Süddeutsche Zeitung

Prostitution von Minderjährigen in Italien:Morgens Schule, nachmittags anschaffen

Sie dröhnen sich mit Kokain zu und haben Sex mit älteren Männern: In einem schicken Stadtteil von Rom bieten minderjährige Mädchen Sex gegen Geld und Drogen an. Jetzt beschäftigt der Fall die Polizei. Zu den Hauptakteuren des Prostitutionsrings gehört eine 16-Jährige.

Von Andrea Bachstein, Rom

"Kann ich da nichts machen? Lässt sie sich von mir entjungfern?", fragt der Bauunternehmer mit Codenamen "Bambus". Seine damals 15 Jahre alte Gesprächspartnerin "Azzurra" meint, da lasse sich schon was machen mit ihrer Freundin: für vier Gramm Kokain plus 100 Euro und Taxigeld. Das war dann der Preis für die Unschuld einer 14-Jährigen.

Der Telefondialog geht aus Ermittlungen in einem Fall hervor, der nicht nur in den edlen Palazzi im römischen Stadtteil Parioli die Menschen verstört; er ist ein großes Thema in der ganzen Hauptstadt und darüber hinaus: ein Prostitutionsring, in dem eine 14-Jährige "Aurora" und die nun 16-jährige Azzurra Hauptfiguren sind. Es geht nicht nur um bezahlten Sex mit Minderjährigen, sondern auch um Drogen. Die Mädchen erhielten vom Zuhälter und einem Freier so viel Kokain, dass sie nicht nur selber angedröhnt waren, sondern das Pulver auch noch verteilen konnten. Fassungslos und besorgt um die eigenen Teenager-Kinder verfolgt das Publikum die Ermittlungen, die den sinnigen Titel "Nymphe" tragen.

Doppelleben und Ausbeutung der Schülerinnen spielten sich im elegantesten Wohnquartier Roms ab. Hier gingen die Mädchen zur Schule, hier mietete der 38-jährige Zuhälter - Chauffeur im bürgerlichen Beruf - am Viale Parioli eine Wohnung für die Treffen mit Freiern. Zu den verstörenden Fakten gehört, dass "Azurra" gegenüber der 14-jährigen "Aurora" fast wie eine Zuhälterin auftrat. Und dass Auroras alleinerziehende Mutter angeblich wusste, was die Tochter trieb, dass sie sogar Geld von ihr nahm.

Mutter leugnet, von der Prostitution gewusst zu haben

Die Mutter leugnet, antwortete in Vernehmungen, sie habe sich die teuren Klamotten und Luxusartikel der Tochter so erklärt: "Ich dachte, sie dealt nur." Allerdings gibt es ein verräterisches Telefonat. Aurora klagt da, die Freier ließen ihr keine Zeit für Hausaufgaben. Antwort der Mutter: "Du musst einen Weg finden, das zu organisieren. Wenn du mittags aus der Schule kommst, kannst du bis drei Uhr lernen, und um drei gehst du doch immer dort hin." Das Mädchen sagte aus, sie habe aufhören wollen, doch die Mutter sei dagegen gewesen. Die ist nun festgenommen worden, wie drei Stammkunden und der Zuhälter.

Allem Anschein nach fühlten sich die Teenager nicht als Opfer, sondern als ziemlich cool. Vor allem Azzurra. Zufällig wollen die Mädchen im Internet auf die Verdienstidee gekommen sein, Azzurra habe im Netz die nötigen Kenntnisse erworben und dann Aurora angelernt. 300 Euro war der Preis für beide.

