Süddeutsche Zeitung

Proteste nach Zimmerman-Freispruch:"Das ganze System ist schuldig!"

Sie fordern "Gerechtigkeit für Trayvon Martin": Tausende Menschen in den USA gehen auch am zweiten Tag nach dem Freispruch für George Zimmerman auf die Straßen, um gegen das Urteil im Prozess um den getöteten Jugendlichen Trayvon Martin zu protestieren. Ein TV-Interview mit einer Geschworenen sorgt für neuen Zündstoff.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Gleich zu Beginn sagte Organisator Najee Ali zwei wichtige Sätze zu den Menschen im Leimert Plaza Park, in der Leimert-Park-Neighborhood im südlichen Los Angeles. Der erste war: "Lasst uns das Vermächtnis von Trayvon Martin ehren, indem wir friedlich demonstrieren und nicht gegen das Gesetz verstoßen." Die etwa 1000 Menschen nickten, grummelten zustimmend. Und der zweite war: "Nur weil jemand freigesprochen wurde, heißt es noch nicht, dass er unschuldig ist."

Genau deshalb kamen die Demonstranten am Montagabend hierher und in den angrenzenden Stadtteil Crenshaw, genau deshalb gingen Menschen auch in anderen Städten, in New York, Boston und San Francisco, auf die Straße: um gegen die Entscheidung der Geschworenen protestieren, die am Samstagabend George Zimmermann für unschuldig erklärt hatten. Zimmerman hatte den afroamerikanischen Teenager Trayvon Martin erschossen - darf nun jedoch als freier Mann nach Hause gehen und sogar weiterhin eine Waffe bei sich führen. Er brauche sie "jetzt mehr denn je", sagten seine Anwälte.

Das macht die Menschen wütend, sie fühlen sich verschaukelt vom amerikanischen Rechtssystem. Auf ihre Plakate haben sie geschrieben: "Das ganze System ist schuldig!" Oder: "Wir wollen Gerechtigkeit für Trayvon Martin!" Oder: "Das soll das Land der Gerechten sein?" Viele vermuten immer noch, dass Zimmerman weder in Notwehr gehandelt noch sein Opfer irrtümlich für einen Verbrecher gehalten hat. Sie glauben, dass es sich um die Tat eines Rassisten handelt.

Demonstration in New York legt Verkehr lahm

"Trayvon wurde verfolgt und schließlich hingerichtet", sagte eine Demonstrantin in New York. Dort versammelten sich Tausende am Montag auf dem Union Square, etwa 2000 Menschen marschierten später friedlich bis zum Times Square. Sie umgingen dabei zahlreiche Polizeisperren und legten den Verkehr in Manhattan so teilweise lahm. In Boston gab es eine Demonstration vom Stadtteil Roxbury aus, die nach den ersten Angaben der Polizei zufolge sehr geordnet ablief.

In San Francisco wurde ein Marsch von etwa 500 Personen von einer Musikgruppe begleitet, die Menschen riefen immer wieder: "Justice for Trayvon Martin". Gerechtigkeit für Trayvon Martin. Am Abend blockierten die Protestierenden eine der Hauptstraßen von San Francisco, ähnliche Szenen spielten sich in Oakland ab. Dort legten die Demonstranten ihre Fahrräder auf die Straße und setzten sich vor Autos, die über die Kreuzung fahren wollten.

Auch in Los Angeles liefen die Proteste zunächst friedlich ab, so wie es der Organisator Najee Ali angemacht hatte. Es gab zahlreiche Reden, in denen daran erinnert wurde, dass Rassismus im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr spielen dürfe. "Es geht in diesem Prozess nicht um weiße Hautfarbe oder um schwarze Hautfarbe", sagte Ali, "es geht darum, ob die Geschworenen eine richtige oder eine falsche Entscheidung getroffen haben." Und es gehe darum, ob Zimmerman mit einer geladenen Pistole aus dem Auto gestiegen wäre, wenn Trayvon Martin ein weißer Teenager gewesen wäre.

Polizei verhängt Ausgangssperre

Für zusätzlichen Zündstoff sorgte die Aussage einer Geschworenen, die am Montag einem Reporter von CNN sagte, dass Zimmerman zwar um sein Leben fürchten musste, als er den Abzug seiner Waffe gedrückt habe - dass er aber nicht aus seinem Auto hätte steigen dürfen. Von den sechs Geschworenen seien zu Beginn der Beratungen drei für einen Freispruch gewesen, einer für eine Verurteilung wegen Mordes und zwei für einen Schuldspruch wegen Totschlags. Die Tötung sei nicht rassistisch motiviert gewesen, sagte die Geschworene, die anonym bleiben wollte.

"Wie kann so eine Tat nicht rassistisch motiviert sein", fragte Najee Ali die Besucher im Leimert Plaza Park immer wieder, "was würden die Menschen denken, wenn ein Junge mit schwarzer Hautfarbe einem weißen Teenager hinterhergelaufen wäre und ihn erschossen hätte?" Ein Besucher brüllte die Antwort, viele jubelten ihm zu: "Er säße jetzt im Gefängnis!"

Nach zwei Stunden verließen etwa 120 Teilnehmer die Veranstaltung im Leimert Plaza Park und liefen den Crenshaw Boulevard hinauf. Dabei kam es zu Prügeleien, die Demonstranten demolierten Autos, Mülleimer und Supermärkte. Bürgermeister Eric Garcetti twitterte sogleich: "Ich schließe mich den Gebeten der Protestierenden im Leimert Park an und bitte die Menschen auf den Straßen in Crenshaw, dem Beispiel dieser Leute zu folgen."

Als die Situation zu eskalieren drohte, verhängte die Polizei von Los Angeles eine Ausgangssperre und kündigte an, Vandalen in Gewahrsam zu nehmen. Etwa 30 Minuten später hatten die Beamten die Situation unter Kontrolle. Im Laufe des Dienstags werden vielerorts in den USA weitere Proteste erwartet.

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