Die Treppen sind abgetreten, das Treppenhaus schon länger nicht renoviert worden, im obersten Stockwerk liegt die Wohnung: zwei spärlich möblierte Zimmer mit vier Betten und einer Schlafcouch, eine kleine Küche, ein schnörkelloses Bad. 1800 Euro im Monat kostet sie - hochgerechnet. Die Wohnung im Berliner Stadtteil Wedding wird über das Internet als Ferienwohnung angeboten. Eingemietet hat sich dort im Moment allerdings kein Tourist, sondern die Weddinger Erwerbsloseninitiative "Basta" - aus Protest gegen steigende Mieten und Verdrängung.
"Die Menschen finden keine Wohnungen mehr, deswegen stapeln sie sich lieber in ihren alten, anstatt umzuziehen", sagt "Basta"-Aktivist Paul Schmidt. Drei Tage will er in der übernommenen Wohnung Beratungsgespräche zum Thema anbieten, Wohnungssuchende können sich in einer Liste eintragen. Diese Liste wollen die Aktivisten dann der Hausverwaltung übergeben und sie auffordern, die "Zweckentfremdung" der Wohnung zu beenden. "Ferienwohnung zu Wohnraum" steht auf einem Transparent, das über der Couch hängt. Eine Karte im Flur zeigt, wo in Berlin es derzeit besonders schlecht aussieht mit billigen Wohnungen. Die Wände der Zimmer sind tapeziert mit Erfahrungsberichten aus einer Stadt, die ständig teurer wird.
12 000 bis 17 000 Ferienwohnungen
Daran sind auch die vielen Ferienwohnungen schuld, sagt Schmidt. 12 000 von ihnen gibt es Schätzungen des Senats zufolge in Berlin. Eine Auswertung des Bezirks Mitte ergab sogar 17 000 Ferienwohnungen. Und sie liegen längst nicht mehr nur in teuren Szene-Kiezen. In der Soldiner Straße zum Beispiel, wo "Basta" sich eingemietet hat, reihen sich Kioske, Eckkneipen, Shisha-Cafés und unsanierte Wohnblöcke aneinander. Doch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist man schnell in Mitte, wohin es viele Touristen zieht. Allein 60 Ferienwohnungen hat "Basta" auf Internetportalen in der unmittelbaren Umgebung der Wohnung gezählt.
Schmidt und die anderen laufen deswegen mit einem Transparent durch die Soldiner Straße. "Zwangsräumung verhindern - Bleiberecht für alle" steht darauf. Sie drücken der Besitzerin der "Oldie Kneipe" an der Ecke Flyer in die Hand, klingeln an Haustüren und laden die Nachbarn in ihre besetzte Ferienwohnung ein. "Bei uns im Haus gibt es auch eine", ruft ein Mann vom Balkon zwei Häuser weiter. Viele Menschen hier, erzählt Schmidt während des Spaziergangs, bezögen Grundsicherung. Sie hätten Angst, aus dem Kiez verdrängt zu werden. "Basta" ist eine Initiative von Hartz-IV-Empfängern, Schmidt weiß, wovon er redet.
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"Der einfache Hartz-IV-Empfänger muss jederzeit damit rechnen, dass er raus muss", sagt auch Horst Schwerdtfeger, der hinter dem Transparent her läuft. Sei es wegen steigender Nebenkosten oder teurer Sanierungsarbeiten. Schwerdtfeger, der schon viele Jahre im Wedding lebt, sorgt sich um seinen Kiez: "Der Wedding soll kein Kiez nur für reiche Menschen werden. Hier leben so unterschiedliche Leute, das ist doch der besondere Reiz."
Auch der Senat sieht das Problem
Mit ihrer Einschätzung stehen die Aktivisten von "Basta" nicht allein da. Auch der Senat sieht Ferienwohnungen als Problem. In Berlin braucht seit Mai 2014 jeder eine Genehmigung, der Wohnungen an Touristen vermieten will. Für Ferienwohnungen, die vor diesem Termin angemeldet worden sind, gilt eine Übergangsfrist bis Mai 2016. Offiziell angemeldet sind allerdings ohnehin nur 6300 Ferienwohnungen. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) will für die Jagd nach illegalen Ferienwohnungen mehr Personal einsetzen - und auch Anbieter wie Airbnb unter Druck setzen, über die Vermieter Auskunft zu erteilen.
Die Wohnung im Soldiner Kiez, in die die Aktivisten von "Basta" eingezogen sind, gehört dem Vermieter zufolge zu den 6300 genehmigten Wohnungen in Berlin. Er ist an diesem Tag ein bisschen unfreiwillig zum Sprecher seines Gewerbes geworden: seine Telefonnummer hängt gut sichtbar an der Wohnungstür. Den ganzen Tag schon rufen ihn Journalisten an, auch Polizei und Staatsschutz haben in der Soldiner Straße vorbei geschaut. "Basta" hatte die Aktion zunächst auf Twitter als "Beschlagnahmung" angekündigt - dabei zahlt die Initiative ganz normal Miete für die Ferienwohnung und will sie nach der Aktion wieder räumen. Am Telefon bittet der Vermieter, seinen Namen nicht zu nennen.
Er findet, dass die Stadt eigentlich andere Probleme habe als ein paar Tausend Ferienwohnungen, deren Anteil an den knapp 1,9 Millionen Wohnungen in Berlin gering sei. Zum Beispiel, dass nicht genügend Sozialwohnungen gebaut werden. "Aber klar, das Thema Ferienwohnungen ist politisch eben hoch aufgeladen", sagt er. Das hat er nun wegen der "Basta"-Aktivisten am eigenen Leib zu spüren bekommen. Aber halb so schlimm, sagt er zum Abschied: "solange sie nichts kaputt machen."