Süddeutsche Zeitung

Proteste in Ferguson:Amerikas Polizei, dein Freund und Scharfschütze

Seit der schwarze Jugendliche Michael Brown von der Polizei erschossen wurde, befindet sich Ferguson im Ausnahmezustand. Hunderte protestieren in Missouri, die Gegenseite rüstet auf - und die USA diskutieren über die Militarisierung der Polizei.

Von Antonie Rietzschel

Die Bilder sehen aus wie aus einem Kriegsgebiet: Eine Wand aus Männern im Flecktarn, mit Helmen auf dem Kopf und Gewehren in den Händen. Ein Scharfschütze sitzt auf einem gepanzerten Fahrzeug, die Waffe im Anschlag, das Auge am Zielfernrohr - als sei er jederzeit bereit für den tödlichen Schuss.

Die Aufnahmen stammen nicht aus Afghanistan oder Irak (wie verblüffend die Ähnlichkeit ist, zeigt das Magazin Mashable). Sie wurden in Ferguson gemacht - einer amerikanischen Kleinstadt. Zu sehen sind aber nicht US-Soldaten, sondern Mitglieder der örtlichen Polizei.

Bis an die Zähne bewaffnet

Vor fünf Tagen wurde in Ferguson der 18-jährige Schwarze Michael Brown von einem Beamten erschossen - angeblich aus Notwehr. Brown war unbewaffnet. Erinnerungen an den Fall Trayvon Martin werden wach, jeden Tag gibt es Demonstrationen in Ferguson. Die Menschen haben das Vertrauen in die Polizei verloren. Die fühlt sich ihrerseits bedroht - und rüstet auf. Schwerbewaffnet patrouillieren Polizisten durch die Stadt.

Was auf den ersten Blick verstörend wirken mag, ist Teil eines Trends, der sich in den USA seit Jahren abzeichnet. Seit dem 11. September und dem damit verbundenen Kampf gegen den Terror wurde die Polizei in Ausrüstung und Ausbildung verstärkt militarisiert. Der amerikanische Journalist Radley Balko hat das Buch "Rise of the Warrior Cop" geschrieben. In einem Artikel für das Wall Street Journal rechnet er vor, dass das neu geschaffene Heimatschutzministerium zwischen 2002 und 2011 Ausrüstung im Wert von 35 Milliarden Dollar an Bundespolizei und lokale Polizeistationen verteilt hat.

Dazu kommt die Unterstützung des Pentagons. Die Polizei in Ferguson ist Teil des Programms 1033 über das ebenfalls militärische Ausrüstung angefordert werden kann. Dabei geht es nicht nur um Schutzausrüstung oder kleinere Schusswaffen. Das zeigt ein Blick auf die entsprechende Liste. Im Angebot sind auch schwer gepanzerte Fahrzeuge, die in Afghanistan oder Irak eingesetzt wurden - oder auch Sturmgewehre. Allein 2013 ging durch dieses Programm Ausrüstung im Wert von 500 Millionen Dollar an die Polizei.

Das Spezielle ist mittlerweile zur Routine geworden

Das treibt skurrile Blüten: Fargo, eine Stadt in North Dakota, in der im Jahr weniger als zwei Morde passieren, besitzt ein Panzerfahrzeug mit Geschützturm. In Keene bei New Hampshire gab man 286 000 Dollar für das Panzerfahrzeug Bearcat aus. Zwischen 1999 und 2012 gab es in Keene drei Tötungsdelikte. Der örtliche Polizeichef hatte angekündigt, der Bearcat solle vor allem bei Großveranstaltungen eingesetzt werden, etwa beim Kürbis-Festival.

Mittlerweile verfügen viele Polizeistationen nicht nur über schweres Gerät, sondern auch über SWAT-Teams. Diese Spezialkräfte - in etwa mit den deutschen SEK vergleichbar - waren ursprünglich für lebensbedrohliche Einsätze vorgesehen, Schießereien oder Geiselnahmen zum Beispiel. Mitte der Achtzigerjahre gab es in 80 Prozent der Städten mit 50 000 Einwohnern SWAT-Teams, 2007 verfügten schon mehr als 80 Prozent der Städte mit einer geringeren Einwohnerzahl zwischen 25 000 und 50 000 über diese Spezialkräfte.

Im Jahr 1980 wurden die SWAT-Teams in den Vereinigten Staaten zu 3000 Einsätzen gerufen, mittlerweile sind es 50 000, wie der Wissenschaftler Peter Kraska im Economist vorrechnet. Sie werden zu Verhaftungen geschickt oder zur Auflösung illegaler Pokerspiele. 2010 drang ein SWAT-Team in eine Bar ein, die angeblich Alkohol an Minderjährige verkaufte. Das Spezielle ist mittlerweile zur Routine geworden. Auch während der Proteste in Ferguson kamen SWAT-Teams zum Einsatz.

Der Journalist Radly Balko schreibt, dass die Einsätze der schwerbewaffneten SWAT-Teams nicht selten blutig enden. Er selbst habe 50 Fälle gezählt, bei denen unschuldige Menschen gestorben seien. Darunter Unbeteiligte - aber auch Polizisten, von denen die Verdächtigten dachten, sie seien Einbrecher.

Befragt zur aktuellen Situation in Ferguson sagt Balko: "Die Polizisten sehen in den Menschen keine Bürger mit Rechten mehr, sie sehen in ihnen eine Bedrohung."

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