Pressekonferenz zu Inzestfall von Amstetten:"Sehr lieb, aufgeweckt und anhänglich"

Keinerlei Anhaltspunkte auf Mittäter oder Mitwisser: Während die österreichische Polizei an einer finalen Version der Missbrauchsverbrechen in Amstetten feilt, können die Opfer im Krankenhaus den ersten Geburtstag in Freiheit feiern.

Die österreichische Polizei hat ihre bisherigen Erkenntnisse im Inzest-Fall von Amstetten durch intensive Arbeiten und Spurensicherung am Tatort gefestigt. "Die Tat gilt aus kriminaltechnischer Sicht als geklärt", sagte der Leiter des Landeskriminalamtes Niederösterreich, Franz Polzer, am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Zeillern bei Amstetten. Diese wurde auch genutzt, um diversen Gerüchten entgegenzutreten.

Pressekonferenz zu Inzestfall von Amstetten: Auf die Lupe rechts unter diesem Bild klicken! In der Vergrößerung sehen Sie die Chronologie des Missbrauchsfalls von Amstetten.

Auf die Lupe rechts unter diesem Bild klicken! In der Vergrößerung sehen Sie die Chronologie des Missbrauchsfalls von Amstetten.

(Foto: Grafik: SZ)

Polzer betonte, der Beschuldigte Josef F. sei "offenkundig als Einzeltäter zu beurteilen", auch wenn "man nach kriminalistischer Erfahrungen nichts ausschließen" könne. Es gebe aber bisher keinerlei Anhaltspunkte, die auf Mittäter oder Mitwisser schließen ließen.

Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist von den sieben offiziellen Kindern des Josef F. allein Elisabeth F. sexuell missbraucht worden. Auch die geheimen Kinder aus der inzestuösen Zwangsbeziehung seien wohl verschont worden. Wie und warum sich der Mann ausgerechnet Elisabeth ausgesucht habe, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu erklären.

In Bezug auf Spekulationen, Josef F. sei vorbestraft, hieß es bei der Pressekonferenz, der Beschuldigte habe das Recht, nicht über vergangene, inzwischen getilgte Taten zu sprechen und sich als unbescholten zu bezeichnen. Ebenso sei es Pflicht der Staatsanwaltschaft, über eventuelle getilgte Strafen Stillschweigen zu bewahren. Man werde diesbezüglich auch keine Auskünfte erteilen, wenn entsprechende Unterlagen vorlägen. Es gebe derzeit auch keinerlei Anzeichen dafür, dass Josef F. etwas mit einem vergangenen Sexualmord aus Oberösterreich zu tun habe.

Auch könne nicht alles gleichzeitig erforscht werden. "Wir müssen Prioritäten setzen", so Polzer. Die letzten 24 Jahren seien Mittelpunkt der Ermittlungen, davorliegende Ereignisse seien "sekundär" und könnten erst zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden.

"Aktiv durch sein Leben gegangen"

Über den persönlichen Hintergrund des Verdächtigen erklärte Polzer, "ich muss bedauern, ich weiß nicht einmal, wer seine Eltern sind". Details seiner Biographie könnten aber erst nach und nach aufgedeckt werden. Man wisse unter anderem, "dass dieser Mann sehr aktiv durch sein Leben gegangen ist", dass er sich nebenbei noch im Immobilienhandel betätigt habe und auch in der Gastronomie.

Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft bestätigte, dass Josef F. in der nächsten Zeit keine weiteren Aussagen machen werde. Die Staatsanwältin werde sich nichtsdestotrotz in den kommenden Tagen ein Bild vom Beschuldigten machen und auch mit ihm ein Gespräch führen. Bisher habe er "eher eine sachliche Abhandlung" von sich gegeben.

Zum Zustand der Opfer sagte Primarius Reiter vom behandelnden Klinikum, bei der 19-jährigen Kerstin F. sei inzwischen eine "geringgradige Stabilität eingetreten". Weiter nötig seien jedoch "künstlicher Tiefschlaf, Ersatz ihrer Nierenfunktion und künstliche Beatmung", es seien auch "keine dramatischen Veränderungen" in den nächsten Tagen zu erwarten.

Spontane Geburtstagsfeier im Krankenhaus

Über die Verfassung der anderen Familienmitglieder sagte der Krankenhaus-Vertreter Professor Kepplinger, es gebe einen "Status Quo", an dem sich voraussichtlich auch in den kommenden Tagen nichts ändern werde. Man bemühe sich intensiv, der Familie "einen möglichst gelungenen Start in ein neues Leben zu ermöglichen".´

Dafür sei ein neuer Wohnraum von 70 bis 80 Quadratmetern eingerichtet worden, wo die Kinder spielen und turnen könnten. Man habe ihnen ihr persönliches Spielzeug ins Krankenhaus gebracht. Das Essen schmecke ihnen ausgezeichnet. Am Dienstag habe sogar eine spontane kleine Geburtstagsfeier für den nun 12-jährigen Sohn von Elisabeth F. stattgefunden, "alle waren begeistert".´

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie es den einzelnen Familienmitgliedern geht und wie Natascha Kampusch den Opfern hilft.

