Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Bill Cosby:"Das ist weder ein Freispruch noch eine Verurteilung"

Die Geschworenen können sich im Strafprozess gegen Bill Cosby nicht einigen. Die Verteidigung feiert, die Staatsanwaltschaft erklärt noch im Gerichtssaal, ein weiteres Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs anstrengen zu wollen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gibt zwei Personen, die wissen, was an diesem Abend im Januar 2004 im Haus von Bill Cosby in der Nähe von Philadelphia tatsächlich passiert ist. Die eine, Andrea Constand, behauptet, dass sie von Cosby betäubt und sexuell missbraucht worden ist, sie legte ihre Sichtweise in der vergangenen Woche detailliert dar. Ihre Mutter, ein weiteres vermeintliches Opfer und eine Aussage des Angeklagten von vor zwölf Jahren sollten ihre Sichtweise belegen. Die andere Person, Cosby, sie schwieg bei diesem Strafprozess, seine Anwälte befragten lediglich einen Zeugen, sie stellten die Beziehung zwischen Constand und Cosby als Romanze dar, die nicht infrage gestellten intimen Berührungen an diesem Abend als einvernehmlich.

Die zwölf Geschworenen bei dieser Verhandlung wussten nicht, was an diesem Abend passiert ist - sie sollten dennoch eine Entscheidung treffen beim einzigen Strafprozess, der den Entertainer ins Gefängnis bringen kann. Knapp 60 Frauen werfen dem 79 Jahre alten Cosby sexuelle Belästigung vor, die meisten Fälle sind verjährt oder strafrechtlich nicht relevant.

Die Jury beriet mehr als fünf Tage lang, immer wieder stellten die Mitglieder Fragen an Richter Steven O'Neill oder baten um erneute Vorlage von Beweismitteln, am Ende baten sie um eine Definition des Begriffs "reasonable doubt", sie wollten also klären lassen, unter welchen Bedingungen Cosby freigesprochen werden müsste.

Am Samstag dann erklärten die Geschworenen, noch immer festgefahren zu sein. Richter O'Neill blieb nichts anderes übrig, als den Prozess für ergebnislos zu erklären - das amerikanische Recht schreibt eine einstimmige Entscheidung der Geschworenen in Strafprozessen zwingend vor. "Das ist weder ein Freispruch noch eine Verurteilung", sagte O'Neill und bat die Geschworenen, nicht öffentlich über die Beratungen zu sprechen. Zu Cosby sagte er: "Sie bleiben wegen sexueller Nötigung angeklagt, die Kaution bleibt bestehen."

Die Staatsanwaltschaft hat nun vier Monate Zeit, um sich für einen neuen Prozess gegen Cosby oder das Fallenlassen der Vorwürfe zu entscheiden. Staatsanwalt Kevin Steele sagte noch im Gerichtssaal, dass er einen weiteren Prozess anstrengen und Cosby wie schon bei dieser Verhandlung in drei Fällen der sexuellen Nötigung anklagen will. "Wir müssen analysieren, was passiert ist - und dann werden wir das alles noch einmal machen." Bei einer Verurteilung droht Cosby eine Haftstrafe von jeweils bis zu zehn Jahren. Der neue Prozess dürfte deshalb innerhalb der kommenden 120 Tage beginnen.

Die Geschworenen entschieden, und das ist wichtig: Cosby ist weder unschuldig noch schuldig. "So funktioniert unser Rechtssystem", sagte Richter O'Neill. Er sagte zu den Geschworenen, von denen einige beim Verkünden der Nichteinigung weinten: "Das ist eine der mutigsten Entscheidungen, die ich jemals gesehen habe. Ich möchte Ihnen für Ihre Zeit und die intensiven Beratungen danken. Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht getan haben, um reich oder berühmt zu werden." Staatsanwalt Steele sagte: "Wir werden wohl nicht erfahren, was genau dazu geführt hat, dass sich die Geschworenen nicht einigen konnten".

Wer den Prozess in dieser Kleinstadt im Norden von Philadelphia verfolgte, der sah, welch Schauspiel in diesem Gerichtssaal aufgeführt wurde. Es ging in diesem Fall viel zu selten um Wahrheit und viel zu oft darum, eine glaubhafte Inszenierung zu liefern. Es war ein Spektakel für die Geschworenen und nicht zuletzt auch für die Öffentlichkeit, weil die Beobachter natürlich Bilder aus dem Gerichtssaal nach außen transportierten: Cosby etwa, der einerseits zuversichtlich und gut gelaunt rüberkommen wollte, andererseits aber das todtraurige Opfer einer Verschwörung geldgieriger und rachsüchtiger Frauen geben musste. Sein Verteidiger Brian McMonagle, der sich zum vernünftigem Realisten stilisierte und immer wieder den Kopf schüttelte über den Humbug, der da seiner Meinung nach verzapft wurde.

