Prozess gegen Berliner U-Bahn-Schläger:Zeugen ließen Helfer allein

Zufällig wird ein Tourist aus Bayern Zeuge einer Prügelattacke im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße. Der 22-Jährige greift couragiert ein, rettet das Opfer vor seinem Angreifer. Doch ihm hilft niemand - obwohl noch andere Passanten auf dem Bahnsteig waren.

Ein dumpfer Knall. Ein Mann liegt regungslos auf dem Bahnsteig der U-Bahnlinie sechs im Berliner Bahnhof Friedrichstraße. Georg Baur rennt auf das Opfer zu und reißt den Täter weg. "Ich habe an nichts gedacht, es war so eine Reaktion", erinnert sich der Maler im Prozess gegen die zwei U-Bahnschläger jetzt vor dem Berliner Landgericht.

Möglicherweise hat der couragierte Bayer dem damals 29-jährigen Handwerker das Leben gerettet. Jetzt beklagt Baur, dass ihm niemand zu Hilfe eilte. Gegen einen Mitarbeiter eines Reinigungsteams läuft deswegen ein Ermittlungsverfahren.

Der 22-jährige Baur aus dem bayerischen Ederheim war in der Nacht zum Karsamstag mit einem Freund im Berliner Nachtleben unterwegs. Als er die U-Bahn-Station betrat, saß das spätere Opfer auf einer Bank. "Er war einfach da und wollte seine Ruhe", sagte Baur. Der 18-jährige Angeklagte und sein Freund hätten den Mann zunächst angepöbelt. Dann hätten sie geschrien. Es sei zu einer Rangelei gekommen. Die Szene hatte sich aus Sicht des Zeugen hinter eine Säule verlagert.

Nach dem Knall rannte Baur los, er nahm den Täter in den Schwitzkasten. Es waren mindestens fünf bis sechs Leute da, sagte der Zeuge. "Ich schrie ihnen zu, sie sollten mit helfen." Doch niemand reagierte. Als er den Reinigungsmann später fragte, ob er kein Gewissen habe, habe der gesagt, er dürfe nichts machen.

Der Angreifer, ein Gymnasiast, und sein Komplize konnten unterdessen fliehen. Die 18-jährigen Schüler hatten den Zeugen geschlagen und getreten. "Ich fiel und musste automatisch loslassen", beklagte der kräftig gebaute, 1,90 Meter große Mann im Prozess.

Geständiger Täter

Der Angreifer hatte zum Prozessauftakt an diesem Mittwoch gestanden. Überwachungskameras hatten aufgezeichnet, wie der Schüler vier Mal auf den Kopf des am Boden liegenden Opfers eintritt. Zuvor hatte er ihn mit einer Flasche zu Boden geschlagen. Die Tat hatte der Schüler vor Gericht nun als "Schweinerei" bezeichnet, für die er keine Erklärung habe.

Dem Berliner wird versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Der Fall hatte bundesweit entsetzt. Das Opfer erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und ist in Therapie. Der Berliner hat keine Erinnerung an die Tat. Baur litt eine Woche an Rückenschmerzen und trug eine Schürfwunde im Gesicht davon. Am nächsten Tag brach er seinen Berlin-Besuch vorzeitig ab. "Es war wie eine Flucht, ich wollte einfach heim", sagte er. Der damalige Polizeipräsident Dieter Glietsch ehrte ihn für seinen Mut.

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