Den Zuhälter lernten sie laut der 14-Jährigen als Kunden kennen, von da an arbeiteten sie nicht dreimal pro Woche, sondern täglich, und natürlich kassierte er mit. Azzurra führte aber selbstbewusst Verhandlungen: "Ich geb' dir Rabatt - statt 250 musst du nur 249,99 Euro zahlen", sagte sie einem Freier. Treffen, die ihr nicht passten, lehnte sie ab. In der selbstverfassten Internet-Anzeige beschrieb sich Azzurra als "heiter-gelassen", mit langen Haaren, nicht zu dünn. Drei Tattoos und ein Zungenpiercing trage sie, gehe gerne tanzen - und Sex mit älteren Männern gefalle ihr: "Ich bin ein ganz normales Mädchen." Einen Interessenten lockte sie: "Wir sind zu zweit und sorgen dafür, dass du dich echt amüsierst."

Als Azzurras Mutter die Tochter im Sommer am Telefon anwies, sofort heimzukommen von der Insel Ponza, Feriensitz wohlhabender Römer, antwortete die Tochter: "Lass mich gefälligst mein Leben leben." Das hieß: eine Woche mit der Freundin auf einer Luxusyacht, Sex mit einem Kunden, Hardcore-Fotos, Cannabis rauchen und Kokain schnupfen. Azzurras Rolle scheint derart treibend gewesen zu sein, dass sie nun nicht nur als Opfer behandelt wird, sondern zugleich gegen sie ermittelt wird wegen Drogenhandels und Anstiftung zur Prostitution Minderjähriger.

Ihre Mutter löste die Untersuchungen aus. Etwas muss sehr falsch gelaufen sein in der Beziehung mit dem Kind, das ihr keine Auskunft gab und sogar mit Schlägen gedroht haben soll. Immerhin begriff die Mutter, dass ihre Tochter in etwas Unerträgliches, Kriminelles geraten war. Sie bat jemanden, nachzuforschen. Ihre Befürchtungen bestätigten sich, und im August ging sie zur Polizei, die umfangreich ermittelt hat.

Das Aufsehen um den Fall liegt auch am Staunen über die Selbstverständlichkeit, mit der vor allem die Ältere das Sexgeschäft anging. Vor allem aber ist klar, dass vielleicht Azzurra ein spezieller Fall ist, aber das Phänomen an sich keine extreme Ausnahme: Immer wieder wird bekannt, dass junge Mädchen fürs Aufladen des Prepaid-Handys sich überzeugen lassen, Sexfotos oder sexuelle Handlungen zu bieten. Wie verbreitet das ist, zeigen Umfragen über eine Internetsite für Schüler. Von 3000 gaben 25 Prozent an, an ihrer Schule prostituierten sich Mädchen, sehr verbreitet fanden das sogar 15 Prozent. Ein Drittel von ihnen will mindestens einmal Sex mit so einem Mädchen gehabt haben.

Jetzt debattieren Psychologen und Soziologen

Natürlich wird diskutiert, was da passiert ist in Familien und Gesellschaft, dass auch Teenager, die nicht in Zwangslagen sind, sich ohne Bedenken verkaufen. "Unbekanntes Universum" nannte der Corriere della Sera die Welt der Teenager. Experten sollen nun Erklärungen liefern; ein Jugendpsychiater meinte, Eltern könnten nicht mehr auf die Erfahrungen ihrer Pubertät zurückgreifen bei der Erziehung, denn Sexualität habe für viele Jugendliche nichts mehr zu tun mit ethischen Werten.

Sie verbänden Sex nicht unbedingt mit Gefühl, Beziehung, nicht einmal Vergnügen. Für sie sei er etwas, das Macht verleiht. Ein Soziologe sieht zwei Generationen versagen: Eltern, die keine Verantwortung übernehmen, und Kinder, die in der Krise die Hoffnungen für ihr Leben aufgegeben, sich mit "Brosamen" begnügten.

Und dann ist da das finstere Universum der Freier. Einige sollen verzichtet haben, weil die Mädchen zu jung waren. Die meisten aber ignorierten das, oder es war genau ihr Kick. Nun müssen die Nerven blank liegen bei Dutzenden skrupelloser Männer. Die Polizei hat bereits 20 Kunden identifiziert. Mit weiteren Festnahmen wird gerechnet.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2013/ahe/pauk
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