Auf der Galerie des Gerichtssaals dagegen saßen Frauen wie etwa Victoria Valentino. Sie wirft Cosby vor, dass er ihr im Jahr 1969 Drogen verabreicht und sie dann vergewaltigt habe. Sie trug einen Button mit der Aufschrift "We Stand in Truth", bei der Aussage von Constand hatte sie Tränen in den Augen. "Es ist wichtig für mich, dass ich bei diesem Prozess dabei bin", sagte sie zur SZ: "Als ich das letzte Mal mit ihm in einem Zimmer war, hat er mich vergewaltigt. Es ist für mich eine Genugtuung zu sehen, wie er sich am Kinn reibt und wie ihn diese Aussagen quälen."

Es gab nur zwei Meinungen über diesen Fall - und die waren so unvereinbar, wie Gott und der Teufel unvereinbar sind. Am Donnerstagnachmittag etwa, da standen Valentino und Jewel Allison (ein weiteres mutmaßliches Opfer) vor dem Gerichtsgebäude, sie sprachen mit Leuten, die für einen Freispruch plädierten. "Ich habe erleben müssen, wie er mir Drogen gegeben hat, wie er mich vergewaltigt hat, wie er mich mit Drohungen zum Schweigen gebracht hat", sagte Allison zu einer Frau, die protestierte: "Ich habe um mein Leben gefürchtet. Ein Schild, auf dem steht, dass Cosby freigesprochen wird, tut mir in der Seele weh." Als sich Allison umdrehte, hielt die Frau das Schild wieder hoch.

Es ging eben nicht nur um Schuld und Unschuld - obwohl sich Richter O'Neill stets mühte, die Verhandlung auf den Fall Constand zu konzentrieren und keine Nebengeräusche in den Saal dringen zu lassen. Draußen ging es um Rassismus (der Angeklagte ist eine afroamerikanische Ikone, einige mutmaßliche Opfer sind Afroamerikanerinnen) und Sexismus, um - je nach Sichtweise - die bevorzugte Behandlung von Berühmtheiten oder deren Benachteiligung. Es ging darum, ob Bill Cosby, spätestens seit seiner Rolle als Cliff Huxtable in "The Cosby Show" eine moralische Instanz in den USA und der Vater der Nation, weiterhin als unbescholtener Entertainer gelten darf oder ob er als Verbrecher gesehen werden muss.

Cosby wirkte nicht glücklich, sondern müde

Das Urteil ist auch ein wichtiges Signal für die Zivilprozesse, die auf Cosby warten. Die Anwältin Gloria Allred spazierte an allen Verhandlungstagen als Mensch gewordenes Damoklesschwert durchs Gerichtsgebäude und redete in jedes Mikrofon, das ihr vor den Mund gehalten wurde. Ein Mal wurde sie aus dem Gerichtssaal geworfen, weil sie ihr Handy partout nicht ausmachen wollte. "Es geht mir um Gerechtigkeit", sagte sie andauernd. Kritiker von Allred behaupten freilich, dass es ihr auch um lukrative Zahltage geht - sie vertritt einige vermeintliche Opfer von Cosby in den Zivilverhandlungen.

Cosby vernahm das Urteil regungslos. Er ist, auch das war in Norristown deutlich zu erkennen, nicht mehr der Entertainer mit den lustigen Grimassen und den ulkigen Bewegungen. Er hört nicht mehr gut und sieht noch schlechter. Als Richter O'Neill ihn nach Hause schickte, wirkte Cosby nicht glücklich. Er wirkte müde. Er sagte nichts, sondern schickte seinen Sprecher Andrew Wyatt. Der dankte den Geschworenen, bezeichnete das Nicht-Urteil als "Wiederherstellen von Cosbys Reputation und Kraft". Dann verlas er ein Statement von Cosbys Frau Camille. Sie beschimpfte darin die Staatsanwälte als "abscheulich und überehrgeizig" und den Richter einen "arroganten Kollaborateur der Staatsanwaltschaft".

Er dürfte einen neuen Prozess geben. Es ist, wie Richter O'Neill sagte, weder Freispruch noch Verurteilung. Noch immer wissen nur zwei Menschen, was wirklich passiert ist an diesem Abend im Januar 2004

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