Prostitution in Deutschland:"Die Kondompflicht hilft den Frauen nicht"

Mittwochs besucht Annemarie Rödl die Prostituierten in Regensburg. Die Sozialpädagogin des Landratsamtes informiert über sexuell übertragbare Krankheiten und hat ein offenes Ohr für Ängste. Ein Gespräch über eine schwierige Mission.

Von Jana Stegemann

Die Koalition hat sich auf ein neues Prostitutionsgesetz geeinigt, in dem unter anderem die Kondompflicht festgeschrieben wird. Im Saarland wurde die Kondompflicht bereits im vergangenen Frühjahr beschlossen - vor diesem Hintergrund ist das nachfolgende Interview entstanden, das am 1. März 2014 veröffentlicht wurde.

Die Regelung war schon damals nicht unumstritten - Baden-Württembergs Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) lehnte die Kondompflicht ab, "weil damit einseitig nur Prostituierte verfolgt und kriminalisiert werden, die Freier hingegen bleiben ungeschoren". Denn die Verstöße der Freier könnten in der Regel nicht kontrolliert werden, die der Prostituierten hingegen schon - nämlich durch Scheinfreier der Ordnungsämter, wie sie in Bayern eingesetzt würden, ließ Altpeter über ihren Sprecher mitteilen.

Annemarie Rödl arbeitet für das Landratsamt Regensburg und berät seit sieben Jahren die Prostituierten in Regensburg hinsichtlich Aidsprävention und Arbeitsbedingungen. Im Gespräch mit Süddeutsche.de warnt Rödl vor einer zunehmenden Kriminalisierung und Diskriminierung der Frauen.

SZ.de: Frau Rödl, wie bewerten Sie die Entscheidung aus dem Saarland?

Annemarie Rödl: Die Kondompflicht, wie sie in der Hygieneverordnung vorgeschrieben ist, ist ein Papiertiger. Seit 2006 gibt es sie in Bayern und aus Gesprächen mit den Frauen weiß ich, dass sie ihnen nicht wirklich hilft. Im Gegenteil: Viele Prostituierte reagieren verärgert auf das Papier. Denn in der Realität ist es so: Die Freier scheren sich nicht um die Hygieneverordnung. 70 Prozent oder noch mehr aller Freier verlangen Sex ohne Kondom. Das hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Sollte eine Prostituierte ungeschützten Verkehr verweigern, wird der Freier höchstwahrscheinlich eine andere Frau finden, die ihm seinen Wunsch erfüllt.

Warum erklären sich Frauen denn überhaupt zu ungeschütztem Verkehr bereit?

Die jungen Frauen stammen zum Teil aus prekären Verhältnissen, viele können nicht besonders gut oder kaum Deutsch. Wenn das der Fall ist, können sie sich kaum gegenüber Freiern behaupten. Außerdem fehlt bei vielen das Wissen über sexuell übertragbare Krankheiten.

Wie wird die Kondompflicht kontrolliert?

Aus Regensburg sind mir keine Kontrollen durch Scheinfreier oder ähnliches bekannt. Frauen haben mir jedoch von solchen Kontrollen in Landshut berichtet. Angeblich fragten nach Bekanntwerden der Aktion weniger Freier nach ungeschützem Verkehr als vorher. Ansonsten kann die Polizei natürlich Kontrollen in Bordellen machen und beanstanden, wenn der Hinweis dort nicht sichtbar aufgehängt ist. Aber es ist mit dieser Kondompflicht wie mit dem Fahrradfahren auf der falschen Straßenseite: Das machen auch viele, solange keine Polizei in Sicht ist. Andererseits holen sogar Vermieter, die an Prostituierte vermieten, die Hygienevorschrift bei uns persönlich im Gesundheitsamt ab, um sie im Hausflur und in den Wohnungen aufzuhängen. Wonach sich erstaunlich viele Prostituierte zu sehnen scheinen, ist jedoch die Zeit vor 2001.

Was war damals anders?

Dazu muss man wissen, dass es bis 2001 ein Bundesseuchengesetz gab, wonach alle Prostituierten regelmäßig zu Zwangsuntersuchungen kommen mussten. Es gibt teilweise den Wunsch von Seiten der Frauen, diese Zwangsuntersuchungen für alle Prostituierte wieder einzuführen. Mit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001 folgte ein Paradigmenwechsel, die Prostituierten bekamen Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übertragen. Nun geschehen solche Untersuchungen beim Gesundheitsamt auf freiwilliger Basis.

Was für Untersuchungen sind das?

Die Frauen werden mittels eines Bluttestes und eines Vaginalabstriches auf sexuell übertragbare Krankheiten, vor allem HIV, Hepatitis C und Syphilis, untersucht. Wenn eine Patientin berichtet, dass sie häufig ungeschützten Oralverkehr praktiziert, machen wir auch einen Rachenabstrich.

