Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge aus Afghanistan:War es ein "Ehrenmord"?

Zwei junge Männer aus Afghanistan sollen ihre Schwester getötet haben, weil sie fortschrittlich leben wollte. Aber beim Prozess in Berlin zeigt sich, dass noch einige Fragen offen sind.

Von Verena Mayer, Berlin

Im Gerichtssaal kommt eine Familie zusammen. Links sitzen zwei Brüder, rechts ihr Schwager. Die drei sind in unterschiedlichen Rollen hier, die Brüder sind angeklagt, der Schwager tritt als Nebenkläger auf. Aber sie sind alle hier, weil eine Person aus ihrer Familie tot ist. Maryam H., die Schwester der Angeklagten und die Ex-Ehefrau des Nebenklägers. Ihre Brüder sollen sie im Juli vergangenen Jahres getötet und ihre Leiche in einem Koffer durch halb Deutschland gefahren haben, um sie in einem Wald zu verscharren. Am Mittwoch begann vor dem Berliner Landgericht der Mordprozess.

Als die Tat im Sommer bekannt wurde, war sie schnell bundesweit Thema. Denn die Familie war 2015 aus Afghanistan geflüchtet. Und sie hat eine archaische Vorstellung davon, wie sich eine Frau zu verhalten hat, dass sie sich erst ihren Brüdern und später ihrem Ehemann unterordnen muss. Doch das wollte Maryam H. immer weniger hinnehmen. In Deutschland trennte sie sich von ihrem Mann und ging eine neue Beziehung ein, "entgegen den Moralvorstellungen" ihrer Brüder, wie es die Staatsanwältin ausdrückt. Die beiden sollen ihre Schwester unter einem Vorwand aus dem Haus gelockt, sie gewürgt und ihr die Kehle durchgeschnitten haben. Maryam H. wurde 34 Jahre alt.

Der Mord an Maryam H. war auch ein Politikum im Berliner Wahlkampf. Die damalige Sozialsenatorin der Linken sprach von einem "Femizid", also dass Maryam H. nur deswegen sterben musste, weil sie eine Frau war. Franziska Giffey (SPD), die für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin kandidierte, sagte, es müsse klar benannt werden, dass dies ein "grausamer Ehrenmord" sei. Eine Diskussion um Integration von Flüchtlingen setzte ein, Vergleiche zum Fall Hatun Sürücü wurden gezogen. Im Jahr 2005 war die Deutschkurdin in Berlin von einem ihrer Brüder erschossen worden, weil sie westlich leben und einen deutschen Mann lieben wollte.

Das Verbrechen war Wahlkampfthema

Vor Gericht wird am ersten Verhandlungstag vor allem eines klar: wie wenig man über die Familie H. weiß und wie viele Fragen noch offen sind. Die beiden Angeklagten, 23 und 27 Jahre alt, tun wenig, um den Fall aufzuklären, regungslos sitzen sie hinter ihren Verteidigern. Als der Vorsitzende Richter sie fragt, ob sie sich äußern wollen, schütteln sie den Kopf. Nur ihre Personalien geben sie an. Yousuf H., der Ältere, hat eine Ausbildung absolviert und als Sicherheitsmitarbeiter gearbeitet, sein jüngerer Bruder Mahdi H. sagt, dass er von staatlicher Hilfe lebe. "Ich habe keinen Beruf, keine Frau und keine Kinder." Die beiden leugnen, etwas mit der Tat zu tun zu haben. Einer ihrer Verteidiger sagt, die Politik habe das Verbrechen "auf dem Rücken von Flüchtlingen" instrumentalisiert, die Angeklagten hätten "zu keiner Zeit die Gunst der Unschuldsvermutung für sich in Anspruch nehmen" können.

Fest steht, dass Maryam H. als 16-Jährige mit ihrem wesentlich älteren Ehemann in Afghanistan zwangsverheiratet wurde, das Paar bekam zwei Kinder. 2015 erreichte die Familie nach einer schwierigen Flucht Deutschland, ein Teil der Familie wurde in Berlin untergebracht, ein Bruder in Donauwörth. Maryam H. hatte es schwer. Ihr Ehemann soll gewalttätig gewesen sein und sie gestalkt haben, nachdem sie sich von ihm scheiden ließ. Familienangehörige sollen ihr gedroht, ihr Vater sie verstoßen haben. Ihre Brüder kamen in ihrem neuen Leben nicht zurecht, beide wurden straffällig, bei beiden wurden psychische Erkrankungen diagnostiziert.

Das Gericht muss nun herausfinden, wer Maryam H. tötete. Indizien gegen die beiden Brüder gibt es viele: Bilder einer Überwachungskamera etwa, die zeigen, wie die Männer einen Koffer in die Bahn wuchten und nach Donauwörth fahren, wo Yousuf H. lebte; die Aussage einer Zeugin, die Yousuf H. zu einem Baumarkt brachte, wo er eine Schaufel kaufte, und dann zu jenem Waldstück, in dem Maryam H. verscharrt wurde; DNA-Spuren des jüngeren Bruders an einem Einweghandschuh, der bei der Leiche seiner Schwester gefunden wurde.

Und das Gericht muss auch herausfinden, welche Rolle die Familie bei dem Verbrechen spielte. Ob noch andere Familienmitglieder von der Tat wussten. Der frühere Ehemann von Maryam H. sitzt ebenfalls mit gesenktem Kopf im Gerichtssaal. Er hat eine seltsame Doppelrolle in diesem Verfahren. Er ist der Mann, mit dem Maryam H. nicht leben wollte, aber auch der gesetzliche Vertreter der gemeinsamen Kinder, die hier als Nebenkläger auftreten. Sie sind zehn und 14 Jahre alt und leben inzwischen in einem Heim. Auf die Frage, wie es ihnen gehe, sagt der Anwalt der Nebenklage: den Umständen entsprechend, er zählt die Umstände auf. Krieg im Herkunftsland, Traumatisierung durch die Flucht, ein Leben in Unterkünften. Und dann verloren sie auch noch ihre Mutter.

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