"Sehr lieb, aufgeweckt und anhänglich"

Die Familienmitglieder sprächen "sehr viel" miteinander, was nach einer Zusammenführung nach so vielen Jahren beziehungsweise einem Kennenlernen nicht anders zu erwarten sei. Erneut appellierte der Vertreter des Klinikums, nach dem "Märtyrium, Schock und Trauma" der Familie deren Privatsphäre Respekt zu zollen. Diesem Aufruf schlossen sich auch die anderen Sprecher bei der Pressekonferenz an und betonten, es werde in den kommenden Wochen keine Interviews oder weiteren Einblicke ins Intimleben der Opfer geben.

Pressekonferenz zu Inzestfall von Amstetten: Der Medienrummel um Amstetten geht weiter: Auch bei der dritten großen Pressekonferenz war den Behörden weltweite Aufmerksamkeit gewiss.

Der Medienrummel um Amstetten geht weiter: Auch bei der dritten großen Pressekonferenz war den Behörden weltweite Aufmerksamkeit gewiss.

(Foto: Foto: AFP)

"Sehr lieb, aufgeweckt und anhänglich"

Der körperliche Zustand sei bei allen sieben Familienmitgliedern sei relativ gut, man müsse aber unterscheiden zwischen denen, die oben im Haus und unten im Keller gelebt hatten. Die Lichtempfindlichkeit und Koordinierungsschwierigkeiten der Eingekerkerten könnten vermutlich in den kommenden Wochen ausgeglichen werden. Der jüngste, 5-jährige Sohn sei "sehr lieb, aufgeweckt und anhänglich", wolle "nicht von der Mutter weichen", auch die anderen Kinder seien sehr froh, bei der Mutter zu sein.

Im Haus geht die Spurensuche unterdessen weiter. "Das Gefängnis zeigt sich in seiner ganzen Deutlichkeit", so Chefermittler Polzer. Die Tür, die zu dem Verlies führte, war hinter einem Regal verborgen, das zunächst abgebaut werden musste, sagte Polzer weiter. Die Öffnung selbst sei nur etwa einen Meter hoch und 60 Zentimeter breit. Nach bisherigen Erkenntnissen hat Josef F. selbst die Tür mit Blech und Beton verkleidet. Sie sei schon vor Jahren mit einem funkgesteuerten Antrieb ausgerüstet worden, fügte Polzer hinzu.

Hinweisgeber bleibt anonym

Die Ermittlungen ergaben, dass das Verlies nach und nach ausgebaut wurde. Ursprünglich habe sich dort die mit 18 Jahren gefangene Tochter Elisabeth nur in einem Raum aufgehalten. Nach der Geburt ihrer Kinder sei das Gefängnis vergrößert worden, sagte Polzer. In dem Verlies hätten sich sowohl Kühlschrank und Gefrierschrank als auch eine Waschmaschine befunden. Das habe den Bewohnern erlaubt, dort auch über Wochen auszuharren - "vorausgesetzt, dass der Strom aktiv bleibt."

Polzer forderte die Bewohner des Hauses in der Ybbstraße in Amstetten auf, alle Beobachtungen zu überprüfen, die sie in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hätten. Im "Haus des Schreckens" hätten in den zurückliegenden 24 Jahren immerhin mehr als 100 Menschen gewohnt. Möglicherweise habe der eine oder andere Dinge beobachtet, die vor dem Hintergrund des jetzt aufgedeckten Verbrechens wichtig seien.

Den Verbrechen war die Polizei erst durch einen Anruf und nach der Festnahme der 42 Jahre alten Elisabeth F. auf die Spur gekommen. Erst durch das Telefonat hätten die Fahnder erfahren, dass die polizeilich gesuchte Frau mit ihren zwei Söhnen in der Klinik sei, wo ihre Tochter Kerstin behandelt wurde. Zum "Hinweisgeber", der entscheidend zur Aufdeckung des Dramas beitrug, wollte Chefermittler keine Angaben machen - man habe der Person Verschwiegenheit zugesichert.

Kampusch hilft den Opfern

Das österreichische ehemalige Entführungsopfer Natascha Kampusch wird für die Opfer des Inzest-Verbrechens von Amstetten 25.000 Euro spenden. Dies gab die 20-Jährige am Mittwoch in Wien bekannt. Die junge Frau, die selbst acht Jahre lang in der Gewalt eines Entführers in einem verliesartigen Raum leben musste, gab zugleich die Eröffnung eines Spendenkontos für die Opfer bekannt und rief zu Spenden auf.

Kampusch teilte mit, sie sei in engem Kontakt mit dem Anwalt der Opfer, um herauszufinden, wo die Hilfe konkret benötigt werde. Kampusch selbst hatte bereits nach ihrer Flucht im August 2006 die Gründung einer Stiftung erwogen, um einmal Opfern ähnlicher Verbrechen helfen zu können. Auf einem entsprechenden Konto waren in der Folge rund 50.000 Euro gesammelt worden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: