Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von Roy Horn:Die Show ist niemals vorbei

Vor Siegfried und Roy zogen Magier bloß Kaninchen aus einem Hut . Das Künstler-Duo zeigte wahnwitzige Auftritte und veränderte Las Vegas. Nun erlag Roy Horn dem Coronavirus - und zahlreiche Hotels auf dem Strip zollen ihm Tribut.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Die Show ist niemals vorbei!" Roy Horn hat diesen Satz gesagt, im Oktober 2018, als er im Secret Garden von Las Vegas, dem Gehege für exotisches Getier im Hotel Mirage, seinen 74. Geburtstag feierte. Er hatte seit 15 Jahren nicht mehr, wie man in Vegas so schön sagt, "performed" - frei übersetzt: den Leuten eine Show geboten. Der Tiger Mantacore hatte ihn während einer Aufführung am 3. Oktober 2003 am Hals von der Bühne gezerrt und dabei schwer verletzt. Die Show war seitdem offiziell vorbei, doch nun rief Horn seinen Gästen zu: "Ich performe, wann immer ich das Haus verlasse. Die Show ist niemals vorbei."

Die Show, dieses Las Vegas, wie es heute zu sehen ist, hat im Grunde mit dem Duo Siegfried und Roy überhaupt erst begonnen. Davor war diese Stadt so, wie sie im Film "Ocean's 11" gezeigt worden ist, dem Original von 1960: Frank Sinatra schlendert durch das "Sands", bestellt an der Bar einen Drink, zündet dem einsamen Herzchen eine Zigarette an und wirft Silberdollar in Spielautomaten. Dann flüstert er der bezaubernden Patrice Wymore ins Ohr, drückt ihr einen Kuss auf die Wange und lässt den Zimmerschlüssel ins Dekolleté gleiten. Sie wirft den Schlüssel angewidert in den Müll.

Dieses Las Vegas, das heute immer arg romantisiert wird, war damals eine hochgradig misogyne Stadt, rassistisch (Sammy Davis junior durfte nicht in den Hotels übernachten, in denen er auftrat) und auch homophob. Dann kamen Siegfried und Roy.

Vom Kreuzfahrtschiff in die Wüste

Horn kam am 3. Oktober 1944 im norddeutschen Nordenham zur Welt, sein Vater starb während des Zweiten Weltkriegs. Der Gründer des Bremer Zoos war ein Freund der Familie, Horn hatte deshalb bereits im Alter von zehn Jahren Zugang zu exotischen Tieren. Als 13-Jähriger ging er von der Schule ab, arbeitete als Kellner auf dem Kreuzfahrtschiff Bremen und lernte dort den Magier Siegfried Fischbacher kennen. Er wurde erst dessen Assistent und dann Partner, auf und zeitweise auch abseits der Bühne, schon damals war klar: Es gibt diese beiden nur als Duo.

Fischbacher und Horn wurden entlassen, weil sie einen Affen an Bord gebracht hatten. Die Besitzerin des Bremer Varietés Astoria, Elisabeth Fritz, hatte aber eine ihrer Vorstellungen gesehen und bot ihnen an, künftig in ihrem Nachtclub aufzutreten. "Das veränderte alles", sagte Horn später: "Wir waren nun Künstler inmitten anderer Künstler."

Die beiden wurden berühmt für ihre einzigartige Kombination von Zauberei und Tierdressur. Sie traten in Paris auf, und sie hörten in Las Vegas nach eher ernüchternden Auftritten im Jahr 1967 den unvergessenen Satz von Tropicana-Besitzer John Houssels: "Jungs, Zauberei funktioniert nun mal nicht in dieser Stadt."

Nun, ihre Show funktionierte nach der Rückkehr drei Jahre später, erst im Stardust, dann im New Frontier und später im Mirage. Und vielleicht braucht es ein paar Zahlen, um zu zeigen, was für eine wahnwitzige Show die beiden veranstalteten: Die Produktionskosten der ersten Show im Mirage 1989 lagen bei mehr als 30 Millionen Dollar, damals mit großem Abstand die höchsten in der Geschichte von Las Vegas. 267 Leute arbeiteten an der Show, und als Siegfried und Roy für ein paar Auftritte nach Japan reisten, benötigten sie zwei Jumbojets, um all die Tiere und das Equipment zu transportieren. In Osaka und Tokio wurden nur deshalb zwei Arenen erbaut, für jeweils zehn Millionen Dollar, nach den Auftritten wurden sie wieder abgerissen. Bis dahin zogen Magier Kaninchen aus einem Hut - Siegfried und Roy spielten mit Tigern, während im Hintergrund ein Feuerwerk abgebrannt wurde.

"Wir waren die Ersten, die in Las Vegas Unterhaltung für die komplette Familie geboten haben", sagte Horn einmal, und es stimmt schon: Das Disneyland für Erwachsene, das Las Vegas heute ist, gibt es wegen Siegfried und Roy, und damit auch legendäre Zauberer wie David Copperfield, Criss Angel, Penn und Teller. "Ich dachte immer, es wäre angemessene Bescheidenheit, wenn wir in Jeans und T-Shirt zu Veranstaltungen kamen, bei denen wir nicht arbeiten mussten", erinnert sich Penn Jillette: "Die beiden kamen jedoch immer in Kostümen und Make-up, und irgendwann wurde mir klar: Für diese beiden hört die Show niemals auf."

Abruptes Ende im Oktober 2003

Die Shows waren gigantisch, atemberaubend und höchst erfolgreich, sie setzten pro Jahr bis zu 60 Millionen Dollar um, bis zu diesem Abend im Oktober 2003. Horn soll, das ist bis heute die offizielle Darstellung des Vorfalls, einen Schlaganfall erlitten haben, der Tiger Mantacore sein Herrchen aus Sorge am Hals gepackt und von der Bühne gezogen haben. Horn wurde schwer verletzt, die Show wurde sofort eingestellt, und die Arena im Mirage stand drei Jahre lang leer, weil so ziemlich jeder ahnte, dass nur die Beatles in der Lage gewesen wären, diesem Spektakel zu folgen.

Die erste Show danach, im Juni 2006, war dann das Cirque-du-Soleil-Programm "The Beatles Love". Bei der Premiere begegneten sich auf dem roten Teppich Paul McCartney, Roy Horn, Siegfried Fischbacher.

Zahlreiche Hotels auf dem Strip zollen Tribut

Die großen Auftritte von Siegfried und Roy mochten dann vorbei sein, die Show jedoch ging weiter. Wer die beiden kannte, der berichtete davon, wie tapfer Horn gegen die Komplikationen nach den vielen Operationen kämpfte, und wie rührend sich Fischbacher um seinen Partner kümmerte. Welch Lebensfreude die beiden auf ihrem Anwesen "Little Bavaria" vermittelten, und wie sehr sich die beiden darüber freuten, dass dieses Secret-Garden-Gehege im Mirage mit zahlreichen exotischen Tieren zu einer beliebten Attraktion wurde. Als Mantacore im Jahr 2014 starb, sagte Horn: "Ich habe meinen geliebten, 17 Jahre alten weißen Tiger, Freund und Bruder verloren. Er war es, der mich in Sicherheit gezogen hat."

Am 28. April verkündete das Management von Roy Horn, dass er an den Folgen einer Coronavirus-Infektion leide und ins Krankenhaus gebracht werden müsse. Am Freitag verstarb er im Alter von 75 Jahren.

Zahlreiche Hotels auf dem Strip zollten ihm Tribut, an der Fassade des MGM Grand waren überlebensgroße Bilder zu sehen. Wahrscheinlich ist es Zufall, dass Roy Horn an jenem Tag an den Folgen des Coronavirus gestorben ist, an dem in Las Vegas nach dem Lockdown wieder einige Lichter eingeschaltet werden durften, als Zeichen, dass die Show niemals aufhören wird. Vielleicht aber auch nicht.

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