Prozess: Doppelmord von Bodenfelde:Jan O. sieht sich selbst als Opfer

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Kindheit als "Katastrophe": Der mutmaßliche Doppelmörder von Bodenfelde schildert vor Gericht zwei Stunden lang sein schwieriges Leben.

Jens Schneider, Göttingen

Als zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht in Göttingen das Geständnis von Jan O. verlesen wurde, fragten sich viele, ob die Öffentlichkeit das alles hören musste. Die Angehörigen der getöteten Kinder, die Mitschüler, die Nachbarn. Beklemmend ausführlich und erschreckend plastisch hatte der 26 Jahre alte Mann in der Haft auf 17 Seiten aufgeschrieben, wie er im November des letzten Jahres im Dorf Bodenfelde in Niedersachsen erst die 14 Jahre alte Nina und fünf Tage darauf den 13-Jährigen Tobias ermordet hatte.

Jan O. (hier kurz nach seiner Festnahme im November) steht in Göttingen vor Gericht, weil er vergangenen Herbst zwei Teenager auf besonders grausame Weise getötet haben soll.  (Foto: dapd)

Er bedauerte in seinem Geständnis die Taten und schilderte in eigenen Worten genau, wie er sich an dem toten Mädchen verging, auch welche Lust er dabei empfand. Einige Zuhörer verließen den Saal, weil sie die grausamen Details nicht weiter hören wollten. Jan O. saß damals schweigend dabei, an diesem Dienstag nun hat er zum ersten Mal vor dem Gericht gesprochen. Diesmal schloss der Richter die Öffentlichkeit aus, auf Wunsch des Angeklagten.

Jan O. hatte andernfalls nicht über seinen Lebenslauf aussagen wollen. Der Vorsitzende Richter Ralf Günther erklärte, dass ein Ausschluss der Öffentlichkeit gerade in diesem Prozess zulässig ist, in dem die Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie als möglich erachtet wird. Jan O. habe nicht gewollt, dass die Öffentlichkeit intime Details aus seinem Leben erfährt, sagte dessen Verteidiger Markus Fischer anschließend. Der Angeklagte empfinde Scham, vieles aus seiner Kindheit sei Jan O. peinlich.

Nach der Vernehmung berichteten Beteiligte, dass er selbst seine Kindheit als eine "Katastrophe" schilderte. "Er sieht sich selbst als Opfer", sagte Nebenkläger-Anwalt Carsten Ernst. Er habe nichts Neues erfahren, es ergebe sich zunehmend das Bild eines Menschen, der "schwer gestört" ist.

Gut zwei Stunden sprach Jan O., der ein dunkelblaues Sweatshirt trug, er machte Angaben zu seiner Person, erzählte über seine Kindheit und beantwortete dann auch Fragen zu seinem Lebenslauf, freimütig, wie Verfahrensbeteiligte sagten. Zu seinen Taten wurde der Angeklagte zunächst nicht befragt. Offenbar bestätigten die Schilderungen des mutmaßlichen Mörders die Aussagen anderer Zeugen, die ihn in den letzten Wochen als alkohol- und drogenabhängig und häufig extrem aggressiv beschrieben hatten. Zudem war bekannt geworden, dass er vor der Tat mehrmals gegen Bewährungsauflagen verstieß, ohne dass dies Folgen hatte. Nach eigenen Angaben drängte die Bewährungshelferin damals vergeblich auf härtere Konsequenzen.

Am vergangenen Freitag hatte die Mutter des Gelegenheitsarbeiters und Kleinkriminellen vor dem Landgericht über die Kindheit ihres Sohnes ausgesagt. Jan O. wurde den Worten der Mutter zufolge offenbar früh Opfer von Gewalt und Vernachlässigung. Er sei von seinem Vater von Beginn an nicht gewollt gewesen, erklärte sie dem Gericht. Auch habe der Vater Jan O. schon im Vorschulalter oft gedemütigt. Sie beschrieb ihren Sohn - der einige Zeit in Heimen und auch bei den Großeltern gelebt habe - als aggressives Kind, das in der zerrütteten Familie keinerlei Wertschätzung erfahren habe. Zu diesem Gefühl, in der Familie nicht gewollt und geschätzt gewesen zu sein, soll Jan O. sich deutlich bekannt haben.

Der Prozess wird am 1. Juni fortgesetzt. Dann soll ein erster Sachverständiger, der bereits drei Gespräche mit dem Angeklagten führte, ein psychiatrisches Gutachten vorlegen. Das Urteil wird für Ende Juni erwartet.

© SZ vom 18.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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