Prozess:Breivik bezeichnet sich selbst als Opfer der Justiz

  • Der Rechtsterrorist und Massenmörder hat sich bei seinem Zivilprozess gegen den norwegischen Staat als Opfer der Justiz dargestellt.
  • Breivik vertritt die Haltung, seine Haftbedingungen seien ein Verstoß gegen die Europäischen Menschenrechtskonventionen.

Von Silke Bigalke, Oslo

Anders Behring Breivik

Anders Behring Breivik am zweiten Verhandlungstag in der Turnhalle des Gefängnisses von Skien.

(Foto: AP)

Die Haare sind weg, er ist ein wenig schmaler geworden, seine Einstellung aber ist unverändert. Das hat Anders Breivik, Massenmörder und Rechtsextremist, direkt zu Verfahrensbeginn deutlich gemacht. Kaum war er die Handschellen los, hat er den rechten Arm gehoben. Etwas unentschlossen sah das aus, schlaff irgendwie. Seine Wirkung hat es nicht verfehlt: ein Nazigruß in den internationalen Medien. Das Schlimmste, was man vor einem norwegischen Gericht tun könne, sagte sein Anwalt in der Mittagspause in die Kameras.

Zwischen Kletterwand und Basketballkorb darf Breivik aussagen

Dabei tagt das Gericht, weil der Mörder es will. Breivik verklagt den norwegischen Staat, stützt sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention, auf Artikel 3 gegen "unmenschliche oder erniedrigende Strafe", auf Artikel 8 für das Recht auf Privatleben und Korrespondenz. Am schwersten wiegt der Vorwurf, der Mann, der 77 Menschen getötet hat, leide unter seiner Isolation. Breivik sitzt seit mehr als 4,5 Jahren im Hochsicherheitstrakt, hat keinen Kontakt zu Mithäftlingen. Auch für den Prozess kommt er nicht raus, verhandelt wird in der Sporthalle des Gefängnisses in Skien, 130 Kilometer südlich von Oslo.

Dort, zwischen Kletterwand und Basketballkorb, darf Breivik am zweiten Verhandlungstag aussagen. Er hat sich lange darauf vorbereitet, viele Seiten vollgeschrieben, die er vorlesen möchte. Breivik stellt sich vor als Parteisekretär der Partei "Nordischer Staat". Es geht dann um die Haftbedingungen, darum, wie oft er Handschellen tragen muss, wie oft er durchsucht wird - mehr als 800 Mal, Breivik hat Buch darüber geführt. Er steht auf und demonstriert die Leibesvisitation: Füße anheben, Beine breit, in die Hocke gehen.

Er vergleicht die Fertiggerichte im Knast mit Waterboarding

Er klagt über "Isolationskopfschmerzen", Konzentrationsprobleme, Schlafstörungen und vieles mehr. Er vergleicht die Fertiggerichte im Knast mit Waterboarding. Lachen im Publikum. Dann geht es um einen knastinternen Wettbewerb, bei dem Pfefferkuchenhäuschen gebastelt wurden, darum, ob er mit dem Gefängnispersonal Schach spielen wollte oder nicht. Um die Frage, ob er selbständig kochen oder nur Tiefkühlpizza aufwärmen darf. Es wäre humaner, sagt Breivik einmal, ihn zu erschießen, anstatt ihn wie ein Tier zu behandeln.

Kann man das ernst nehmen, wenn einer von Misshandlung spricht, der in drei Zellen lebt, täglich raus darf, einen Fernseher, DVDs, Playstation, Hometrainer zur Verfügung hat? Sollte man zuhören, wenn sich Norwegens grausamster Verbrecher über Tiefkühlkost beschwert?

"Wir in Norwegen glauben, dass wir einen Menschen wieder aufbauen können"

Erik Kursetgjerde war auf Utøya, als Breivik dort am 22. Juli 2011 mordete. Der Überlebende verfolgt den Prozess auf der Videoleinwand im Osloer Gericht. Er könne verstehen, dass das Ganze von außen merkwürdig aussehe. "Aber wir in Norwegen glauben, dass wir einen Menschen wieder aufbauen können - was bei einem Gefangenen wie Breivik natürlich schwer ist", sagt er. Doch es gehe hier eben auch um Werte wie Demokratie. Am Tag zuvor haben die Anwälte gesprochen und deutlich gemacht, dass man weder Klage noch Kläger unterschätzen sollte. Zuerst war Breiviks Anwalt Øystein Storrvik an der Reihe: Ein Land ohne Todesstrafe, so sein Argument, müsse dafür sorgen, dass die Alternative nicht noch schlimmer sei.

Breivik werde vermutlich den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen, und für dieses Leben sei dieser Prozess wichtig. Tatsächlich darf ein Mensch laut Menschenrechtskonvention nicht unbegrenzt isoliert sein, hat auch Kjetil Mujezinovic Larsen, Professor am Zentrum für Menschenrechte der Uni Oslo, vor dem Prozess erklärt. Er hält die Klage daher für plausibel, geht aber selbst noch nicht von einem Verstoß aus.

Breivik will Bücher veröffentlichen, einen Blog schreiben, eine Partei gründen

Breivik möchte Bücher veröffentlichen dürfen, einen Blog schreiben, eine Partei gründen. Er werde bis zu seinem Tod für den Nationalsozialismus kämpfen, so liest er es von seinen vielen Seiten vor. Er möchte Kontakt zu Gleichgesinnten und ein rechtsextremes Netzwerk aufbauen. Genau deswegen isoliert ihn der Staat. Deswegen haben die Behörden 4000 Briefe kontrolliert, die er geschrieben und erhalten hat, 600 davon haben sie abgefangen - auch dagegen klagt Breivik. Dessen Einstellung beschreibt Adele Matheson Mestad, die den Staat vertritt, als "giftige Mischung aus Dehumanisierung, Islamhass und Fremdenfeindlichkeit". Die Richterin fragt ihn am Ende, ob er es denn selbst für realistisch halte, in eine normale Gefängnisabteilung verlegt zu werden. Er hat darauf keine klare Antwort.

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