Prostitution in Dortmund:Schluss mit dem Strich

Die Dortmunder "Verrichtungsboxen" galten als Modell für geregelte Prostitution, bis sie auch von Banden aus Osteuropa genutzt wurden. Nun ist es vorbei mit dem Dortmunder Modell - und viele Prostituierte fürchten um ihre Sicherheit.

Bernd Dörries, Dortmund

Am Ende der Dortmunder Nordstadt gibt es so ziemlich alles zum Mitnehmen. Entlang der großen Ausfallstraße reihen sich die Baumärkte, Elektrohändler und Schnellimbisse aneinander. Die Leute packen Fernseher und Gartenmöbel in den Kofferraum ihres Autos, lassen sich eine große Pommes mit Cola durch das Fenster reichen. Und wenn das Geld noch reicht und die Frau gerade nicht dabei ist, gibt es vielleicht auch noch einen kleinen Geschlechtsverkehr auf dem Straßenstrich, zwischen Baumarkt und Autohändler.

Prostituierte demonstrieren fuer Erhalt des Strassenstrichs

Überbleibsel des Dortmunder Modells: Viele Prostituierte sehen durch die Abschaffung des Straßenstrichs in der Ravensberger Straße ihre Sicherheit gefährdet.

(Foto: dapd)

Hinter den Gebrauchtwagen steht an diesem Nachmittag ein Opel Astra mit heruntergelassener Scheibe. Davor macht eine Frau Mitte zwanzig, mit Minirock und goldenen Haaren, ein paar gewagte Bewegungen mit dem Becken. Drinnen sitzt ein alter Mann mit Kippe im Mundwinkel, der das Autoradio lauter dreht: "I've had the time of my life".

Die Vergangenheitsform des Liedes passt ganz gut, weil ja alles bald vorbei sein soll in der Ravensbergerstraße. Vergangene Woche beschloss der Rat der Stadt Dortmund, den legalen Straßenstrich schließen zu lassen. Etwa 80 Prostituierte waren in den Tagen davor noch protestierend vor das Rathaus gezogen, aber sie konnten wenig machen, gegen die vielen tausend Bürger der Nordstadt, die gegen den Straßenstrich unterschrieben haben. "Kriminalität, Gewalt und Schießereien. So konnte es in der Nordstadt nicht mehr weitergehen", sagt Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD). Schon bald soll die Polizei den Huren Platzverweise erteilen in der Ravensbergerstraße und die Freier, die bei sogenannten Anbahnungsgesprächen erwischt werden, wegen einer Ordnungswidrigkeit bestrafen.

Dabei sollte in Dortmund eigentlich bewiesen werden, dass das älteste Gewerbe der Welt mittlerweile auch ein ganz normales ist. Der Straßenstrich in der Ravensberger Straße wurde im Jahr 2000 mit Hilfe der Stadt eingerichtet, um die Straßenprostitution für die Huren sicherer zu machen und aus den Wohngebieten zu holen. Die etwa 300 Meter lange Straße ist gut ausgeleuchtet, in Containerbüros berät der katholische Sozialdienst die Frauen, es gibt Arztsprechstunden. Daneben stehen 20 "Verrichtungsboxen", die der Volksmund auch Vögelhäuschen nennt. Die durch Bastmatten getrennten Parkplätze sind so konstruiert, dass der Fahrer die Autotür nicht mehr öffnen kann, die Dame auf dem Beifahrersitz aber schon.

Mit dem Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002 begannen die Huren, ihr Gewerbe anzumelden, Ordnungsamt, Polizei und Beratungsstellen arbeiteten eng zusammen, die Gewalt ging zurück im Milieu. Es lief alles ziemlich gut, sodass man schon vom Dortmunder Modell sprach. Die Prostituierten und ihr Gewerbe waren vielleicht nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sie waren aber näher herangerückt, in ein ganz normales Gewerbegebiet.

"Bis 2007 hat alles sehr gut funktioniert", sagt Oberbürgermeister Sierau. Aus ganz Europa reisten Delegationen an, um sich über das Dortmunder Modell zu informieren. Mit der Reisefreiheit für osteuropäische Staaten kamen aber auch Hunderte Frauen aus Bulgarien und Rumänien, türkisch sprechende Roma und Sinti, die von ihren Familien auf den Strich geschickt wurden.

