwand wieder. Aber den 13 Jahre alten Stefan J., den achtjährigen Dennis R. und den neunjährigen Dennis K. erwürgte er mit den Händen, aus Angst, sie könnten ihn verraten.

Stefan J. starb in der Nacht zum 31. März 1992, es ist die erste Tat in dieser Chronologie des Schreckens. Martin N. hatte in einem Internat in Scheeßel an einem Seminar für Betreuer von Ferienfreizeiten teilgenommen, veranstaltet von der Bremer Sportjugend. Dort war ihm der Schüler Stefan J. aufgefallen. Nach Beendigung des Seminars fuhr er wieder zu dem Internat, drang in das Zweibettzimmer ein, in dem Stefan schlief, sagte ihm, er solle sich anziehen, und verließ mit ihm das Gebäude. Er fesselte ihm die Hände, begann ihn zu befummeln. Da sei Stefan "laut geworden", heißt es in der Anklage, deshalb habe Martin N. ihn in sein Auto gebracht. Weil der Junge dabei aber das Autokennzeichen gesehen habe, sei N. mit ihm zu einem abgelegenen Feldweg gefahren und habe ihn dort erwürgt.

Missbrauch in Serie

Falls er über seine Tat erschrocken sein sollte, hielt der Schock jedenfalls nicht lange an. Fünf Monate später drang Martin N. in ein Schullandheim bei Kirchtimke ein, missbrauchte den neunjährigen Kolja und unmittelbar darauf den im gleichen Zimmer schlafenden Levent. Zwei Wochen später suchte er das Schullandheim in Hepstedt heim, und weitere vier Wochen später gleich noch einmal. Bis zum Februar 1995 verzeichnet die Anklage dann nur eine weitere Tat in einem Ferienzeltlager in Otterndorf, aber 1995 schlug der Maskenmann wieder öfter zu: Auf einem Schulhof in Bremen reißt er einen Zehnjährigen vom Fahrrad und droht, er werde ihn "kaltmachen", wenn er nicht stillhalte.

Im März, im Mai und im Juni dringt er in Jugendherbergen ein. Im Juli 1995 kommt es schließlich zum zweiten Mord. Er entführt den achtjährigen Dennis R. aus einem Ferienzeltlager und fährt mit ihm in ein Ferienhaus in Dänemark. Er verbringt mehrere Tage mit dem Jungen und erwürgt ihn dann, weil ihm bewusst wird, dass er unweigerlich entdeckt wird, wenn er das Kind zurückbringt.

Überfall im Kinderzimmer

Insgesamt 20 Fälle sexuellen Missbrauchs listet die Anklage auf, immer nach dem gleichen Handlungsmuster: Er dringt ein, ganz egal, ob zwei oder zehn Kinder in dem Zimmer oder in einem Zelt schlafen, weckt ein Kind, macht sich an dessen Penis zu schaffen, verschwindet wieder. Einige Fälle ragen heraus: Während einer Freizeit vom Jugend-Rot-Kreuz - Martin N. ist ja selbst als Sozialpädagoge tätig - bringt er die Wohnanschrift eines der Jungen in Erfahrung und dringt fünf Wochen später dort in das Kinderschlafzimmer ein. Im November 1996 klingelt er an einem Reihenhaus in Bremen, der 13-jährige Sebastian öffnet, Martin N. drängt ihn mit vorgehaltener Pistole ins Haus und befummelt ihn.

Im September 2001 schließlich geschieht der dritte Mord. Im Schullandheim Wulsbüttel übernachten die Kinder einer vierten Grundschulklasse auf Klassenfahrt. Dennis K. schläft mit vier anderen Jungen in einem Zimmer. Martin N. hebt ihn aus seinem Stockbett und nimmt ihn mit in den Aufenthaltsraum. Dennis, der jetzt erst richtig wach wird, sagt, er werde einer Lehrerin Bescheid sagen, er fängt an, lauter zu sprechen. Da legt ihm Martin N. die Hände um den Hals und drückt zu. Es ist seine letzte Tat - jedenfalls die letzte, von der man weiß. Aber es vergingen noch zehn Jahre, ehe der Maskenmann gefasst wurde.

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