Proteste im Vorort von St. Louis:Eine getrennte Stadt

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Eine Frau demonstriert nach dem Tod von Michael Brown in St. Louis. (Foto: AP)

Der Vorort Ferguson im US-Bundesstaat Missouri kommt nach dem gewaltsamen Tod von Michael Brown nicht zur Ruhe. Mehrere Studien zeigen: Die Stadt St. Louis gehört zu jenen in den Vereinigten Staaten, in denen noch immer starke Rassentrennung vorherrscht.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es war unruhig in dieser Nacht in Ferguson im US-Bundesstaat Missouri. Die Menschen gingen erneut auf die Straße, um ihren Unmut über die Tötung von Michael Brown vor wenigen Tagen zum Ausdruck zu bringen. Viele hielten Schilder hoch, auf denen stand: "Hands up, don't shoot" - ein Hinweis darauf, dass ein Zeuge angemerkt hat, dass der 18 Jahre alte Brown mit erhobenen Händen vor den Polizisten weggelaufen sein soll, ehe er erschossen wurde. Wie schon in den Tagen zuvor begannen die Demonstrationen friedlich, sie eskalierten jedoch nach Sonnenuntergang.

Zehn Menschen wurden verhaftet, Zeugen berichten, dass immer wieder Schüsse zu hören gewesen seien. Die Demonstranten hätten Steine auf die Beamten geworfen. "Wir haben alles getan, um außergewöhnliche Zurückhaltung zu demonstrieren", sagte Jon Belmar, Polizeichef von St. Louis. Allerdings wurden die Protestierenden am Abend von Polizisten begleitet, die aussahen wie Soldaten. Im Internet kursiert ein Video des Demonstranten Antonio French. Darauf ist zu sehen, wie die Polizei die Demonstration für beendet erklärt und dann Tränengas und Gummimunition einsetzt.

In der Nacht zuvor war ein 19 Jahre alter Mann bei Protesten angeschossen worden. Zwei Journalisten der Washington Post und der Huffington Post waren festgenommen und später freigelassen worden. Wesley Lowery schildert seine Festnahme in beeindruckenden Worten, er berichtet davon, dass er und sein Kollege in einem Schnellrestaurant ohne erkennbaren Grund gefesselt und abgeführt worden seien.

Obama: Polizei sollte Journalisten nicht belästigen

Präsident Barack Obama äußerte sich am Donnerstagmorgen (Ortszeit) zu diesem Vorfall: "Die Polizei sollte Journalisten nicht belästigen oder festnehmen, wenn sie ihre Arbeit erledigen." Aus seinem Urlaubsort Martha's Vineyard stellte er klar, dass es keine Entschuldigung für extreme Polizeigewalt gäbe - aber auch keine für Gewalt gegen Beamte. Die Polizei sei nun in der Verantwortung, die Ereignisse vom Samstag "offen und transparent" zu kommunizieren.

Für Aufregung hatte am Mittwochabend (Ortszeit) die Ankündigung des Ermittlers Robert McCulloch gesorgt, Details zum Fall keinesfalls in den kommenden Tagen veröffentlichen zu wollen - um mögliche Zeugen nicht zu beeinflussen. Auch die Identität des Schützen wollte er nicht nennen, weil es am Nachmittag Todesdrohungen gegen einen Beamten gegeben habe, der fälschlicherweise als Schütze identifiziert wurde. "Wenn es eine einfache Lösung gäbe, dann hätten wir das Problem schon gelöst", sagte Belmar.

Um zu verstehen, was sich da gerade in Ferguson abspielt, lohnt es, eine Studie von John Logan und Brian Stults zu betrachten. Die beiden sind Professoren an den Universitäten Brown und Florida State, sie haben im vergangenen Jahr die noch immer vorhandene Rassentrennung in den Vereinigten Staaten verdeutlicht. Sie haben 21 Städten nach der ethnischen Herkunft ihrer Bewohner analysiert.

Beim Blick auf Los Angeles etwa wird deutlich: An der Küste wohnen die Weißen, Afroamerikaner bewohnen die Gegend südlich von Downtown, die Hispanics befinden sich im Osten und die Menschen asiatischer Herkunft im Nordosten der Stadt. Auch in St. Louis ist eine klare Trennung festzustellen. Die Weißen wohnen im Süden, die Schwarzen im Norden. Die Stadt gilt nach dieser Studie als jene mit der sechststärksten Rassentrennung in den Vereinigten Staaten. Logan und Stults haben bei ihrer Studie den so genannten "Dissimilarity Index" eingeführt. Er besagt, welcher Prozentsatz der Bevölkerung einer Gegend umziehen müsste, um Rassentrennung komplett zu eliminieren - jeder Wert über 60 gilt als extrem. Der "Dissimilarity Index" in St. Louis: 69,2.

Ferguson befindet sich im Norden der Stadt, etwa 15 Kilometer von Downtown entfernt - es gilt offiziell als Vorort von St. Louis, was daran liegt, dass die Grenzen schärfer gezogen werden als in anderen amerikanischen Städten. In Philadelphia etwa würde ein Ort wie Ferguson zum Stadtgebiet gerechnet werden, in St. Louis gilt er als eigene Gemeinde. Zwei Drittel der 21.000 Einwohner von Ferguson sind Afroamerikaner, das mittlere Einkommen liegt bei 37.000 US-Dollar pro Jahr. Das sind 10.000 Dollar weniger als der Mittelwert im Bundesstaat Missouri. Etwa 20 Prozent der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Flucht von Menschen weißer Hautfarbe

Es gibt noch eine Grafik, die verdeutlicht, was sich in den vergangenen Jahrzehnten in und um Missouri abgespielt hat. Sie stammt von Colin Gordon von der University of Iowa und beschäftigt sich mit dem so genannten "White Flight" - der Flucht von Menschen weißer Hautfarbe. Auf den Karten sind diese Bewegungen deutlich zu sehen, und wie sich der Delmar Boulevard in St. Louis zu einer Grenze entwickelt hat. Eine Hauptverkehrsstraße, die von Westen nach Osten verläuft und damit Nord und Süd, Arm und Reich, Schwarz und Weiß trennt.

Die Struktur der Bevölkerung spiegelt sich indes nicht in allen Bereichen wider: Fergusons Bürgermeister James Knowles ist weiß, fünf von sechst Stadträten sind weiß. Bei der Polizei von Ferguson arbeiten 53 Beamte - nur drei davon sind Afroamerikaner. "Das ist ein Problem, das im Zuge der Tragödie vom Samstag angesprochen wurde", sagt Fergusons Polizeichef Tom Jackson. Er setze sich seit Jahren für Diversifizierung ein und wolle das auch in Zukunft tun.

Diese Studien verdeutlichen jedoch vor allem, dass es sich bei der Bevölkerungsstruktur des Vororts Ferguson und der Großstadt St. Louis keineswegs um ein singuläres Problem in den USA handelt. John Logan und Brian Stults veröffentlichten insgesamt Karten von 21 amerikanischen Großstädten, in denen der Wert des "Dissimilarity Index" mehr als 60 beträgt.

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