Nachschub kommt aus Bulgarien

Zuerst beschränkten sich die Probleme mit ihnen nur auf den Straßenstrich. Sie machten viel für wenig Geld und ohne Kondom. Mittlerweile ist die Dortmunder Nordstadt mit ihrem Straßenstrich nach Ansicht der Polizei Anziehungspunkt für Banden aus Osteuropa geworden, die im ganzen Ruhrgebiet aktiv sind. Wenn in Essen oder Bochum ein Taschendieb geschnappt werde, dann komme der oft aus der Dortmunder Nordstadt, sagt Oberbürgermeister Sierau. Er war anfangs dagegen, den Straßenstrich zu schließen. Mittlerweile sieht er aber einen ganzen Stadtteil als gefährdet an.

Nordstadt, das ist in Dortmund alles, was nördlich vom Bahnhof kommt. Für viele ist es das Ruhrgebiet im Kleinformat. Es gibt hier Neuankömmlinge aus allen Ländern, die billigen Wohnraum finden. Und solche, die ein paar Blöcke weiter in schönen Gründerzeithäusern leben, Oberstudienräte und Gemüsehändler. Das alles hatte in den letzten Jahren zu einer gemeinsamen Identität gefunden, die Nordstadt war nicht mehr das Schmuddelkind der Stadt.

"Jetzt haben viele wieder Angst, ihre Kinder zur Schule zu bringen", sagt der Oberbürgermeister. Dortmund sei immer eine Stadt von Einwandern gewesen, ohne sie gäbe es sie gar nicht. Die Neuen wollten hier aber gar nicht ankommen, sie seien nicht daran interessiert, ein Teil der Stadt zu werden. In manchen Straßen haben die Prostituierten und ihre Begleiter leerstehende Häuser besetzt und hausen dort auf Matratzenlagern. Es gibt Gebiete, in denen sich die Menschen nachts nicht mehr hinaustrauen, es gab Schießereien. Die örtliche SPD spricht davon, dass auf dem Strich keine Rede davon sein könne, dass hier selbstbewusste Huren einem normalen Beruf nachgehen. Vielmehr hätten Menschenhändler das Milieu unter ihre Kontrolle gebracht.

Der Nachschub komme wie im Shuttlebetrieb, vor allem aus Plovdiv, einer Stadt in Bulgarien, aus der viele der derzeit etwa 700 offiziell registrierten Prostituierten stammen, die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Eine Delegation der Stadt ist neulich nach Plovdiv gefahren, "Für die Frauen ist das Elend dort noch viel größer als hier", sagt Elke Rehpöhler von der katholischen Beratungsstelle Kober, die direkt am Straßenstrich in zwei Containern die Huren berät. "Vor zwei Jahren hätte ich eine Schließung verstanden, heute haben wir aber große Fortschritte gemacht", sagt Rehpöhler. Die Frauen aus Bulgarien würden mittlerweile alle Kondome benutzen, hätten einigermaßen Deutsch gelernt und würden nicht mehr alles mit sich machen lassen. Auch sie war neulich in Plovdiv, dort hat ihr eine Mitarbeiterin der örtlichen Sozialbehörde gesagt: "Die Sinti und Roma schicken ihre Töchter zur Prostitution, damit es der Familie daheim besser hat."

Rehpöhler sagt, das könne man gut oder schlecht finden, es sei aber die Realität. Solange es soziale Ungleichheiten gebe in Europa und die Nachfrage nach Sex, so lange würden neue Frauen kommen. Durch die Schließung des Strichs werde das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht. "Die Frauen werden wieder in die Wohngebiete gehen, die Freier mit ihren Autos stundenlang durch die Straßen fahren. Es wird chaotisch werden." Wie auch die Grünen befürchtet sie, dass es für die Prostituierten gefährlicher werde, ihren Beruf auszuüben, irgendwo in dunklen Ecken. Es wäre das Ende des Dortmunder Modells.

Oberbürgermeister Sierau sagt, die Stadt handele aus Notwehr. Sie habe viel getan für den Aufschwung der Nordstadt, der nun gefährdet sei. Statt der erhofften Kreativen, Familien und Studenten sind Kriminelle in das Viertel gekommen. "Wir müssen ein Signal senden Richtung Plovdiv, Richtung Bulgarien und Rumänien, dass die Verhältnisse in Dortmund andere geworden sind." Und Elke Rehpöhler von der Beratungsstelle sagt, es habe schon die ersten Frauen gegeben, die gefragt hätten, ob es nicht auch andere Arbeit gebe in Deutschland.

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