Wie wird dieses Angebot der freiwilligen Untersuchungen von den Frauen angenommen?

Das große Problem ist die Aufklärungsarbeit. Damit meine ich, dass viele Frauen von unserem Angebot nichts wissen. Das hat damit zu tun, dass sie häufig unsere Sprache nicht sprechen und auch damit, dass die meisten Frauen nur wenige Wochen am gleichen Ort arbeiten und dann weiterziehen. Viele mieten sich für ein, zwei Wochen über das Internet ein Appartement in Regensburg, leben und arbeiten dort. Dann reisen sie weiter, in andere deutsche Städte, nach Österreich oder in die Schweiz. Ich kenne auch Frauen, die regelmäßig in Norwegen oder Schottland arbeiten.

Warum dieses Nomadentum?

Die Frauen liefern mir in unseren Gesprächen eine ganz einfache, aber brutale Begründung: Männer brauchen immer Frischfleisch. Der Konkurrenzdruck im Gewerbe ist mittlerweile sehr groß.

Wie viele Frauen bieten in Regensburg ihre Dienste an?

Schätzungsweise zwischen 120 und 180 Frauen. Ich versuche auch an männliche Prostituierte heranzukommen, um Aufklärungsarbeit zu leisten - bisher gestaltet sich die Kontaktaufnahme jedoch schwierig.

Wie gehen Sie auf die Frauen zu?

Nach siebenjähriger Erfahrung weiß ich mittlerweile, wo die Frauen in Regensburg ihre Appartements mieten. Jeden Mittwoch mache ich meine Runde, versuche möglichst viele zu erreichen. Ich gehe bei ihnen vorbei und klingele. Die meisten öffnen die Tür, einige bitten mich und meine Mitarbeiterinnen sogar herein. Dann versuche ich die Frauen so gut wie möglich über Präventionsmaßnahmen aufzuklären. Wir haben Infomaterial in 18 Sprachen dabei. Notfalls verteilen wir auch Kondome. Unsere Arbeit ist jedoch immer eine reine Präventionsmaßnahme - keine Kontrolle. Das ist mir wichtig und das versuche ich den Frauen auch zu kommunizieren.

Wie viele Frauen erreichen Sie mit ihrer Arbeit?

Ich versuche so viele wie möglich zu erreichen, was durch den ständigen Wechsel aber nicht immer klappt. Häufig begleiten mich auch Dolmetscherinnen für Bulgarisch und Ungarisch. Wir möchten unser Testangebot bekannt machen. Die Frauen sollen sich lieber einmal mehr testen lassen als einmal zu wenig. Zu einem normalen Hausarzt trauen sich viele der Frauen aus Scham nicht. Auch ein Gynäkologe kann keine vernünftige Untersuchung machen, wenn er den Beruf seiner Patientin nicht kennt. Bei normalen Untersuchungen wird zumeist nicht auf Hepatitis und Aids getestet. Die meisten Prostituierten in Regensburg sind zwischen 18 und 30 Jahren alt. Doch es gibt auch ältere, die teilweise seit 20, 30 Jahren im Geschäft sind. Einige von ihnen bringen immer wieder die Institution der sogenannten "Puffmutter" ins Gespräch - die es früher gab und die heute meist fehlt nach Ansicht einiger älterer Frauen.

Warum das?

Früher wurden junge Frauen in Bordellen regelrecht angelernt. Heute kämpft jede für sich allein. Das birgt große Gefahren. Wie soll sich eine 19-Jährige mit schlechten Sprachkenntnissen gegen ihren Freier behaupten? Wie soll sie ihm deutlich machen, dass sie die Chefin im Ring ist? Viele der Frauen haben untereinander kaum Kontakt. Ein immer größeres Problem werden auch einige Vermieter. 30-Quadratmeter-Appartements werden in Regensburg wochenweise für bis zu 600 Euro an die Frauen vermietet. Ein anderes großes Problem ist, dass wir nicht an die Freier herankommen, damit bei Ihnen ein Umdenken stattfindet. Es ist doch so: Die Prostituierten sollen immer alles richten, dabei sind sie häufig die schwächste Stelle im Business. Das sieht man auch jetzt bei der neuen Verordnung.

Was würden Sie stattdessen vorschlagen?

Die Patentlösung gibt es leider nicht. Durch härtere Kontrollen würden die Frauen zunehmend kriminalisiert und diskriminiert. Ich kann Politiker verstehen, die nach strengeren Kontrollen rufen. Die meisten von ihnen möchten Gutes tun, die Frauen besser schützen, ihnen helfen. Doch diese Rechnung geht in der Realität nicht so einfach auf. Wir müssen weiter Aufklärungsarbeit leisten, ein landesweites Netz an Beratungsstellen ausbauen und noch viel mehr niederschwellige Beratungsangebote initiieren.

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