Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Anders Behring Breivik:Trolle aus dem rechten Sumpf

Ob der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik so krank ist, dass seine Schuldfähigkeit eingeschränkt ist, damit wird sich in den kommenden Tagen das Gericht in Oslo befassen. Doch sicher ist schon jetzt: Seine wahnhaften Ideen haben Ursprung in realem politischen Extremismus. Das beweist eine krude Rassistenparade im Zeugenstand.

Gunnar Herrmann, Oslo

Trolle sind nordische Fabelwesen mit bemerkenswerten Eigenschaften. Sie sind grausam, hässlich, furchteinflößend - und leicht zu besiegen: Man muss sie nur ans Licht locken. Dann platzen sie. Im Zusammenhang mit dem Terrorverfahren gegen Anders Behring Breivik wird in Norwegen viel über Trolle gesprochen. Mit dem Bild von den lichtscheuen Monstern lässt sich verdeutlichen, warum der Prozess die größtmögliche Offenheit braucht und auch der ideologische Müll geschildert werden sollte, der fast täglich im Gerichtssaal 250 zu hören ist.

Es ist ein Argument gegen jene, die meinen, man dürfe dem Täter auf keinen Fall eine Bühne für sein Gedankengut bieten. Ein Argument, das sich durchgesetzt hat: In der vergangenen Woche befragte die Verteidigung mehrere Zeugen aus der rechten Szene, zum Teil vor laufenden Fernsehkameras. Die Anwälte wollten damit zeigen, dass Breivik kein irrer Einzeltäter, sondern das Produkt einer politischen Strömung ist. Die Zeugen wollten wohl vor allem ihre Ideen verbreiten.

77 Menschen hat Breivik am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya ermordet - das schlimmste Verbrechen in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg. In einem 1500 Seiten starken Pamphlet versuchte Breivik den Terror mit einer wirren Mischung aus Verschwörungstheorien, Islamhass und Kreuzritterphantasien zu rechtfertigen. Zwei von vier Rechtspsychiatern, die das Gericht als Gutachter bestellt hat, halten ihn für unzurechnungsfähig. Breivik selbst hält sich für einen Aktivisten und möchte unbedingt ins Gefängnis statt in die geschlossene Anstalt. Im Prozess kämpfen seine Anwälte nur noch darum, ihm diesen Wunsch zu erfüllen.

Der schwedische Historiker Mattias Gardell zerpflückte Anfang der Woche in einem 90 Minuten langen Vortrag das Pamphlet des Angeklagten in seine Bestandteile. Dem Forscher zufolge hat Breivik sich beim klassischen Rassismus und den Nazis ebenso bedient wie bei rechten Vordenkern in den USA. Die Vorstellung etwa, dass der Westen von Muslimen überrannt werde und verteidigt werden müsse, sei in der rechten Szene generell verbreitet.

"Das sind sicher Wahnvorstellungen. Aber sie haben eine lange Geschichte." Als Beleg für Geisteskrankheit ließen sie sich nicht werten, meinte er. Aus Amerika stammt Gardell zufolge unter anderem die Idee vom "führerlosen Widerstand", die besagt, dass Terror am besten von Einzeltätern verübt wird, die jede Verbindung zur Szene abbrechen auch Breivik konnten Ermittler bislang keiner Organisation klar zuordnen.

Krude Rassistenparade

Um zu beweisen, dass sein Gedankengut dennoch auch im modernen Norwegen präsent ist, hatte die Verteidigung die Zeugen aus dem rechten Milieu vorgeladen. Arne Tumyr zum Beispiel, ein wütender alter Mann und Chef der Organisation "Stoppt die Islamisierung Norwegens", durfte die Zuhörer im Saal 250 deshalb etwa zwanzig Minuten lang fast schreiend mit Hasstiraden bombardieren. Anschließend beschwerte er sich, dass seine Aussage nicht im Fernsehen gesendet wurde. Das Gericht hatte eine TV-Übertragung nur bei solchen Zeugen zugelassen, die mit viel gutem Willen noch als "Sachverständige" klassifiziert werden konnten. Einige Zeugen wie der rechtsradikale Blogger Fjordman sahen darin "Zensur" und hatten deshalb die Aussage verweigert. Allerdings protokollieren Journalisten ja per Internet-Livestream ohnehin alles mit, was im Saal gesagt wird.

Den Schluss der Extremistenparade, die das Gericht einen ganzen Tag lang beschäftigte, bildete dann ein Neonazi alter Schule: Tore Tvedt, ein Herr mit grauem Schnauzbart und Gründer der Organisation Vigrid, die offen rassistisch ist und den Odin-Kult pflegt. Gewalt lehne er ab, sagte Tvedt freundlich lächelnd, "außer zur Selbstverteidigung". Wogegen man sich verteidigen müsse? "Norwegen ist im Bürgerkrieg. Dies ist ein Terrorstaat."

Nahezu gleichlautende Formulierungen finden sich in Breiviks Pamphlet - von dem Tvedt sich ebenso wie seine Vorredner distanzieren wollte. Spätestens nach seiner Aussage war wohl jedem klar, warum Breiviks Geisteszustand selbst für Experten so schwer zu bewerten ist: An diesem äußersten Rand des Meinungsspektrum lassen sich Wahnsinn und Politik eben kaum noch trennen.

Wie krank ist der Attentäter?

In den kommenden Tagen werden nun die Psychiater in den Zeugenstand treten, die in Breivik eher einen Patienten sehen als einen Terroristen. Dass er geistig gesund ist, behauptet keiner von ihnen - die Frage ist nur, ob seine Krankheit ihn unzurechnungsfähig macht. Bereits am Freitag erläuterte ein Psychiatrie-Professor durchaus überzeugend, dass Breivik Symptome aufweist, die auf einen Autismus hindeuten. Wenn er also krank ist, war es dann wirklich notwendig, den Rechtsextremisten so viel Raum in diesem Prozess zuzugestehen?

Eines zumindest hat ihr Auftritt gebracht: Künftig wird kaum jemand daran zweifeln können, aus welchen Trollsümpfen die Inspiration zum Massenmord stammte. Gardell fasste es so zusammen: "Im Grunde enthält Breiviks Kompendium eine faschistische Vision, erfüllt von männlichen Kriegeridealen. Das ist keine neue Vision, das kennt man aus dem frühen 20. Jahrhundert. Breivik ist kein Mysterium."

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SZ vom 09.06.2012/leja
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