November ist in den USA "National Native American Heritage Month" - eine etwas komplizierte Bezeichnung für einen Monat, in dem das Land das Erbe und die Traditionen seiner Ureinwohner feiern möchte.
In North Dakota dürfte man sich der bitteren Ironie solcher Gedenk-Aufrufe bewusst sein: Auf und neben dem Stammesgebiet der Standing Rock Sioux protestieren seit Monaten Tausende Aktivisten, darunter Hunderte Ureinwohner, gegen den Bau einer Ölpipeline.
In den vergangenen Wochen ist die Lage außerhalb des Reservats immer wieder eskaliert. Polizei und Sicherheitskräfte setzen Wasserwerfer, Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten ein. Alleine vergangene Woche wurden 170 Menschen verletzt, zwei Dutzend davon schwer. Seit August wurden 400 Menschen festgenommen.
Die Polizei rechtfertigt sich damit, die Menschenmenge kontrollieren zu wollen. Augenzeugen und Journalisten berichten davon, dass die Gewalt zwar vereinzelt auch von Demonstranten ausgehe, aber vor allem die mit Militärgerät ausgestatteten Sicherheitskräfte mit unverhältnismäßiger Härte vorgingen. Selbst aus den Vereinten Nationen kommen inzwischen Aufrufe zur Mäßigung. Dave Archambualt, der Stammesvorsitzende der Standing Rock Sioux, befürchtet: "Es eskaliert mehr und mehr, bis die Sicherheitskräfte sich nicht mehr um Menschenleben kümmern."
Die Bürde der Geschichte
Am Rand des Stammesgebietes soll der letzte Teil einer 1900 Kilometer langen Ölpipeline gebaut werden, die die ölreichen Gebiete von North Dakota mit Illinois verbinden soll. Durch die 3,7 Milliarden Dollar teure Dakota Access Pipeline, so ihr offizieller Name, sollen 470 000 Barrel Rohöl täglich zu den Raffinerien an der Golf- oder Ostküste transportiert werden.
Zu den Gegnern gehören Teile der Standing Rock Sioux, Vertreter anderer Stämme sowie Umweltschützer und 500 protestantische Pastoren. Ihre Motive sind unterschiedlich: Die Ureinwohner werfen den Regierungsbehörden in Washington vor, sie vor der Genehmigung entgegen gültiger Gesetze nicht ausreichend konsultiert zu haben und heiliges Stammesland zu verletzen (wem das Land gehört, ist historisch umstritten).
Sie fürchten aber auch, dass mögliche Lecks in der Pipeline ihre Trinkwasser-Quellen verseuchen könnte. Diese Angst ist durchaus berechtigt: Sunoco Logistics/Energy Transfer Partners, der künftige Betreiber der Ölpipeline, hat häufiger als seine Konkurrenzfirmen mit Öllecks zu kämpfen - seit 2010 gab es mehr als 200 Vorfälle.
Im Hintergrund ist die Bürde der Geschichte zu spüren: Die Missachtung der Verträge mit Ureinwohnern durch die Siedler, die Ermordung und die Vertreibung der Ureinwohner aus angestammten Gebieten, die strukturelle Benachteiligung und Stereotypisierung von "Indianern" in der amerikanischen Kultur. Könne es sein, fragt ein Ureinwohner in einem Leserbrief, dass man die Religion der Stammeskultur im Gegensatz zu Glaubensbekenntnissen wie dem Christentum einfach nicht ernst nehme?
Klima-Aktivisten wollen Ölförderung drosseln
Zugleich sind aus dem ganzen Land Umweltschützer angereist. Die amerikanische Umweltbewegung hat bereits die Genehmigung der Keystone-Pipeline aus Kanada verhindert und ist nicht nur aus Naturschutz-Gründen gegen solche Projekte: Sie will im Zeichen des Klimawandels die Ölförderung generell drosseln. Auch Prominente wie US-Schauspieler Mark Ruffalo unterstützen den Protest, in liberalen Städten gibt es Solidaritätskundgebungen, Social Media ist voller Live-Videos und Mitmach-Aufrufe.
Protest gegen Öl-Pipeline:Demonstranten bei Standing Rock trotzen dem Winter
Ureinwohner und Umweltschützer protestieren dort gegen eine geplante Öl-Pipeline. Der Gouverneur von North Dakota fordert sie auf, ihr Camp zu verlassen. Doch die Demonstranten denken nicht daran.
Die Obama-Regierung befindet sich in einem Zwiespalt, was ihr Kritik von beiden Seiten einbringt: Nachdem der Stamm vor einem Gericht mit einem Baustopp gescheitert war, vergab die zuständige Behörde trotzdem keine Genehmigung. US-Senator Bernie Sanders hat Obama aufgefordert, die Gegend zum Nationaldenkmal zu erklären. Dies würde sämtliche Erschließungen verbieten. Im Moment sucht die Regierung jedoch erst einmal nach einer möglichen Umleitungsroute, was allerdings der Betreiber Energy Transfer Partners bereits abgelehnt hat.
Das texanische Unternehmen kann angesichts der anstehenden Präsidentschaft von Donald Trump ohnehin beruhigt abwarten. Der Republikaner ist ein Freund unbeschränkter Unternehmertätigkeit und hält Umweltregulierungen in den meisten Fällen für überflüssig. Die Wiederbelebung der Keystone-Pipeline hat er bereits angekündigt. In seiner Zeit als Immobilienunternehmer hatte Trump auch immer wieder die Bevorzugung der Ureinwohner kritisiert - diese dürfen auf ihrem Gebiet unter anderem Casinos betreiben, ein Stammgeschäft des künftigen Präsidenten.
Trumps Interessenkonflikt
Vor allem aber hat Trump selbst ein Interesse an der Baugenehmigung - und damit einen weiteren Interessenkonflikt: Der künftige Präsident hat laut vom Guardian analysierten Wahlkampf-Unterlagen zwischen 500 000 und einer Million Dollar in den Pipeline-Betreiber Energy Transfer Partners investiert, eine weitere Firma aus dem Joint Venture erhielt eine ähnliche Summe. Firmengründer Kelcy Warren gehört zu seinem Spenderkreis.
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Der nächste Showdown droht kommende Woche: Spätestens am 5. Dezember sollen die Protestierenden in North Dakota ihr Camp geräumt haben und in eine "Zone für freie Meinungsäußerung" umsiedeln. Der Aufenthalt auf dem Gelände könnte dann als Hausfriedensbruch gewertet werden und eine Festnahme zur Folge haben. Gouverneur Jack Dalrymple, maßgeblich für den massiven Einsatz der Sicherheitskräfte verantwortlich, hat bereits wegen der winterlichen Bedingungen eine sofortige Räumung angeordnet, die allerdings nicht verfolgt wird.
Dass die Proteste ohne Gegenwehr zu Ende gehen, glaubt niemand."Wir haben uns auf eine Langstrecke eingestellt", sagte Chase Iron Eyes, ein Mitglied des Standing-Rock-Sioux-Stammes, CNN. Für die kommende Woche haben sich bereits bis zu 2000 US-Kriegsveteranen angesagt. Sie wollen eine Menschenkette bilden und so eine mögliche Räumung verhindern.